Wieviel NS steckte im deutschen Aufstand?

17. Juni Zum 60sten Jahrestag kommen vor allem aus Leipzig wichtige Impulse für die Diskussion über den Charakter des deutschen Aufstands

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Wieviel NS steckte im deutschen Aufstand?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Sind die Jungen Liberalen Nordberlin in den militanten Untergrund gegangen? Diese Frage stellt sich, nachdem sich diese bisher wenig bekannte FDP-nahe Jugendorganisation mit der Sprengung des Thälmann-Denkmals in Berlin-Mitte in die Schlagzeilen gebracht hat. Natürlich handelte es sich nur um eine symbolische Aktion, mit der die FDP-Jugend deutlich machen wollte, dass 22 Jahre nach dem Ende der DDR ein Denkmal für einen KPD-Vorsitzenden in Berlin auch dann nichts verloren hat, wenn er von den Nazis ermordet wurde.

Nicht nur die antifaschistische Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten – fand die Aktion allerdings gar nicht witzig und erinnerte daran, dass in den letzten Jahrzehnten Alt- und Neonazis mit versuchten Anschlägen auf solche Denkmäler aufgefallen sind – und auch an eine gerne vergessene Geschichte der frühen FDP.


"Ein Unterwanderungsversuch der FPD durch Altnazis wurde in der Nacht zum 15. Januar 1953 auf Veranlassung der Alliierten durch fünf Verhaftungen von Mitgliedern der sogenannten 'Gruppe Naumann' gestoppt. Insoweit zeigt sich das Sprengkommando der Berliner Julis, die das Thälmann-Denkmal 'symbolisch' in die Luft jagen wollen, durchaus traditions- und geschichtsbewusst", so die VVN – BdA in einer Pressemitteilung.

Dass vor 60 Jahren die Alliierten einen Nazivorstoß verhinderten, ist im deutschen Jubiläumskalender vergessen und dies hatten auch die Julis wohl nicht im Sinn. Ihnen ging es mit ihrer Sprengaktion um ein anderes Jubiläum, um das es wieder viel Streit gibt.

Arbeiter- oder Volksaufstand?

War der 17. Juni 1953 nun ein Arbeiteraufstand, wie es verschiedene antikapitalistische Linke in Ost und West seit Jahren behaupten – oder doch ein Aufstand des "geknechteten deutschen Volkes" im Osten? Diese von konservativen schon immer vertretene Version scheint sich jetzt mehr und mehr durchzusetzen. Selbst in der Taz wird die Version des 17.Juni als Arbeiteraufstandes von einem Historiker als "linke Version" abgekanzelt. Zuvor hatte schon Bundespräsident Gauck in seiner Rede deutlich gemacht, dass er den 17. Juni als nationale Freiheitsbewegung und keinesfalls als Arbeiteraufstand verstanden wissen will.

In die gleiche Kerbe schlägt auch der Beauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn, der gleich vorschlägt, den 17. Juni wieder zum bundesweiten Nationalfeiertag zu erklären und dafür den 3. Oktober zu streichen.

Doch die Stilisierung des 17.Juni wirft Fragen auf, die heute kaum jemand stellt.

Nur in Leipzig fand eine Diskussionsrunde unter einer ganz anderen Fragestellung statt. "17 Juni – Sozialrevolte oder Aufstand der TäterInnen?", hieß es dort. Es müsste eigentlich eine berechtigte Frage sein, wie demokratisch 8 Jahre nach dem Ende des Naziregimes dieser deutsche Auftstand war. Wenn es den Akteur_innen so sehr um Freiheit gegangen ist, wie heute Politiker_innen aller Couleur behaupten, warum haben sie dann nicht vor 1945 schon ihre Loyalität zum NS-Regime verweigert? Oder hat sie an der politischen Unterdrückung vor allem gestört, dass sie von Kommunisten und Sozialisten verübt wurde? Wo soll denn der demokratische Impetus bei einer Bevölkerung herkommen, die noch 8 Jahre zuvor als willige Vollstrecker_innen die letzten noch überlebenden Jüdinnen und Juden gejagt hat?

Jüdische NS-Überlebende, auch wenn sie keine Kommunistin waren, haben zumindest diesen deutschen Aufstand eher mit Befürchtung entgegen gesehen.

17. Juni - ein deutscher Aufstand?

Wie der Leipziger Historiker Philipp Graf in einem Jungle World-Beitrag darlegte, gab es für solche Befürchtungen auch genügend Gründe. Er beschreibt die dunkle Seite des 17. Juni in der DDR. So wurden Anhänger der neuen Ordnung in der DDR teilweise mit Schildern um den Hals durch die Stadt getrieben, in denen sie sich als Russenknechte bekennen mussten. Auch richtete sich der Hass des Mobs in vielen Fällen gegen Männer und Frauen, die als Gegner_innen der Nazis vor Ort bekannt waren. Historiker_innen wie Graf werfen eine neue Sicht auf den 17. Juni, die weder die SED-Propaganda noch die BRD-Hetze nachbetet. Dass trotzdem manches, was die SED über den Aufstand behauptete einen waren Kern hatte, mag nur die überraschen, die tatsächlich glauben, dass 8 Jahre nach der Zerschlagung des NS in Deutschland eine emanzipatorische Bewegung in der Bevölkerung gegeben haben könnte.

Peter Nowak

Hinweis auf eine interessante Diskussion zum Thema in Leipzig

http://www.conne-island.de/plakat/Infoveranstaltung.html

und

den besten Text zum 17. juni seit Jahren:

http://jungle-world.com/artikel/2013/24/47912.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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