Wie die die MFS-Aufarbeitung mißbraucht wird

Heinrich Fink Andrej Holm Diese beiden Kritiker der herrschenden Verhältnisse wurden wegen angeblicher MfS-Mitgliedschaft von der Humboldtuni entlassen. Bei beiden gab es starken Widerstand.

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Es ist schon einige Jahre her, dass Studierende in Berlin Universitätsräume besetzt haben, um für Verbesserungen ihrer Studienbedingungen einzutreten. Seit dem 17. Januar sind in Berlin allerdings wieder Räume des Instituts für Sozialwissenschaft. Sie protestieren damit gegen die Entlassung des Stadtsoziologen Andrej Holm, der in der letzten Woche nach einer Kampagne nach wenigen Wochen als Staatssekretär zurücktreten musste. Die Präsidentin der Humboldtuniversität erklärte, nicht die kurzzeitige Stasi-Mitgliedschaft von Holm sei der Grund für die Entlassung, sondern, dass er sich auf Erinnerungslücken beim unvollständigen Ausfüllen eines Fragebogens zum MFS berief und sich nicht von sich selbst distanzierte. Nicht nur Studierende auch Mieter_inneninis und stadtpolitische Gruppen haben Holm nach seinen erzwungenen Rücktritt bei der Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung begrüßt. Die Stimmung bei einer vom Holm einberufenen Versammlung am Tag des Rücktritts wird in diesen Videos deutlich (http://zweischritte.berlin/post/155971136483/kein-r%C3%BCckschritt). Die Anwesenden sind alles keine Anhänger_innen des Nominalsozialismus und schon gar nicht der Stasi.

Was in der DDR die Stasi war ist heute die Stasikeule

Aber sie wissen, dass 27 Jahre nach dem Ende der DDR noch immer mit der Stasikeule gegen Personen geschwungen wird, die auch im Nominalkapitalismus kritisch geblieben sind. Die auf Selbstorganisation im Stadtteil orientierte Treptower Stadtteilgruppe Karla Pappel, die es für einen Fehler hielt, dass Holm überhaupt den Staatssekretärsposten angenommen hat, schrieb über seine Verfolger (https://karlapappel.wordpress.com/):

"Die hassschäumende Stasiopfergemeinde war mit dem Fallbeil unterwegs – die nützlichen Idioten machten es der Bauwirtschaft, den Investoren und dem SPD-Filz leicht, die kaum dirigierend eingreifen mussten (aber es dennoch taten und manchmal dabei Gesicht zeigen mussten, nicht aber deren Hintermänner!).“

Wie die Humbodtuniversität gewendet wurde

Viele der Menschen, die sich heute für den Verbleib von Holm einsetzen, werden sich nicht mehr darin erinnern, dass ein kritischer Wissenschaftler bereits vor 25 Jahren von der Humboldtuniversität entlassen wurde, weil im MfS-Mitarbeit vorgeworfen wurde. Es handelt sich um den Theologen Heiner Fink, der nie bestritten hat, dass er für eine Verbesserung und nicht die Abschaffung der DDR eingetreten ist. Er war Symbolfigur derjenigen DDR-nahen Kräfte, die im Herbst 1989 ebenfalls eine Demokratisierung und eine Wende wollten. Höhepunkt dieser Bestrebungen, die auch die SED-Basis erfasst hatte, war die Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Die Einmischung der BRD verhinderte, dass das Vorhaben gelingen konnte. Die Protagonist_innen für eine demokratische DDR waren später besonderen Verfolgungen ausgesetzt, weil sie eben weiterhin kritisch blieben und auch bei den neuen Verhältnissen nicht staatsnah wurden. So wurde Heiner Fink auch zum Symbol für diese Erneuerungsversuche an der Humboldtuniversität. Daher gab es monatelange Proteste von Studierenden, die meisten hatten mit der Honecker-DDR nichts am Hut. Heinrich Fink hatte seine Erfahrungen in einem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Wie die Humboldtuniversität gewendet wurde (http://www.ossietzky.net/buecher&textfile=2211) zusammengefasst. Es ging damals darum, die letzten Reste marxistischer Ideologie vom Campus zu vertreiben Da waren nicht die Stasileute das Problem, die sich schnell den neuen Verhältnissen anpassten. Viel Gefährlicher waren die Menschen, die vor 1989 kritisch zu den Verhältnissen standen und dass auch nach1989 nicht änderte. Der Publizist Otto Köhler erinnerte daran, dass einige derjenigen Wissenschaftler_innen, die die Wende an der Humboldtuniversität durchsetze, bereits früher in der BRD auch Studierende relegiert hatte (http://www.sopos.org/aufsaetze/57c28e0a17474/1.phtml).

Für einen BRD-DDR-Vergleich auch bei der Repression

Viele derjenigen, die die Wende an den DDR-Hochschulen einleiteten, haben auch schon in der BRD die Praxis der Berufsverbote unterstützt, die wurde nach 1989 auf die DDR ausgeweitet. Aktuell ist im Berliner Haus der Demokratie eine Ausstellung über die Berufsverbote in der BRD zu sehen (http://www.berufsverbote.de/index.php/Ausstellung-Vergessene-Geschichte.htm). Der Obertitel „Vergessene Geschichte“ macht schon deutlich, die Opfer der BRD-Repression bekommen anders als die Stasi-Opfer keine staatliche Unterstützung bei ihren Kampf um Gerechtigkeit. Sie werden bis heute verfolgt, wie sich erst kürzlich daran zeigte, dass Silvia Gingold noch immer vom Verfassungsschutz überwacht. Sie hatte in den 1970er Jahren als Lehrerin Berufsverbot. Ihre Eltern waren als jüdische kommunistische Widerstandskämpfer_innen an der Befreiung von Frankreich beteiligt. Es ist schon auffällig, dass man von den Verbänden der Stasiaufarbeitung zu diesem Unrecht so wenig hört. Warum gab es da keine Kritik an der fortdauernden Überwachung von Silvia Gingold? Die Ausstellung zu den Berufsverboten ist im Haus der Demokratie zu sehen, der bekanntlich von der DDR-Opposition erkämpft wurde. Da bäte sich doch für die Robert Havemann-Gesellschaft und andere DDR-Oppositionelle, die auch zu den heutigen Verhältnissen in Opposition stehen, die günstige Gelegenheit, mit den Opfern der BRD-Repression zu kooperieren. Das würde den Weg eröffnen, die Stasidebatte raus zu lösen aus den Legitimierungsversuchen für die aktuellen Verhältnisse. Und es würde endlich den Weg freimachen, um eine Analyse der beiden Systeme in Ost und Westdeutschland nach 1945 und die Repression gegen Oppositionelle zu untersuchen. Ein solcher Ost-West-Vergleich wäre der einzige angemessene Weg. Da gehört die Verfolgung von Kommunist_innen oder von Menschen, die zu Kommunist_innen gemacht wurden in der BRD seit 1950 genau so dazu, wie die Verfolgung aller derjenigen, die sich gegen das stalinistische Modell der SED stellten, darunter viele Linke. Wen der Stasi-Forscher Ilko Sascha Kowalczuk in seinen Beitrag, der in Auszügen im Freitag (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/taeter-und-opfer) veröffentlicht war, darauf verweist, dass man nicht immer nur über den MfS sondern auch über die SED reden sollte, hat er Recht. Aber nicht im Sinne von Täter_innen und Opfer. Die SED hat mit der Roten Armee als Geburtshelfer in Deutschland nach der Niederlage des NS ein in ihren Augen sozialistisches Modell einführen wollen und die Gegner_innen verfolgen lassen. In der BRD hat die auf mehrere Parteien verteilte Kapitalistische Einheitspartei sich die Bewahrung des Kapitalismus nach dem Ende des NS auf ihre Fahnen geschrieben und hatte im Kalten Krieg die Unterstützung der Westalliierten. Auch dort wurde alle Gegner_innen der Restauration und Wiederaufrüstung von Anfang an verfolgt und kriminalisiert. Bestrebungen auch in Westdeutschland eine Sozialistische Einheitspartei zu gründen, wurde von den Alliierten verboten. Kritische Gewerkschafter_innen wie Willi Agartz wurden kriminalisiert und verfolgt. Kurz und knapp: Es gab zwei Modelle für ein Nachkriegsdeutschland und es gab in beiden Lagern die Verfolgung der Opponent_innen. Ist es 27 Jahre nach dem Ende der DDR noch immer nicht möglich, dass Menschen, die in beiden Systemen kritisch waren und sich auch heute nicht mit den herrschenden Verhältnissen abfinden, bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Repression kooperieren? Leider finden ich auch bei Ilko Sascha Kowalczuk keine Hinweise in diese Richtung. Freilich, eine solche Perspektive könnte lukrative Zuarbeit für heutige staatsnahen Organisationen wie die Bundeszentrale für Politische Bildung erschweren. Da hat sich auch nicht viel geändert. Solange wird deStasiaufarbeitung zur Bekämpfung kritischer Menschen wie Andrej Holm und Heinrich Fink eingesetzt und wird bei kritischen Zeitgenoss_innen aktuell als Teil der ideologischen Staatsapparate der BRD gesehen und als solcher auch zum Gegner.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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