Weder Trauertunte noch Außenseiterkunst

Tucké Royale Die vielseitige Künstlerin bestreitet im Ballhaus Ost ein kurzweiliges Soloprogramm zwischen Chason und Performance

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Und jetzt mal alle: „Herm zieht huch um.“ Tatsächlich fühlt man sich ca. 5 Minuten wie im Sprachunterricht, wenn Tucké Royale im Ballhaus Ost ihre Grammatik erklärt und gleich erprobt. So wird das Theaterpublik zu Sprachschüler_innen und fast alle machen mit. Eines der vergnüglichen Momente beim knapp 90minütigen Soloauftritt des Stücks „Ich beiße mir auf die Zunge und frühstücke den Belag, den meine Rabeneltern mir hinterließen“ von Tucké Royale. Wer sie oder es ist, darum drehte sich eigentlich der gesamte Abend. Es geht um Identität Tucké Royale, die weder Frau noch Mann ist, auch kein Zwitter. Die Klassifizierung Pseudohermaphrodit wird im Pressetext eingeführt. Ist es eine Kunstfigur oder vielleicht doch nicht? Auch diese Frage blieb an dem Abend letztlich offen. Auch die Frage, ob es eigentlich in diesen Fall, er, sie oder es verwendet werden soll, wurde kurz erörtert aber nicht geklärt.

„Keine Verkleidung ist echt, ist nur die Vorbereitung für die nächste“, heißt es im Pressetext zu Vorführung und diese Verkleidung wird sich im Laufe des Abends gleich mehrmals ändern. Ein hinter den Kulissen gibt es nicht. Alles findet vor den Augen des Publikums statt. Schließlich haben die ja bezahlt, um nicht anzuglotzen, sagt Tucké Royale. Ganz am Anfang stelle t sie dem Publikum noch die Möglichkeit anheim, den Raum zu verlassen. Ein Angebot, dass niemand annimmt. Dann hätten sie auch das Soloprogramm einer vielseitigen Künstlerin verpasst. Gesang, Rezitation, ein kurzes Stück am Klavier, eingespielte Videos und gegen Ende sogar eine Sprühaktion, bekommt das Publikum geboten. Und immer hat die Künstlerin dazu ihr Outfit geändert. Eine etwas längere Szene zeigt Tucké Royale bei einer Rede vor einem Auditorium, wo sie über die Probleme spricht, die es auch in der freien Kunstszene mit en sexuellen Uneindeutigkeiten gibt. Dann findet man sich sehr schnell zwischen „Trauertunten“, „Schwulentheater“ in die „Außenseiterkunst“ verbannt. Um die Etikettierung zu vermeiden, absolvierte sie ihre Theaterausbildung unter t ihren bürgerlichen Namen, obwohl sie auch schon damals Tucké Royale gewesen ist.

Das Spiel mit den Identitäten und den Uneindeutigkeiten wird in einer eindrucksvollen Szene durchbrochen, wo der Abend auch direkt politisch wird. Das Bild eines Mannes im Shirt der deutschen Fußball-WM mit bepissten Jogginghosen und zum Hitlergruss erhobenen Arm, wird auf Video eingespielt. Es ging Anfang der 90er Jahre um die Welt, als die Pogrome gegen Geflüchtete das hässliche Deutschland zeigten. Dann spricht die in Quedlinburg geborene Künstlerin von einem Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft in der Umgebung ihres Geburtsorts und von den Tränen der Mutter. Ihr, die die DDR mit aufgebaut hat, war damit der antifaschistische Staat endgültig gescheitert. Es ist eine sehr berührende Szene in diesem Soloproramm, die ihre vielseitigen Künste präsentiert. Es ist eine Mischung aus Chansonabend, Kabarett, Theater, eben ein Abend der Uneindeutigkeiten auch hier. Doch langweilig ist er nie.

Peter Nowak

Weitere Vorführungen:

21. DEZEMBER UND 06. / 07. / 08. FEBRUAR

http://ballhausost.de/index.php?article591&sub=20

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden