Wie die Westlinke die DDR-Linke im Stich ließ

4.November 1989 Vor 30 Jahren wurde die Chance verpasst mit der linken DDR-Opposition auch die Verhältnisse in der BRD infragezustellen.

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Der linke DDR-Oppositionelle Jens Reich nannte den 4. November 1989 den schönsten Tag in der DDR. An diesem Tag war die DDR-Opposition auf der Straße. Es waren die Menschen, die gegen die autoritäre SED-Herrschaft die Prinzipien einforderten, die die DDR propagandistisch vor sich hertrug. Die Menschen forderten eine antifaschistische, sozialistische und ökologische DDR. Hätte die DDR-Oppositionsbewegung gesiegt, dann wäre vielleicht der 4. November heute Feiertag. Auf jeden Fall wäre er ein besonderer Erinnerungstag. Doch das ist nicht der Fall. Lediglich zum 30tes Jahrestag gab es einige künstlerische Aktivitäten. Dassder 9. November und der 3. Oktober die zentralen Daten des DDR-Umbruchs wurde, ist ein Zeichen für die Niederlage der DDR-Opposition. Das ganze staatsoffizielle Gerede von der friedlichen Revolution soll davon ablenken. Doch tatsächlich wurde die soziale Bewegung der DDR-Opposition gekapert vom BRD-Parteien- und Staatsapparat. Deshalb kam es zur Wiedervereinigung , dem Anschluss der DDR an die BRD. Der 3. Oktober ist die zynische Feier über die DDR-Opposition. Man kann es auch traditionell so ausdrücken. Mit dem 3. Oktoberwar der Sieg der Konterrevolution perfekt,besiegt war die DDR-Opposition, für die der 4. November ein Höhepunkt ihrer Erfolge der Wochen und Monate davor gewesen ist.

Der Riss ging auch durch die SED

Am 4. November zeigte sich, dass es auch in der SED einen Riss gab. An diesen Tag demonstrierten auch viele Basismitglieder der SED, ja sogar Teile des Mittelbaus. Auch dort gab es eine Bewegung von Kommunist*innen und Sozialist*innen geben, die mit dem stalinistischen Erbe aufräumen wollten. Das wäre sicher ein schmerzhafter und schwerer Kampf geworden. Aber es zeigte sich nicht nur am 4. November . Selbst unter den stalinistischen Überformung gab es noch einen Restbestand einer Utopie, wie sie in der Internationale formuliert ist. Das lag sicher auch daran, weil in der DDR der Stalinismus sich nie so flächendeckend durchsetzte, wie in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten. Vor allem die Kämpfer*innen gegen den Nationalsozialismus, die nach 1945 beim Aufbau des Sozialismus in der DDR entschieden, hatten diese Utopie nicht ganz vergessen und auch ihre Söhne und Töchter weitergegeben. Der Filmemacher Thomas Heise ist ein solcher Nachkomme. Er kommt aus einer Familie, für die der Antifaschismus auch in der DDR maßgeblich war. Sie rieben sich immer wieder an der autoritären Parteistruktur der SED, eine Flucht in die BRD war aber für sie kein Thema. In seinen jüngsten Film „Heimat ist ein Raum auf Zeit“ bringt Heise in der Länge von über 3 Stunden die unabgegoltenen Utopien der DDR zur Sprache. Es ist ein Film, in dem es eben nicht um die DDR-Dauerbrenner Stasi und Mauer geht. Hier sieht man Menschen, die täglich an den Zuständen in der DDR leiden, gerade, weil sie sie erhalten wollen. So könnte man sagen, Heise hat hier auch einen Film produziert, der die Protagonist*innen des 4.November Gerechtigkeit wiederfahren lässt. Bereits vor 10 Jahren zeigte Thomas Heise in dem Film Material in einer Episode, wie die SED-Basis auf dem Parteitag im Dezember 1989 den Aufstand gegen die stalinistischen Strukturen wagten. Wir sehen aufgewühlte Delegierte, teilweise sehr alt, die nicht fassen können, was aus den Traum von einer Sache, für die sie gelebt und gelitten haben, geworden ist. Wir sehen auch eine Basisdemokratie in Aktion, wenn die SED-Basis im kalten Dezember 1989 vor dem Parteitagsgebäude von der Partei Rechenschaft fordert. Die lange Zeit unnahbare Führung musste vor den Türen Rechenschaft ablegen. Hier hätte sich eine Kooperation zwischen linken DDR-Oppositionellen und kritischer SED-Basis entwickeln können.

Mit Nationalismus und Schwarz-Rot-Gold

Genau diese Entwicklung wollten die BRD-Eliten verhindern. Deswegen wurde gleich nach dem 4. November auf Nationalismus und Schwarz-Rot-Gold gesetzt. Mit der plan- und konzeptlosen Grenzöffnung am 9.November spielte die SED-Nomenklatura nicht zum ersten Mal das Spiel der BRD-Eliten. Nun konnte die Wiedervereinigungspropaganda nebst schwarz-rot-goldenen Winkelementen unkontrolliert über die offene Grenze kommen. Das nationalistische Bündnis Allianz für Deutschland - kurz AfD 1990 - nahm Gestalt an. So wurde erst das nationalistische Klima geschaffen, damit dann Tausende die nationalistischen Parolen herausschreien konnte. Ab Mitte November 1989 bekamen die Demonstrationen in den Städten der DDR den Charakter von Pegida-Vorläufern. Jutta Voigt hat das am Beispiel Leipzig gut beschrieben: (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/kehraus). Ähnliche Berichte konnte man Ende November von Antifaschist*innen in der Zeitung der DDR-Oppositionsbewegung telegraph lesen: (https://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/)

Das Versagen der BRD-Linken

Es zeichnete sich also bald ab, dass die BRD-Eliten nach dem 4. November die Konterrevolution vorantreiben würden. Mit der AfD 1990 wurde eine nationalistische Stimmung erzeugt, schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt und Wiedervereinigungsparolen geplärrt. Dabei wurde bewusst auf die revanchistische BRD-Verfassung rekurriert, deren Artikel 23 eine Heimholung der DDR zum Verfassungsrang erhob. Denn ein Stück Deutschland, in dem nicht mehr die Junker und Konzerne das Sagen haben, dass konnte es im Verständnis der BRD nicht geben. Auf diese Heimholung arbeitete sie seit Gründung der DDR hin. 1989 wurde das Programm nun wieder aktiviert. Denn nun bestand die Gefahr, dass eine DDR, die sich von der stalinistischen Erblast befreite, auch für die Linke in der BRD attraktiv wird. Doch wie reagierte die sowieso schon geschwächte Westlinke? Wo waren die Demonstrationen zur Unterstützung der DDR-Opposition für das Recht auf eine eigenständige Entwicklung in der DDR? Wo waren die Demonstrationen gegen den revanchistischen Artikel 23 und seine Umsetzung? Wo wurden die Lieferungen von nationalistischer BRD-Propaganda in die DDR nach der Grenzöffnung blockiert? Wo wurde der Wahlkampf der BRD-Parteien im DDR-Wahlkampf im März 1990 sabotiert? Es gab nur ganz wenige Aktionen dagegen. Übrigens war dieser Eingriff der BRD-Parteien in den Wahlkampf in die damals noch eigenständige DDR gegen den erklärten Willen der DDR-Opposition und den Runden Tisches durchgeführt. Die Westlinke war viel zu paralysiert durch die Ereignisse, um sich an die Seite der linken DDR-Opposition zu stellen. Dabei hätte sie die Ereignisse in der BRD als Ermutigung verstehen können, auch in der BRD die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Warum nicht auch die West-Stasi-Zentralen belagern und die Akten öffentlich machen? Warum nicht auch die Zentralen der Westparteien zu Orten des Widerstands machen? Dann wäre ein Sieg der linken DDR-Opposition vielleicht geglückt und der 4. November wäre als entscheidener Tag in Erinnerung geblieben. So aber wurde mit der Wiedervereinigung und dem 9. November der Sieg der Konterrevolution manifest.

Die Konterrevoluton in den Köpfen

Sie kann erst vollständig siegen, wenn sie sich auch in den Köpfen ehemaliger Linker durchsetzt. Der Taz-Kommentator Stefan Reinecke, der vor Jahren auch mal für die Vorläuferzeitungen des Freitag arbeitete, hat mit seinen Kommentar Geistiges Kleingärntertum (https://taz.de/30-Jahre-Mauerfall/!5635405/) dafür ein Beispiel gegeben. Es ist ein Lamento darüber, dass sich die Westlinke der Konterrevolution gegen die DDR-Linke nicht früher und nachhaltiger angeschlossen haben:

"Die westdeutsche Linke versammelte komplett: moralisch, analytisch und politisch. Moralisch gab es keine Rechtfertigung dafür, dem DDR-Volk, das sich gerade befreit hatte, vorzuschreiben, in welchem Staat es zu leben hatte. Warum sollte Selbstbestimmung in Tibet und der Westsahara gelten, aber nicht zwischen Rostock und Görlitz? Zudem hatte die DDR laut Grundgesetz-Artikel 23 misslicherweise das Recht, der Bundesrepublik beizutreten."

Stefan Reinecke, Taz

Allein, dass sich Reinecke auf den revanchistischen Grundgesetz-Artikel 23 beruft, den viele Linke vor 1989 mit Recht bekämpften, zeigt, dass es hier nur darum geht, dass die Linke nicht schon vor mehr als 30 Jahren die nationale Karte gezogen hat.

Reinecke wiederholt hier nur, was die FAZ, Bild und Co. schon immer behaupteten:

„Nach dem 9. November zeigte sich das geistige Kleingärtnertum der politischen Linken. Sie war fasziniert von Revolten gegen Autokraten – in dem Moment, in dem eine Revolution vor ihrer Haustür passierte, war sie schnell irgendwie beleidigt. Eine Epoche ging zu Ende. Die radikale Linke nahm übel, weil die Ossis genau das wollten, was sie ablehnte: Parlamentarismus und Kapitalismus.“

Stefan Reinecke, Taz

Das Gerede von den Ossis, die eigentlich den Kapitalismus wollten, unterschlägt eben, wie sie nach dem 4. November durch die Allianz für Deutschland auf die nationale Linie gebracht wurde. Rechte aller Couleur waren Bündnispartner.

Ja, ein großer Teil der Linken in der BRD hat 1989 politisch versagt, aber ganz anders, als Reinecke denkt.Sie hat versagt, weil sie die linken DDR-Opposition nach dem 4. November nicht stärker unterstützte. Sie hat versagt, weil sie nicht einmal versuchte, die Staatsapparate der BRDdaran zu hindern, sich in der DDR breit zu machen. Sie versagte, weil sie bald die Parole der Wiedervereinigung mehrheitlich selber aufnahm und damit einen erneuten deutschnationalen Burgfrieden inszenierte. Hiermit bereitete sie auch den Aufstieg der Rechten den Boden. Von der Allianz für Deutschland 1990 zur AfD heute ist es nur ein kleiner Schritt, von den Schwarzrotgoldenen Aufmärschen ab November 1989 zu Pegida ebenfalls. So ist der Faschismus wieder einmal die Strafe dafür, dass die Linke die Revolution nicht machte. Der 4.November 1989 war dafür ein entscheidendes Datum.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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