Die Kritiker des Ministers aus dem Wissenschaftsapparat kämpfen um den Wissenschaftsstandort Deutschland und verteidigten einen Status Quo in der Wissenschaft, ohne kritisch zu fragen, ob der überhaupt noch zeitgemäß ist
Über die Zukunft des zurück getretenen Bundesverteidigungsminister Guttenberg muss wahrlich nicht lange gerätselt werden. Spätestens nach der nächsten Legislaturperiode ist er wieder in der Politik, wenn er bis dahin längst in die lukrativere Wirtschaft gewechselt hat.
Über ihn ist längst alles gesagt. Doch wie steht es eigentlich um die Argumente seiner Kritiker, vor allem aus dem Wissenschaftsbetrieb, die sich jetzt als Sieger fühlen können? Sie haben mit ihren Offenen Brief (posterous.com/site/profile/offenerbrief) wesentlich dazu beigetragen, dass die Causa Guttenberg mit dem Rücktritt endete. Wenige Tage zuvor sah es noch so aus, als ob der eloquente Verteidigungsminister mit Hilfe von Bild und Meinungsumfragen die Plagiatskrise im Amt überstehen würde.
In dem erkennbar aus Sorge um den Wissenschaftsstandort Deutschland verfassten Brief wird mit Begriffen wie Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit sehr freigiebig hantiert. So pflegen die Briefeschreiberden Gestus der „Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen“. Der Topos von der ehrlichen Arbeit, ob im Wissenschaftssektor oder anderswo, schafft fast zwangsläufig problematische Grenzziehungen. Mit ihm kann man jedes Ressentiment begründen. Denn dagegen steht dann der Nichtehrliche, der sich Doktortitel, Lohn, Arbeitslosengeld unrechtmäßig erschleicht. Tatsächlich wird Guttenberg in dem Brief auch die „Erschleichung des Doktortitels“ vorgeworfen. Doch dieser Begriff,der sonst häufig als Ressentiment gegen sogenannten Transferleistungsbezieher in Stellung gebracht wird, die angeblich Leistungen ohne Mühe und Arbeit einheimschen, wird nicht dadurch besser, dass es nun gegen einen Minister mit Adelsstatus verwendet wird.
Die Unterzeichner des Briefes machen selbst deutlich, dass sie gegen die Unehrlichen sanktionsbereit sind. „Verstoßen unsere Studentinnen und Studenten gegen diesen Kodex (der scientific community P.N.), sind wir gehalten, ihre Prüfungsleistung als ungenügend zu bewerten. Bei erneutem Verstoß droht in aller Regel die Exmatrikulation.“
In dem Brief wird dieser aktuell gültige Zustand nicht nur beschrieben, sondern ausdrücklich verteidigt und mit Wertebegriffen wie Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein aufgeladen. Kein Gedanken wird daran verschwendet, ob der Kodex überhaupt noch in die aktuelle Zeit passt.
„Recht zum Kopieren und zur Transformation“
Dabei war die Diskussion schon einmal weiter:
„Wenn da die komplette Zeit über rein interpretiert wird, dass das, was ich geschrieben habe, ein Stellvertreterroman für die Nullerjahre ist, muss auch anerkannt werden, dass der Entstehungsprozess mit diesem Jahrzehnt und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts zu tun hat, also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation, “ lautet ein Zitat aus der Erklärung, die dieSchriftstellerin Helene Hegemann vor über einem Jahr auf dem Höhepunkt der Diskussion um ihren plagiierten Roman Axolotl Roadkill abgegeben hat. Die Rolle der Doktoranden im Falle Guttenbergs nahmen im letzten Jahr bekannte Schriftsteller ein (www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,683716,00.html), die mit ihrer Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums (https://vs.verdi.de/urheberrecht/aktuelles/leipziger-erklaerung ) dagegen polemisierten, dass Diebstahl als Kunst hingenommen werde und noch mit einem Preis ausgezeichnet wird. Zu diesem Aufruf gab es kritische Stimmen (www.litaffin.de/literaturbetrieb/abrechnung-mit-helene-hegemann/ ). Ein Jahr später blieb die Auseinandersetzung weit hinter dem zurück, was damals diskutiert wurde. Sicherlich ist es leichter eine junge Schriftstellerin, als einen konservativen Minister zu verteidigen. Doch im Kern ging es um die gleiche Frage. Welchen Status haben Urheberrechte in Zeiten des schrankenlosen Copy and Past? Diese Frage nicht einmal auch nur in einem Nebensatz gestellt zu haben, ist das größte Versäumnis der wissenschaftlichen Guttenberg-Kritiker.
Peter Nowak
Kommentare 6
Es ist ganz einfach, Herr Nowak. Im Falle wissenschaftlicher Arbeit würde das Abschaffen der Zitierregeln dazu führen, dass neue Erkenntnis nicht mehr zu gewinnen und erkennbar wäre. Nachprüfbarkeit von Behauptungen wäre nicht mehr gegeben - auch und gerade nicht im Zeitalter von Suchmaschinen. Ob es sich hierbei um den (ehemaligen) Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg handelt (Freiherr ist er nicht wirklich, denn wir haben in unserer demokratischen Republik keinen Adel mehr, der diese Titel als Funktion oder Amt auführt und ausfüllt) oder einen "normalen" Wissenschaftler, spielt dabei keine Rolle.
Ihr Vergleich mit Helene Hegemann hinkt an dieser Stelle - denn hier geht es um Kunst, und da ist das Thema der Urheberrechtsverletzung wesentlich diffiziler und sollte tatsächlich überdacht werden.
In dem Brief wird dieser aktuell gültige Zustand nicht nur beschrieben, sondern ausdrücklich verteidigt und mit Wertebegriffen wie Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein aufgeladen. Kein Gedanken wird daran verschwendet, ob der Kodex überhaupt noch in die aktuelle Zeit passt.
In der aktuellen Zeit braucht man keine Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewußtsein mehr?
Den neuen Kodex können Sie in Berlusconistan leben!
Zunächst klar: Wissenschaft bezieht sich zunächst auf Wissenschaft und muss diesen Bezug explizieren, um eben Wissenschaft zu sein.
... aber interessant ist der Zusammenhang von Guttenberg und Hegemann schon, denn das Motiv scheint ähnlich gelegen. In beiden Fällen ein großer kreativer Vater, dessen übertriebene Ansprüche man genügen muss: also ein etwas angestrengtes Selbstaufwertungsbedürfnis. - moralisch allerdings unterschiedlich zu bewerten -- bei einem pubertären Mädel und einem neuen Berlusconi ...
@ Till Nikolaus von Heiseler
Zunächst klar: Wissenschaft bezieht sich zunächst auf Wissenschaft und muss diesen Bezug explizieren, um eben Wissenschaft zu sein.
Würden Sie mir bitte diesen Satz einmal erklären?
...ja Italien oder besser gesagt Berlusconien besitzt tatsächlich besondere Stilblüten hinsichtlich moderner oder, besser gesagt, erodierter Staaten die sich hinsichtlich ihrer Ausrichtung zu Enquete-, Meinungsumfragen-, Medien- und Marketingdemokratien allerdings nicht wirklich mehr allzu groß unterscheiden...
...andererseits: Im Kampf um die Macht in den unterschiedlichsten politischen Arenen der jeweiligen Epochen, ob nun zu Zeiten Robespierres oder heutzutage, zählte Aufrichtigkeit wohl nie so ganz zu einer besonders geschätzten Eigenschaft oder in diesem Fall Fähigkeit, die jemanden zu einem erfolgreichen Politiker oder politischen Agitator macht. Selbstverständlich, um nicht mißverstanden zu werden, schätze ich Aufrichtigkeit, aber in diesen "Arenen der Macht" zählt die List, die Intrige oder die Täuschung ja tatsächlich als hervorstechende Eigenschaft im Kampf gegen den Konkurrenten mehr als moralische Tugendhaftigkeit, auch wenn mir dies mißfällt...
tanti saluti
"Tatsächlich wird Guttenberg in dem Brief auch die „Erschleichung des Doktortitels“ vorgeworfen. Doch dieser Begriff, der sonst häufig als Ressentiment gegen sogenannten Transferleistungsbezieher in Stellung gebracht wird, die angeblich Leistungen ohne Mühe und Arbeit einheimschen, wird nicht dadurch besser, dass es nun gegen einen Minister mit Adelsstatus verwendet wird."
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bringt der Vergleich von Äpfel mit Birnen gar nichts. Das Erstellen einer Doktorarbeit mit Sozialleistungen in Verbindung zu bringen ist willkürlich und von daher ohne Aussagewert. Sprich: Polemik. Die sich in diesem Falle gegen WissenschaftsarbeiterInnen richtet. Das Thema Intellketuellenfeindlichkeit wäre allerdings wert, behandelt zu werden.
"Doch im Kern ging es um die gleiche Frage. Welchen Status haben Urheberrechte in Zeiten des schrankenlosen Copy and Past? Diese Frage nicht einmal auch nur in einem Nebensatz gestellt zu haben, ist das größte Versäumnis der wissenschaftlichen Guttenberg-Kritiker."
Mit dem wissenschaftlichen Arbeiten und dem schriftstellerischen Arbeiten ist es wie mit den Äpfeln und den Birnen. Es ist etwas grundsätzlich verschiedenes.
Ansonsten hat R.Richter das Grundlegende bereits ausgeführt. Ohne Fußnoten läßt sich wissenschaftlich überhaupt nicht sinnvoll arbeiten. Wie sollte sonst dargestellt werden können, auf welches Wissen rekurriert wird und was dazu im Gegensatz die herausgearbeitete und damit neu gewonnene Erkenntnis ist, die dann wiederum im wissenschaftlichen Diskurs zu erörtern ist.
Wenn durch die Copy-und-Paste-Technik eben dies verunmöglicht wird, wird wissenschaftliches Arbeiten unmöglich gemacht. Genau deshalb der Proteststurm aus der Wissenschaft. Wem die Grundlage seiner Arbeit entzogen wird, der wehrt sich. Nicht mehr und nicht weniger ist passiert. Den wissenschaftlichen ArbeiterInnen deshalb Überheblichkeit oder einen überholten Arbeits-/Verhaltens-Kodex zu unterstellen, ist daher unangemessen.