Warum nicht wieder Häuser besetzen?

Im Gespräch Der Politikwissenschafter Armin Kuhn untersucht die Besetzer_innenbewegungen in Berlin und Barcelona und fragt, was Mietrebell_innen daraus lernen können

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Peter Nowak: Sie haben die Besetzungsbewegung in Westberlin der 70er Jahre mit der in Ostberlin nach dem Mauerfall verglichen. Wo sehen Sie die größten Unterschiede?

Armin Kuhn: Der größte Unterschied liegt in dem Zeitpunkt, zu dem sie auftraten. Die Besetzungsbewegung der 1980er war ein Kind der städtischen Krise. In den wenigen Monaten, in denen massenhaft Häuser besetzt wurden, wurde klar, dass es mit der Flächensanierung und mit der Vision von einer zentralstaatlich gesteuerten, funktionalen und autogerecht durchgeplanten Stadt so nicht weitergehen kann. Es war eine Übergangssituation, in der alles möglich schien und vieles auch möglich war. Die Besetzungsbewegungen haben ihren Teil dazu beigetragen, mit der behutsamen Stadterneuerung ein progressives städtisches Leitbild, soziale Ausgleichsmechanismen und Beteiligungsmöglichkeiten durchzusetzen. Anfang der 1990er Jahre war diese Überganssituation längst vorbei. Die Weichen in Richtung einer wettbewerbsorientierten, auf wirtschaftliches Wachstum, internationale Konkurrenzfähigkeit und Privatinitiative waren bereits gestellt. Das Leitbild einer neoliberalen Stadt hatte sich durchgesetzt, auch wenn die Institutionen der behutsamen Stadterneuerung noch eine Weile vor den übelsten Auswirkungen geschützt haben.

Stadtbau und andere Sanierungsträger wurden lange Zeit auch in der Besetzungsbewegung eher als Gegner als Bündnispartner gesehen. War diese Positionerung falsch?

Das stimmt so nicht. Viele der Sanierungsträger, Mieterberatungen, Planer_innen und Entscheidungsträger_innen der behutsamen Stadterneuerung stammen selbst aus der Besetzungsbewegung. Die radikaleren Strömungen waren dagegen immer skeptisch gegenüber einer stadtpolitischen Engführung der Hausbesetzungen und haben die Institutionalisierung abgelehnt. Ihnen ging es ja um viel mehr als um den Erhalt der Häuser oder um Verbesserungen im Lebensumfeld. Diese Positionierung war daher nicht falsch. Allerdings hat der Blick auf die behutsame Stadterneuerung als Verrat an den Zielen der Besetzungen oder auch als Vereinnahmungsmaschine, die letztlich zum Untergang der Bewegung geführt habe, blind dafür gemacht, dass die Hausbesetzungsbewegung der 1980er Jahre wichtige Erfolge erzielt hat.

Können Sie Beispiele nennen?

Ohne die Legalisierungen von damals hätten heutige Bewegungen kaum die Ressourcen, die zur Organsierung wichtig sind. Und ohne die institutionellen Absicherungen und – vielleicht noch wichtiger – den symbolischen Konsens der behutsamen Stadterneuerung, hätten ökonomische Aufwertung und Verdrängung viel früher eingesetzt und wäre viel schneller verlaufen. Dafür genügt ein kurzer Blick auf viele westeuropäische oder US-amerikanische Städte.

Aktuell diskutieren Mieter_innenaktivist_innen in Berlin wieder über neue Hausbesetzungen. Was können die von der Besetzungsbewegung lernen?

Besetzungen und besetzte Häuser waren immer mehr als bloß physische Aneignungen von Raum. Die Besetzungen früher Bewegungen standen für etwas: Für eine ganz andere Vorstellung von Stadt, Stadt als gelebte Vielfalt, nicht als normierte und staatlich durchgeplante Landschaft; Stadt als Raum der Teilhabe, die alle ihre Bewohner_innen einschließt und diese zur Gestaltung ihrer eigenen Lebensumstände ermächtigt. Die Hausbesetzungen der 1980er Jahre haben dieses Versprechen verkörpert und gelebt, die Hausbesetzungen der 1990er auch, nur das Teile dieses Versprechens schon in das neoliberale Modell von Stadt eingegangen sind. Wenn heute über Besetzungen diskutiert wird, geht es vor allem darum zu Fragen: Welche Vorstellungen von Stadt können aktuelle Bewegungen der krisenhaften neoliberalen Stadt entgegen setzen? Und welche Rolle kann die praktische Aneignung von Raum für solche Vorstellungen spielen?

