Wenn die Eltern Nazis sind

Interview Durch ein Versehen wurde zunächst eine falsche Interviewfassung von Andreas Hechler hier veröffentlicht. Hier jetzt das richtige Interview. Sorry für das Versehen.

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Wenn die Eltern Nazis sind

Foto: Imago/IPON

Andreas Hechler ist Ethnologe ist unter anderem für Dissens - Institut für Bildung und Forschung Berlin tätig. Für die Bremer Fachstelle Rechtsextremismus und Familie hat er die Broschüre Funktionalisierte Kinder. Kindeswohlgefährdung in Neonazifamilien - eine Hilfestellung für Fachkräfte in den Bereichen Recht und (Sozial-)Pädagogik« verfasst. Sie kann unter info@rechtsextremismus-und-familie.de bestellt werden.

1.) Durch den Film "Kleine Germanen" wurde das Problem von Kindern in rechten Elternhäusern einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Ist er eine diskussionswürdige Quelle?

Andreas Hechler: Es hat ja verschiedene Kritiken an dem Film gegeben. Er basiert weitestgehend auf einer wahren Geschichte, die zugleich ein sehr bekannter Fall ist und den ich auch mehrfach in der Broschüre aufgreife. Die Hauptprotagonistin, die im Film „Elsa“ genannt wird, ermöglicht Empathie, das finde ich gut. Zugleich fehlen m.E. einige relevante Aspekte neonazistischer Erziehung, so u.a. die häufig auftretenden enormen Loyalitätskonflikte bei den Kindern.

2.) Was ist Ihre Hauptkritik an dem Film?

Andreas Hechler: Wirklich problematisch ist der Film in seiner Machart da, wo er führenden Rechten im deutschsprachigen Raum extrem umfangreich und eher unkritisch Raum gibt, die – wie fast alle Menschen – verklärt und romantisiert auf ihre „glückliche Kindheit“ zurückblicken. Dadurch, dass sie so harmlos daherkommen, wird zu ihrer Legitimation beigetragen. Kontrastiert wird das einerseits mit Rechtsextremismusexpert*innen, die aber nur als Stimme im Off erscheinen und keine Gesichter haben, dadurch auch keine Nähe über persönliche Erzählungen herstellen können. Und andererseits mit Bildern völkischer Erziehung, die abstrakt bleiben. Da Bilder wirkmächtiger sind als Worte, gibt es hier eine große Schieflage, die Gefahr läuft, neonazistische Erziehung und Ideologie entgegen der Intention des Films zu relativieren.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Opfer von Neonazis quasi gar keinen Raum bekommen – Neonazis tun aber nicht nur ihren eigenen Kindern Gewalt an, sondern auch sehr, sehr vielen anderen Menschen. Genau aus diesem Grund habe ich in der Broschüre ein eigenes Kapitel zu der Frage geschrieben, was für andere Kinder gefährdend sein kann.

3.) Sie schreiben, dass es wenig Literatur "Kinder in Nazifamilien“ gibt. Woran liegt das?

Andreas Hechler: Ich denke, dass einerseits die Entpolitisierung von „Privatheit“ eine ganz zentrale Rolle spielt, wozu eben auch Familie und Erziehung gehört. Dann gibt es nach wie vor einfach wenig Forschung in Deutschland zum Themenbereich Rechtsextremismus, auch wenn bei vielen Menschen ein anderer Eindruck vorherrscht. Viele wiederum, die in diesem Themenbereich forschen, folgen der zuvor angesprochenen Konstruktion in privat auf der einen Seite und öffentlich/politisch auf der anderen, nicht zuletzt auch deswegen, weil es eine männliche Dominanz im Bereich der Rechtsextremismusforschung gibt und feministische Perspektiven nach wie vor marginal sind. Nicht zuletzt ist es auch schwierig, diese Szenen zu beforschen, da sie stark abgeschottet sind und es nur wenige gibt, die sich distanzieren und aus dem Innenleben berichten.

4.) Was motivierte Sie zu der Erstellung der Broschüre?

Andreas Hechler: Ich habe viele Jahre Jungen*arbeit in Berlin-Marzahn gemacht und Erfahrungen mit Familien und Fragen von Kindeswohl gesammelt. Ich war die letzten Jahre in der Erwachsenenbildung tätig und habe viel von pädagogischen Fachkräften aus ihrer Arbeit im gesamten Bundesgebiet mitbekommen. Vor einige Jahren habe ich dann eine Weiterbildung als Verfahrensbeistand gemacht, in dessen Rahmen ich mich vertieft mit Kindeswohlgefährdung in neonazistischen Familien beschäftigt habe, da ich beides separat schon für ein großes Problem halte, in der Kombination aber besonders. Meine Beschäftigung hat mich stellenweise extrem wütend gemacht, weil es so gemein ist, was diesen Kindern angetan wird.

5.) In dem Titel ist explizit von Neonazifamilien die Rede. Fallen damit auch Kinder von AfD-Politiker*innen oder wie in den Film "Kleine Germanen" auch Kinder der Familie Kositza/Kubitschek darunter?

Andreas Hechler: Generell lässt sich sagen, dass Kinder in rechten Familienverbünden häufig für einen übergeordneten Zweck funktionalisiert werden, deswegen ist der Titel der Broschüre auch „Funktionalisierte Kinder“. Kinder spielen eine elementare Rolle für den Fortbestand der „Sippe“, der „Rasse“ und des „Volks“, sie alleine garantieren Beständigkeit für derartige ideologische Konstruktionen. Deswegen bekommen viele Rechte auch so viele Kinder.

Exemplarisch lässt sich diese Funktionalisierung bei Neonazis zeigen, ist aber auf andere Beispiele übertragbar. Im Übrigen tun dies auch die deutsche Politik und Justiz, wenn sie ein politisches Interesse daran haben, beispielsweise bei Islamismus, wo häufig eine Handlungsfähigkeit bei Kindeswohlgefährdung demonstriert wird, wie man sie sich bei Neonazis wünscht.

Generell ist bei Fragen der Kindeswohlgefährdung aber immer eine Einzelfallprüfung notwendig, was ich auch richtig finde. Ich weiß zu wenig über die Kindererziehung der Kubitscheks und maße mir hier kein Urteil an.

6.) Es sind Fälle bekannt, wo rechte Eltern auch in Elternvertretungen von Schulen aktiv sind. Befassen Sie sich damit?

Andreas Hechler: Ja, das wird auch in der Broschüre thematisiert. Die NPD hat 2010 in ihrer hauseigenen Postille „Deutsche Stimme“ Stimme ganz offiziell ihre Anhänger*innen dazu aufgerufen, soziale und pädagogische Berufe zu ergreifen. Häufig fällt diese Aufgabe im Rahmen einer ideologisch motivierten Geschlechtertrennung den Frauen zu. Teil rechter Hegemoniebestrebungen ist seit vielen Jahren der Aufbau einer braunen Graswurzelbewegung und die Verankerung ihrer Leute und Positionen im Alltag. In diesem Rahmen würde ich das von Ihnen angesprochene Phänomen verorten.

7.) Wann würden Sie staatliche Eingriffe im Interesse des Kindeswohls befürworten und Kinder aus Neonazifamilien nehmen?

Andreas Hechler: Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Es ist immer eine Einzelfallprüfung notwendig, was ich auch richtig finde. Eins der Dilemmata ist, dass es sowohl kindeswohlgefährdend sein kann, ein Kind in der Familie zu belassen als auch, es herauszunehmen. Ein weiteres Dilemma ist, dass aus der Arbeit mit Kindern, die in christlich-fundamentalistischen Gruppierungen aufwachsen, die kontraproduktive Wirkung bekannt ist, die eine gegen den Willen von Kindern durchgesetzte Herausnahme haben kann. Diese Kinder haben versucht, die ihnen zugewiesenen Pflegefamilien zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzukehren, auch wenn sie dort nachweisbar Zwangs- und Gewaltsituationen erwarten.

Was ich allerdings wichtig finde für die Überprüfung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, ist, auch inhaltliche Aspekte mit einzubeziehen wie beispielsweise eine neonazistische Gesinnung und Spezifika extrem rechter Erziehungsstile. Das passiert meiner Wahrnehmung nach viel zu wenig. Hierfür habe ich in der Broschüre Punkte erarbeitet, die hoffentlich Eingang in die einschlägigen Listen zur Überprüfung einer Kindeswohlgefährdung finden.

Interview: Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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