Von der sozialistischen Utopie eines Kurbads

Tskaltubo Der sowjetische Kurort wurde zum Gegenstand eines zweistündigen Stücks im Berliner Theaterdiscounter.

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Käthe Jung hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass ihr mehr als vierzig Jahre alter Brief einmal in einem Berliner Theater verlesen wird. In den 1970er Jahren hat sie, wie viele Werktätige der DDR, einen Kururlaub in Tskaltubo gemacht. Damals war sie in der Sowjetunion, heute liegt der Ort in Georgien und wird gelegentlich auch Zkaltubo geschrieben. Bereits im 19.Jahrhundert wurde die Stadt wegen ihres milden Klimas und der Thermalquellen zum Kurort gegen Rheumatismus und anderer Gelenkerkrankungen. Nach der Oktoberrevolution galt in der Sowjetunion das Prinzip, was früher nur die Reichen und Mächtigen genießen konnten, sollte jetzt allen gehören. In die Schlösser der Feudalkaste zogen die Ärmsten in den ersten Monaten nach der Oktoberrevolution ein. Heute wissen wir, dass sich dort bald nicht etwa ein Sozialismus sondern ein Staatskapitalismus bildete. Die herrschende Klasse war nicht das Proletariat insgesamt, doch die neue Nomenklatura setzte sich aus Teilen der Arbeiter_innenklasse zusammen. Sie gehörten nun zu den Gästen des Kurbades in Tskaltubo, mondäne Gebäude wurden dort in den 1930er Jahren errichtet und nach dem Sieg über den NS konnten auch die Werktätigen der „sozialistischen Bruderländer" an den gesundheitlichen Segnungen der schwach radioaktiven Thermalquellen partizipieren. Käthe Jung war darunter. Dass wir ihren Dankesbrief nun hören konnten, verdanken wir Zufällen von freien Künstler_innen im Kapitalismus. Immer auf der Suche nach den neuesten heißen Schei8, dem ultimativen Kick werden längst schon die osteuropäischen Länder erschlossen. Albanien gehört dazu und auch Georgien. Der österreichische Videokünstler Philipp Haupt beteiligte sich vor einigen Jahren an einen Video-Workshop in Tskaltubo, zu dem er auch seine Kollegin, die Filmregisseurin Eva Löbau eingeladen hat. Die nahm gerne an, weil sie doch wegen einer anderen künstlerischen Arbeit kurz vorher eine Georgienreise absagen musste. Beide kamen so mit dem Kurort in Berührung, deren Gebäude nach dem Zerfall der SU umgenutzt wurden.

Der Kurort wird nur gedeihen können, wenn der Frieden erhalten wird

Sie begannen sich mit der Geschichte der Gebäude auseinanderzusetzen und heraus kam ein informativer knapp zweistündiger Theaterabend, der unter dem Titel „Nächstes Jahr in Tskaltubo“ im Berliner Theaterdiscounter im toten Winkel des Alexanderplatzes vier Gastspiele hatte. Obwohl der Abend einige Länge hatten und sie doch recht viele Themen mit rein packten, war es doch ein im Großen und Ganzen gelungener Abend. Besonders erfreulich ist es, dass Löbau und Haupt mit vielen Originaldokumenten arbeiteten. Da waren Fotos aus besseren Zeiten, da waren Filmsequenzen aus den unterschiedlichen Zeiten des Kurorts. Da waren die Briefe der Kurgäste vor allem aus der DDR, die teilweise schon prophetischen Charakter haben. So schreibt eine zufriedene Kurpatientin, dass der Kurbetrieb nur gedeihen könne, wenn der Frieden erhalten bleibe. Sie konnte gar nicht ahnen, wie recht sie hatte. Mit der Auflösung der SU verordnete die nun ihre sozialistische Propaganda vergessende Nomenklatura den Ländern eine wirtschaftsliberale Schocktherapie, die Ethnisierung des Sozialen schuf neue Spaltungen und Kriege, die von den übrigen kapitalistischen Staaten kräftig angetrieben und befeuert wurden. Auch Georgien war seit den frühen 90er Jahren davon betroffen. Wo es sich einst die Kurgäste bequem machten, zogen jetzt die Binnenflüchtlinge ein, die der nun offene Kapitalismus produzierte. Darüber geht das Künstler_innenduo nur am Rande ein, weil, wie Eva Löbau im Nachgespräch erklärte, sie sich als Westler_innen die Konflikte nicht bewerten wollten. Das ist nobel gedacht. Wie dann der Theaterabend noch zu der Atomkatastrophe von Tschernobyl mäandert, überzeugt nicht recht. Radon und atomare Radioaktivität haben eben wenig miteinander zu tun. Auch wenn eine von Strahlenangst gebeutelte deutsche Gesellschaft, die schon vor Jahrzehnten schwach angereicherte Molke zu atomaren Sondermüll erklärte, hier wenig Trennschärfe zeigt.

Tskaltubo – ein kapitalistischer Disneypark?

Interessanter sind da die Pläne der nun konkurrenzkapitalistischen Nomenklatura Georgiens, die Investor_innen in den Kurort sucht und dort ein kapitalistisches Disneyland daraus machen will. Nun zeigen Löbau und Haupt, dass es da schon viele Ankündigungen aber wenig Konkretes gab. Das muss aber nicht so bleiben. Allerdings: Der Titel des Theaterstücks ist an den Film „Nächstes Jahr in Marienbad“ angelehnt, das seine Glanzzeiten auch nicht mehr wiederholen kann. Hinter dem Kurort Tskaltubo stand eine sozialistische Utopie, die trotz ihrer staatskapitalistischen Pervertierung noch genügend Strahlkraft hatte. Hinter allen kapitalistischen Versprechungen hingegen steht nur das Profitinteresse. Am Ende gelingt den Künstler_innen noch einmal ein überzeugender Perspektivwechsel. Die Theaterbesucher_innen müssen sich nun an der Rückseite der Bühne aufstellen und die georgische Künstlerin und Medizinstudentin Khatia Jishkariani berichtet von einem verfallenen Kurbad im Schwarzwald, das auch schon als temporäre Unterkunft für Geflüchtete diente. Dort hat die kapitalistische Gesundheitsreform der Kohl-Ära zum Aus beigetragen. Seit Kuren nur noch in seltenen Fällen von den Krankenkassen übernommen werden, ist die Krise des deutschen Kurorts besiegelt. In dieser Szene kann Khatia Jishkariani ihre künstlerischen Talente voll endfalten. Nicht zu vergessen schließlich soll die Arbeit der georgischen Künstlerin Mika Motskobili werden, die für den Sound des Theaterabends zuständig ist.

Peter Nowak

NÄCHSTES JAHR IN TSKALTUBO

Von und mit Eva Löbau / Philipp Haupt / Khatia Jishkariani / Mika Motskobili / Johanna Seitz / Eike Böttcher / Judith Huber / Markus Grob / Lotte Sawatzki / Yvonne König / Martina Neu / Annett Hardegen Gefördert durchHauptstadtkulturfonds

https://theaterdiscounter.de/stuecke/naechstes-jahr-in-tskaltubo

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Geschrieben von

Peter Nowak

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