Halten Sie ein Revival der BesetzerInnenbewegung wieder für möglich?

Ein Wiederaufleben der Besetzungsbewegungen, wie wir sie aus den 1980er und 1990er Jahren kenne, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Identifikation mit dem Aktion der Besetzung, mit der Aneignung und Sicherung von besetzten – oder zum Teil auch legalisierten – Freiräumen, hat ja gerade dazu geführt, dass Besetzungsbewegungen in radikale Nischen abgedriftet sind. Das ist an sich nicht unbedingt schlecht, wird aber dann problematisch, wenn die eigenen politischen Ansprüche über die Wände der eigenen Häuser hinausreichen. In der neoliberalen Stadt sind Freiräume kein ernsthaftest Problem. Besetzte Häuser reihen sich ein in einen Mainstream der Subkulturen, in eine harmlose kulturelle Vielfalt, die im Sinne lebendiger Urbanität sogar gewünscht sein kann für eine Aufwertung von Stadtteilen. Das heißt nicht, dass Freiräume angepasst oder überflüssig sind, aber politische Sprengkraft wie vor 30-40 Jahren werden Besetzungsbewegungen heute nicht entfalten können.

Ist es nicht auch ein Vorteil, dass die MeterInnenbewegung weniger subkulturell ist als es die Besetzer_innen waren?

Ja, das ist ein Vorteil und eine sehr spannende Entwicklung in aktuellen stadtpolitischen Kämpfen. Viele Initiativen haben erkannt, dass ein Zusammenfinden auf der Grundlage subkultureller Gemeinsamkeiten kaum ein Weg sein kann, um diejenigen zu erreichen, die am meisten von Verdrängung und gesellschaftlicher Marginalisierung in der Stadt betroffen sind. Nur, die Organisierung in subkulturell geprägten Szenen war auch lange ein Erfolgsmodell. Sie hat das Selbstverständnis derjenigen geprägt, die seit den 1970er Jahren immer wieder das vorherrschende Stadtentwicklungsmodell in Frage stellen, von den ganz frühen Kämpfen gegen Yuppiisierung über NOlympia in den 1990ern, Mediaspree oder die Stadtteilinitiativen in den 2000ern. Die Frage ist: Was tritt an die Stelle der subkulturellen Identität? Schaffen es aktuelle stadtpolitische Bewegungen neue, durchlässigere Identitäten zu schaffen, die auf der Vielfalt des städtischen Lebens selbst beruhen?

Interview: Peter Nowak

Armin Kuhn hat seine Thesen in dem im Dampfboot Verlag erschienenen Buch "Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt" zusammengefasst.

Mehr zum Buch:

http://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/vom-haeuserkampf-zur-neoliberalen-stadt

Er wird das Buch heute um 20 Uhr im Berliner Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünbergerstraße 73 vorstellen. Mit ihm diskutiert der Mieter_innenaktivist Grischa Dallmer über die Frage, was heute Mietrebell_innen von der Besetzungsbewegung lernen können.

Mehr zur Veranstaltung:

http://interkomm.so36.net/frame.php

Im Rahmen der Veranstaltung werden Ausschnitte aus dem Film Mietrebellen http://mietrebellen.de/ gezeigt, in dem auch Besetzungsaktionen dokumentiert sind, beispielsweise von Senior_innen in der Stillen Straße in Berlin Pankow-

Ganz aktuell: :

Aufruf zur Besetzung am Tag X in der Beermannstraße

http://besetzenstattraeumen.blogsport.de/

Demonstration Besetzen statt Räumen am 6.2.

http://besetzenstattraeumen.blogsport.de/images/0202pressemitteilung.pdf

Homepage der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel:

https://karlapappel.wordpress.com/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden