Wenn ein Gespräch über Spatzen zum Verbrechen wird

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Es gibt viele Filme über politische Repression.Doch der „Tag der Spatzen“ ist in vielerlei Hinsicht der außergewöhnlichste Film in diesem Genre. Schon der Beginn ist ungewöhnlich.Die Kameraführung ist extrem langsam. Erst putzen sich mehrere Hausspatzen, dann kommt ein einzelner Sperling ins Bild

Der Filmemacher Philipp Scheffner will damit an eine wenig beachtete Episode erinnern. Am14. November 2005 wird im holländischen Leeuwarden ein Spatz erschossen, nachdem er 23000 Dominosteine umgeworfen hat, die für eine Ausstellung aufgebaut worden waren. Via Internet war der „Dominospatz“ weltweit bekannt geworden. Er wurde schließlich konserviert und der holländische Wachtdienst bekam Todesdrohungen. Ebenfalls am 14. November 2005 starb in Afghanistan ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordattentat. Damit sind die beidenGrundthemendes Films beschrieben. Die Vögel und der Krieg.

Militär und Natur

Immer wieder führt die Kamera durch Natur, durch Wälder, die aus der Perspektive eines Vogelkundlers betrachten werden. Lustige Vögel mit langen Beinen watscheln öfter durch das Bild.Der Filmemacher kann dabei auf eigene Erfahrungen zurückblicken. Scheffner ist von frühester Jugend an ein begeisterter Vogelbeobachter und politisch bewusster Zeitgenosse.Mit der Kamera wird er die Zuschauer in abgelegene scheinbar idyllische Gegenden gelotst, wo es kaum Menschen gibt. Gerade dort trifft der Filmemacher auf militärische Einrichtungen, die möglichst wenig Publicity wünschen.

Dazu gehört das Einsatzführungskommando in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in einem Wildpark bei Potsdam, wo laut eigener Homepage “Operationen gegen irreguläre Kräfte“ geprobt werden. Das Bild zeigt drei Soldaten, von denen einer ein Gewehr auf einen Menschen in ziviler Kleidung richten. Das „Zentrum für Operative Information“, eine Bundeswehrdienststelle bei Mayen wurde bei Scheffners Vogelsuche ebenso umrundet, wie der Flughafen Büchel. Auch Militärstellen, diemögliche Schäden auf Militärflughäfen durch Vogelflug untersuchen, werden vorgestellt.

„Wir wollen nicht in ihrem Film auftauchen“

Im Film werden auch die Schwierigkeiten dokumentiert, denen Scheffner beim Drehen seines Naturfilms durch militärische Stellen, die argwöhnten, ausspioniert zu werden, begegnet.

Als sich Scheffner dann gar bei Bundeswehrstandorten in Afghanistan nach dem Vogelschutz erkundigen will, wird die im Film vorgestellte Kommunikation unfreiwillig komisch.

Zeigte die Pressestelle der Bundeswehr anfangs noch verhaltenes Interesse an dem Projekt, so kam bald die Absage. Doch Scheffner gab nicht auf und nahm immerKontakt auf, bis sich ein Ministerialbeamter weitere Kommunikationsversuche verbittet. Im Film sind der Emailverkehr und verschiedene Telefonate eingeblendet. Manchmal wundert man sich über Scheffners Hartnäckigkeit und seine Versuche, der Bundeswehr die Vorteile einer neuen Offenheit vor Augen zu führen.

Festnahme in Rambo-Manier

Der Höhepunkt des Filmes aber ist die Verhaftung seines Freundes Harald im Jahr 2007. Er wurdemit 2 weiterenMännernvon der Polizei bei einer antimilitaristischen Aktion verhaftet. Man sieht den Verhafteten nach seiner Haftverschonungbei der Vogelbeobachtung mit dem Filmemacher ins Gespräch vertieft. Fast beiläufig berichtet Harald über die Festnahme in Rambo-Manier, bei der die Polizei erst die Fenster des Autos und dann auf die Insassen einschlug. Bei einem der Beteiligten löste dieseFestnahmesituation ein Trauma aus und er ist noch immer in ärztlicher Behandlung.Harald berichtet auch, wie er nach seiner Festnahme per Hubschrauber zur Bundesanwaltsschaft nach Karlsruhe transportiert wurde, dabei seine Flugangst überwunden hat und noch einmal einen Blick in deutsche Vorgärten werden konnte. Er genoss die Situation, weil er wusste, dass er längere Zeit solcheBlickewissen wird. Wenn Harald demFilmemacher dann über sein antimilitaristisches Engagement und die Prozessführung erzählt und beide gleichzeitig ins Fernrohr blicken, wirken sie selber wie zwei weise Vögel

„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen ist, weil sie soviel Gesagtes mit einschließt“, schrieb Brecht. Scheffner hatmit seinem Film den Satz variiert. „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch fast ein Verbrechen ist...“. Den Film sollte man sich nicht entgehen lassen, wenn er gelegentlich in Programmkinos und vielleicht demnächst auch mal bei Arte läuft. Wer darauf nicht warten will, kann ihn ausleihen über das Berliner Institut für Film und Videokunst Arsenal (www.arsenal-berlin.de)

Peter Nowak

"Der Tag des Spatzen". Regie: Philip Scheffner. Essayfilm, Deutschland 2010, 104 Min.

Infos zum Film im Netz: www.dertagdesspatzen.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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