Wenn Jakob Augstein vor Populismus warnt

Brexit Freitag 26/2016 Europa in Not lautet der Leitartikel von Jakob Augstein auf der Titelseite des Freitag von letzter Woche. Der sollte nicht unwidersprochen bleiben.

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Nur auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass sich auch der Freitag-Herausgeber das Brexitreferendums wegen der „Wechselfälle des Populismus“ generell infrage stellt (https://www.facebook.com/JakobAugstein/photos/a.257365520975050.67066.254924654552470/1183492298362363/?type=3&theat): Nun ist Augstein, wenn es um Kritik an Israel und den USA geht, durchaus nicht frei vom Populismus und es noch gar nicht so lange her, dass einen Linkspopulismus durchaus etwas Positives (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-wir-brauchen-einen-linken-populismus-a-1050085.html ) abgewinnen konnte. Doch Augstein gehört seit Jahren zu den Anhängern einer Strömung, die eine starke EU gegen die USA in Stellung bringen will. Daher ist seine harsche Ablehnung der Brexit-Entscheidung verständlich. Dass er dabei aber selbst die dümmsten totalitarismustheoretischen Argumente positiv aufgreift, ist dann etwas unter seinen intellektuellen Niveau. So schreibt er wieder jede historische Evidenz:

„Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit guten Grund nicht für direkte Demokratie entschieden sondern für die repräsentative? Die Antwort auf den Zweiten Weltkrieg, auf die Erfahrung des Totalitarismus lautet einfach keineswegs mehr Beteiligung der Bürger. Im Gegenteil: Die Demokratie wurde an die Leine gelegt. Sie wurde eingehegt …“

Augstein beschreibt hier richtig, wie die kapitalistischen Eliten in vielen europäischen Ländern im Zeichen des Kalten Kriegs die starken linken Bewegungen in Griechenland, Italien, Frankreich und andere Ländern oft gewaltsam an die Leine legte . Daraus wurde dann bei Augsein das ominöse Europa, das keine Klasseninteressen mehr kennt und die Ausschaltung der Linken wurde zu einer Lehre aus dem Totalitarismus. Dabei ist der Aufstieg des NS in einer Weimarer Republik erfolgt, in der revolutionäre Bewegungen schon 1918/19 blutig zerschlagen wurden und die daran beteiligten Freikorps waren die Keimzellen der NS-Bewegung. Nicht Volksabstimmungen sondern Notverordnungen, die selbst die repräsentative Demokratie ausschalteten, waren das Klima, in dem NSDAP stark wurde.

Wenn die Linke den Status-Quo verteidigt

Dass Augstein diese Zusammenhänge nicht erklärt sondern selber totalitarismustheoretische Erklärungen affirmiert, zeigt das Elend einer reformerischen Linken, die nach den Staatsapparaten rufen, wenn durch ein Referendum einmal ein Status Quo in Frage gestellt wird. Die Publizistin Charlotte Wiedemann nennt diese Haltung in ihrer Taz- Kolumne „Wohnen in der Defensive“.

Wir haben uns abgewöhnt, groß zu denken. Wir haben vergessen, dass man sich über den Status quo einfach hinwegsetzen kann. Die Utopisten von heute sind nicht wir, sondern jene, die aus purer Not handeln – oder von rechts“, kritisiert Wiedemann eine Linke, deren größter Graus es ist, wenn das alternativlose Weiter so mal wie bei der Brexit-Abstimmung unterbrochen ist. Wiedemann stellt weitere Fragen:

„Traut sich noch jemand, für irgendeinen Winkel der Welt die Berechtigung eines bewaffneten Kampfes anzuerkennen – außer Ursula von der Leyen? Nichts ist so out wie bewaffneter Kampf von unten, derweil militärische
Interventionen den Anstrich des Humanitären bekommen. Nur ein paar Ewiggestrige marschieren immer noch gegen Waffenexporte durch matschige Osterwiesen.“

Da könnte man auch Tony Blair und seine Fans anführen, die sich über einen Brexit und an einen „voreiligen Krieg“, der Tausende Menschenleben kostete, nichts auszusetzen haben. Aber man braucht diese Linke des Status-Quo gar nicht gleich nach den bewaffneten Kampf fragen. Wo waren nach dem Brexit-Entscheid, ihre Forderungen, dass das verschlissene EU-Personal, das in Großbritannien durchgefallen ist, zurücktritt? Juncker, der eigentlich wegen dem Luxemburg-Leaks vor dem Kadi landen müsste, ist doch der Prototyp jenes Europa, dass nichts mit einer sozialer Kooperation sondern mit Korruption, Postenschieberei und persönlicher Bereicherung assoziiert wird. Warum berauschen sich auch manche EU-Befürworter_innen an den Querelen im Lager der Brexit-Befürworter_innen und bejubeln jeden Rücktritt dort wie einen nachträglichen Sieg? Merken sie nicht, dass die Unfähigkeit derer, die am 22. Juni eine Niederlage einfuhren, persönliche Konsequenzen zu ziehen, kein Ausdruck von Stärke sondern von Schwäche ist? Die Rücktrittsforderungen werden auch deshalb nicht gestellt, weil dann viele fürchten, weil die EU-Konstruktion so fragil ist. Und wo bleibt eine linke EU-Kritik, wie sie auch Deutschland durchaus existiert (https://www.youtube.com/watch?v=bhfNN0urq58), in einer Zeit, wo sie dringend gebraucht wird?

Linke Politik in dieser EU nicht möglich

Gerade im Freitag hätte man sich gewünscht, dass auch die linken Brexit-Befürworter_innen, die es in Großbritannien sehr wohl gab, zu Wort gekommen wären. Dazu gehörte beispielsweise die britischen Eisenbahngewerkschaft, die weiß, dass eine von ihr geforderte Renationalisierung der Bahn innerhalb der gegenwärtigen EU nicht möglich ist. Auch viele Corbin-Anhänger_innen in der Labourparty wissen, dass das ambitionierte Sozialprogramm, dass der Labour-Vorsitzende im Sinn hat und als sozialdemokratisch bezeichnet werden kann, im EU-Rahmen nicht durchsetzbar ist. Dies ist nicht erst durch die Erpressung von Griechenland bekannt. Bereits vor mehr als 30 Jahren wurde die französische Linksregierung auf Austeritätskurs gebracht. In dem im Verbrecher-Verlag erschienenen Buch Frédéric Valin: Zidane schweigt. Die Équipe Tricolore, der Aufstieg des Front National und die Spaltung der französischen Gesellschaft, das auszugsweise in der Jungle World veröffenticht http://jungle-world.com/artikel/2016/26/54354.html wurde, gibt es dazu ein gutes Kapitel:

"Anfang der Achtziger versucht sich Frankreich an einer Alternative: Die Konservativen werden abgewählt, eine sozialistisch-kommunistische Regierung kommt an die Macht. Sie hat versprochen, das Diktat der Austeritätspolitik zu durchbrechen und – zumindest vorsichtig – das Wirtschaftssystem im Sinne der Arbeitnehmer umzubauen.

Der Beginn ist vielversprechend: Große Unternehmen werden verstaatlicht, der Mindestlohn heraufgesetzt, die Zinssätze abgesenkt. Es ist die Zeit des état de grâce, des Gnadenstaates. Die Ausgaben wachsen, man hofft auf eine baldige Erholung der Weltwirtschaft.

Hilfreich wäre ein generelles Konjunkturprogramm. Aber die anderen Länder beharren auf der bisherigen Linie der strikten Kostenkontrolle. Frankreich isoliert sich mit seinem Versuch, einen anderen Weg zu finden. Es reicht nicht, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt stabilisiert und der Binnenmarkt anzieht. Durch die höheren Steuern tun sich einige französische Firmen schwer im Wettbewerb. Obendrein bleibt der Dollar stark: Staats- und Außenhandelsdefizit wachsen an. Also muss der Franc abgewertet werden, dreimal zwischen 1981 und 1983.

Gleichzeitig macht die Deindust­rialisierung, das Abwracken unren­tabler Industriezweige, ganze Gegenden nach und nach zu urbanen Wüsten. Im Nordosten und in Lothringen vor allem hat sie tote Städte hinterlassen.

Das Experiment scheitert endgültig, als die Finanzmärkte beginnen, gegen den Franc zu wetten. Die Währung droht endgültig zusammenzubrechen und die exportorientierte Industrie mit sich zu ziehen. Frankreich bleibt nur die Wahl zwischen kompletter Abschottung und einer Rückkehr zum Liberalismus."

Damit wird zweierlei deutlich: NIcht nur dem ökonomisch unbedeutenden Griechenland sondern auch dem wesentlich stärkeren Frankreich gelang es nicht, eine andere sozialere Politik im Rahmen der EU und des Kapitalsimus umzusetzen. Daher müssten politische Kräfte, die eine sozialere Politik wollen, merken, dass das nur gegen die aktuelle EU geht. Eine zweite Erkenntnis ist genau so wichtig: Es reicht nicht, gegen die EU zu sein, der Kapitalismus muss in Frage gestellt worden Die EU ist nur der Rahmen, in dem sich der aktuelle Kapitalismus abspielt. Solche Diskusisonen hätte man sich im Freitag gewünscht und nicht Einstimmen in den Chor derer, die die Brexitentschediung als Kastrophe für wen auch immer bezeichnet. Da hat sich der Freitag als ein Organ des Status Quo erwiesen, statt Raum für eine linke EU-Kritik zu geben. Wollen wir hoffe, dass die noch nach geholt wird.

Peter Nowak

Hinweis. Der Autor war schon vor der Abstimmung für einen linken Brexit:

https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/fuer-ein-linkes-nein-beim-referendum

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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