Wenn Gasteltern zu sehr scheitern

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Ein Film über Austauschschüler? Kann daraus nicht ein langweiliger Streifen herauskommen? Wenn man „12 Monate Deutschland“ sieht, der am 23.9. in die Kinos kam, muss man feststellen, das Thema kann kurzweilig sein. Die Regisseurin Eva Wolf hat einen Film über 4 Austauchschüler gedreht und manchmal war er einfach lustig, manchmal aber auch unfreiwillig ernst, weil er so viel über Deutschland unfreiwillig offenbart hat.


Deutscher Albtraum

Nicht nur die Schüler, auch die Herbergseltern waren denkbar unterschiedlich. Da ist die so klischeehaft deutsche Gastfamilie aus Sachsen-Anhalt, bei der man schon am Anfang weiß, dass die Beherbergung von Constanze aus Chile im Fiasko enden muss. Dabei bemüht sich die Schülerin alles richtig zu machen. Aber schon am ersten Tag ihres Aufenthalts unterhalten sich die Gasteltern über den Kopf von Constanze nur über die schulische Agenda, die sie zu bewältigen hat. Anfangs versucht man den Gast noch über das Wörterbuch zu kommunizieren, doch das wurde bald wieder zur Seite gelegt. „Hier spricht man Deutsch“, ist die Botschaft der Familie. ‚Später wird dort überhaupt nicht mehr gesprochen, weil alle Familienmitglieder an der Spielkonsole oder vor dem Fernseher hocken. Nach einigen MonatenwarConstanze aus diesem deutschen Albtraum erlöst. Fast hätte man sich gewünscht, Kwasi wäre auf diese Familie gestoßen. Der selbstbewusste junge Mann landete im Dörfchen Rastenberg bei einer ganz formen Familie und langweilte sich tödlich. Doch dafür ist die Gastfamilie kaum verantwortlich zu machen. Kwasi hat aus Liebe zu seiner frommen Mutter zugestimmt, in einem solch bigotten Umfeld ein Jahr seiner Zeit zu verbringen. Schnell merkte er, dass es keine so gute Idee war und wehrte sich zunächst verbal. Später gab es auch körperliche Auseinandersetzungen. Auch Kwasi wechselte die Gastfamilie und die Frommen waren schwer empört, weil ihr Gastsohn nicht dem Klischee den dankbaren kleinen Negerjungen entsprach, das man so hätscheln konnte.

Dagegen scheint Eduardo aus Venezuela eigentlich das große Los gezogen zu haben. Er kommt in eine linksliberale Hamburger Familie, die sich auf ihren Gast eingestellt hat. Nicht nur die Willkommensgrüße sind auf Spanisch geschrieben. Der Sohn der Familie kann sich auch perfekt mit Eduardo verständigen und wenn im „Spiegel“ ein Bericht über Venezuela erscheint, wird er ihm gleich zur Diskussion vorgelegt. Doch der schüchterne Junge fühlt sich überfordert. Jedenfalls geht auch diese Kooperation schief und er muss die Gasteltern gegen seinen Willen wechseln, was er sehr beklagt.

Naraike aus den USA dagegen hat eigentlich alle Freiheiten. Sie lebt im Berliner Haushalt einer alleinerziehenden Frau mit ihren 18jährigen Sohn, der natürlich anderes vor hat, als Familienleben zu spielen. Das aber hatte Naraike erwartet und sieht sich nach neuen Gasteltern um.

Wenn man dann erfährt, dass es gar nicht außergewöhnlich ist, dass Austauchschüler häufig ihre Gasteltern wechseln, fragt man sich, warum ein Wechsel nicht gleich mit eingeplant wird. Das gäbe doch den jungen Leuten auch die Chance, unterschiedliche Lebensentwürfe und Milieus kennenzulernen und sich dann nicht als Versager zu fühlen, wenn es nicht gleich klappt.

Eva Roth hat einen sehenswerten Film über ein recht trockenes Thema gemacht. Es macht Spaß, den Pflegeeltern beim Scheitern zuzusehen und manchmal macht es auch sehr nachdenkblich.

Peter Nowak

12 Monate Deutschland, Regie: Eva Wolf, Deutschland 2010, am 23.9. angelaufen

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Geschrieben von

Peter Nowak

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