Von Demetrius bis Timoschenko

Demetrius/Trollfabrik Dieses Theaterstück des Theaterdiscounter nimmt eine 400 Jahre alte Klamotte zum Ausgangspunkt und ist doch sehr aktuell

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Etwas schüchtern tritt der Mann mit dem Dreitagebart und der Kassenbrille in den Raum und tritt an einen Tisch, wo ihn drei Menschen mit strengen Mienen mustern. Nervös nestelt er an seinen kleinen Rucksack und fragt, ob er sich vielleicht setzen kann.

Sicher ein Termin beim Jobcenter oder einer ähnlichen Behörde, ist der erste Gedanke. Doch es der polnische Reichstag und der unsichere Mann wird gerade von zwei gestrengen Herren und einer Dame geprüft, ob er das Zeug dafür hat, der nächste Zar von Russland zu werden. Viel steht schließlich dabei auf dem Spiel, ein gültiger Friedensvertrag mit Moskau ebenso wie die Frage, ob der Frieden zwischen Polen und Russland. Es ist wirklich schon eine beachtliche Leistung, wie im Berliner Theaterdiscounter eine alte historisch verbürgte Story in dem Stück Demetrius/Trollfabrik sehr gekonnt in die Jetztzeit überführt wurde. Trotzdem wirkte nichts aufgesetzt.

Es geht vordergründig um jenen Mann um 1600 als einer Feuersbrunst entronnener Sohn von Iwan den Schrecklichen ausgab. Er gewann Unterstützung in Teilen der Bevölkerung, mehr noch aber bei führenden Kreisen des damaligen polnischen Etablissements, die natürlich ihre eigenen Interessen mit der Hochstapelei hatten. Das passte der herrschenden Klasse Russlands natürlich gar nicht und sie mobilisierte ebenfalls Anhänger_innen und nur wenige Tage nach der Krönung war der neue Zar tot. Schiller entwickelte aus diesem Stück aus der Klasse der Feudalverbrecher_innen ein Drama, das 1857 in Weimar aufgeführt wurde.

Wie heute „Zaren“ konstruiert werden

Nur ist es ein Pluspunkt der Aufführung im Theaterdiscounter, dass die so gar nichts Historisches hat und dafür jede Minute gegenwärtig blieb. An Boris Nemzow, der an Kremlmauern erschossen wurde, erinnerte man und daran, wie Pro-Putin-Leute in der Aktion ein Komplott gegen Russland sahen. Die Putin-Fans unter den Leser_innen können ganz entspannt bleiben. Auch die Putin-Gegner_innen werden nicht geschont. Auf den drei Monitoren, die in alle Richtungen ins Publikum wiesen, wurde das Konterfei der ukrainischen Gasprinzessin Julia Timoschenko eingeblendet. Sie ist heute etwas in Vergessenheit geraten.

Man könnte auch den von der Konrad Adenauer Stiftung aufgebauten Wladimir Klitschko nehmen oder wie die falschen Zaren des 21.Jahrhunderts auch immer heißen. Man könnte auch an Saakaswilli denken, der als prowestlicher Potentat in Georgien mit US-Unterstützung einen Krieg mit Russland anstiftete und verlor und dann von der Bevölkerung abgewählt und außer Landes gejagt wurde. Doch ein solcher Mann muss seine Ausbildung wieder einspielen und sorgt jetzt als Gouverneur von Odessa für die nötige antirussische Stimmung. Die Konflikte mit anderen ukrainischen Machtcliquen sind schon vorgezeichnet. In dem Theaterstück sind die Aktualisierungen nicht aufgesetzt und vor allem immer lustig. Und so wird auch der Unterschied deutlich, zwischen dem falschen Demetrius vor 400 Jahren und den Politikclonen heute. Er war am Anfang selber davon überzeugt, der Zarensohn zu sein und verlor sein Selbstbewusstsein, als vor der Krönung erfuhr, dass alles Schwindel ist. Die heutigen Epigon_innen glauben von Anfang nicht mehr daran und sorgen nur dafür, dass mögliche Mitwisser_innen beseitigt werden. Notfalls legen sie selber Hand an. Im Stück wurde am BILD-Reporter symbolisch der Prager Fensterschutz wiederholt.

Es ist schon ein gewagtes Stück, aus einer 400jahre alten Feudalklammotte Verbindungen zur heutigen Medienbeeinflussung zu sehen. Man könnte sich schnell in falschen Aktualisierungen verlieren und sich lächerlich machen. Demetrius/Trollfabrik passiert das nicht. Es zeigt. dass man aus dem Stoff eine Komödie mit Tiefgang machen kann.

Peter Nowak

Weitere Informationen zu Dimetrius/Trollfabrik:

Mit Leopold Hornung / Marc Ottiker / Cornelius Schwalm / Sylvia Schwarz / Kirstin Warnke Regie Georg Scharegg Raum / Video Swen Erik Scheuerling / Camila Puls de la Cruz Kostüme Elena Gaus Regieassistenz Charlotte Sofia Garraway Grafik Christiane Patic Fotografie Malina Ebert Fotomotiv Reitschule Kawashima Presse Kerstin Böttcher Produktion Theaterdiscounter

http://www.theaterdiscounter.de/stuecke/demetrius-trollfabrik

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Geschrieben von

Peter Nowak

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