Mieter_innen oder kleine Läden verteidigen?

KreuzberggegenVerdrängung Auf den Kiezdemos gegen Verdrängung in Kreuzberg stehen zu viel die kleinen Läden und zu wenig die Mieter_innen im Mittelpunkt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die MieterInnenproteste lassen sich nicht durch vage Versprechungen einer rosa-rot-grünen Berliner Koalition beruhigen. Das wurde am 25.2. deutlich, wo eine Kiezdemonstration gegen Verdrängung in Kreuzberg ca. 2500 Menschen auf die Straße brachte. Zunächst sah es nach einen überschaubaren Kreis aus, als sich um 14 Uhr knapp 1000 Menschen am Heinrichplatz einfanden. Das aussagekräftigste Transparent hängt bereits längere Zeit an den Fenstern eines Hausprojekts: „Schweinesystem Kapitalismus“, ist dort zu lesen. Auf den oft selbstgepassten Schildern, die viele Demonstrant_nnen mit sich führten, waren oft die sehr konkreten Auswirkungen kapitalistischer Verwertung zu lesen. Es ging um dabei oft um kleine Läden und Projekte, die wegen der massiven Mietsteigerungen ihr Domizil verlassen sollen. Ein Teil dieser von Verdrängung bedrohten Läden wurden auf der Demonstration besucht. Auf der Route schlossen sich dann viele weitere Menschen an. Dazu gehört der Buchladen Kisch und Co. in der Oranienstraße, das Cafe Filou in der Reichenberger Straße und der Haushaltswarenladen Bantelmann in der Wrangelstraße 86. Nur wenige Hausnummern weiter befand sich der Gemüseladen Bizim Bakal, dessen Kündigung vor zwei Jahren zum Startschuss für die Bizim-Kiez-Bewegung wurde. Trotz einer Aufmerksamkeit weit über Berlin hinaus, gab der Besitzer schließlich aus gesundheitlichen Gründen den Laden auf. Doch auch nach der Demo gehen in Kreuzberg die Proteste weiter.
MieterInnen mit geringen Einkommen sollten mehr im Fokus stehen
Was mit den Wohnungsmieter_innen des Hauses geschehen ist, die anders als der Laden nicht im Fokus der Aufmerksamkeit standen, ist nicht bekannt. Genau das war auch bei der Demonstration am Samstag das Problem. Sicher wurden in einigen Redebeiträgen auch die drohenden und schon vollzogenen Vertreibungen von Mieter_nnen thematisiert, beispielsweise vom Bündnis gegen Zwangsräumungen. Eine gute Zusammenfassung der Vertreibungspolitik und ihrer Ursachen lieferte Konstantin vom Kiezplenum Neukölln. Er sprach auch einige aktuelle Projekte an, die zur Aufwertung des Kiezes beitragen, wie die geplante Bebauung der Cuvry-Brache und das Google-Lab, das in Kreuzberg entstehen soll. Doch die starke Konzentration der Demoroute auf die von Vertreibung bedrohten Läden wurde von einigen Teilnehmer_innen durchaus kritisch gesehen. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch den MieterInnen der Otto-Suhr-Siedlung einen Besuch abstatten“, meinte eine Frau. Schließlich haben sie Anfang Februar zahlreiche Bewohner_innen der nordwestlich des Moritzplatzes gelegenen Siedlung mit einer Kundgebung und einer Pressekonferenz auf die massiven Mieterhöhungen aufmerksam gemacht, mit denen die Deutsche Wohnen die ehemaligen Häuser des Sozialen Wohnungsbaus zur Profitquelle machen will. Viele der betroffenen Mieter_innen haben dort niedrige Einkommen oder Renten oder beziehen Leistungen nach Hartz IV. Für diese Menschen hat eine Mieterhöhung besonders existenzielle Auswirkungen und kann schnell in einer Zwangsräumung enden. Auch wenn die Kündigung von bestimmten Läden für die Betreiber_innen und auch viele Anwohner_innen sicherlich mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden und mit Recht Gegenstand von Protesten ist, kann sie nicht mit Wohnungskündigungen verglichen werden. “ Gerade einkommensschwache Menschen, die wenig Unterstützung haben, sollten mehr in die MieterInnenbewegung einbezogen werden, “ erklärte ein Demonstrant. Er hofft, dass bei den weiteren Protesten gegen die Verdrängung in Kreuzberg, die schon angekündigt wurden, auch diese Mieter_innen nicht vergessen werden. Tatsächlich sollte die Mieter_innenbewegung nicht zu einer Rettimgsbewegung für den kleinen Mittelstand werden. Der ist im Kapitalismus immer vom Untergang bedroht, aber es hat einen guten Grund, Wohnungen nicht zur Ware und zum Spekulationsobjekt zu machen.
Peter Nowak
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden