Willkommen im Theater von morgen

CyberRäuber Das Künstlerkollektiv zeigt mit "Fragmente/ ein digitaler Freischütz" wie sich ein Theaterbesuch verändern wird.

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Theaterbesuche in Corona-Zeiten? In den letzten Wochen waren alle Spielstätten geschlossen. Vereinzelt gibt es jetzt wieder einige Öffnungen mit Abstandsregeln, die selber schon bestes Theater sind. Da machen sich sicher manche Gedanken, wie ein Theater der Zukunft aussehen kann.Eine Ahnung davon kann man im Collaboratorium (CLB), einen Kunstraum im Aufbau in der Nähe des Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg, bekommen. Dort wird noch bis zum 21 Juni täglich vier Mal der Freischütz gegeben. Das klassische Theaterpublikum wird sich wundern, wenn es den Raum betritt, der so gar nichts von einem klassischen bürgerlichen Theater hat. 4 Hocker sind in Abständen im Raum verteilt, dann werden die Theaterbescher*innen eingewiesen in die Bedienung der VR-Brillen und der Kopfhörer. Da sind wahrscheinlich jüngere Menschen geübter, weil sie die Gerätschaften täglichfür ihre Spiele benutzen. Ist man aber erst mal richtig eingestöpselt, sorry für den nicht fachgerechten Begriff, wird man schnell von den virtuellen Geschehen ergriffen. Man sieht Natur in Bewegung, Gewitterwolken werden vom Sternenhimmel abgelöst. Und mehrmals kommen einen Sängerinnen und Sänger sehr nahe, da beläuft sich der Abstand eher in Millimetern als in Metern. Aber, keine Panik, alles läuft virtuell ab. Man ist schnell so in dem Geschehen vertieft, dass man kurz aufmerkt, dass es Unterbrechungen gibt, wenn eine Seite neu geladen werden muss. Das geschieht aber in Sekunden und bald ist man wieder im Geschehen drin. Im Theater wechselt ja auch das Bühnenbild, aber es gibt einen Unterschied. Dann wird in der Regel gemeinsam applaudiert, was beim digitalen Freischütz natürlich entfällt. Ansonsten aber habe ich den oft pseudobürgerlichen Theaterraum nicht vermisst. Ich habe auch nicht so recht verstanden, warum in den letzten Wochen unisono immer wieder betont wurde, richtiges Theater könne nur dort stattfinden. Da wird auch immer die angebliche Nähe herangezogen, die die Theaterbesucher*innen angeblich haben. Dass gilt bestimmt nicht für diejenigen, die in den hinteren Reihenauf den billigen Plätzen sitzen und dann noch, wie im Berliner Ensemble, wenn sie bei der Platzwahl Pech haben, eine Säule vor der Nase haben. Was die Nähe, oder wie es jetzt so schön modern heißt, die Immersion betrifft, ist das virtuelle Theater unschlagbar. Da hat man tatsächlich das Gefühl,die Künstler*innen würden einen berühren. Es gab wohl schon Besucher*innen, denen das zu intim war. Aber auf der Brille findet sich auch dafür ein Knopf. Dort kann man nicht nur die Lautstärke sondern auch die Distanz einstellen. Vier Kapitel hat die Freischütz-Aufführung im CLB, als Bonus-Track gibt es noch eine fünfte besonders rätselhafte Episode. Unter dem Titel „Und wie verirrten sich“ geht es um eminent philosophische Fragen im Verhältnis zwischen Mensch und Erde, das sehr bildhaft gezeigt wird. Ich empfehle diesen fünften Track auf jeden Fall nicht zu verpassen.

Nur der Applaus fehlt

Angesteckt kann man bei einen solchen Besuch nur von den Wunsch werden, in Zukunft mehr solche Theaterabende zu sehen. Wenn hier das Theater der Zukunft vorgeführt wird, kann ich das nur begrüssen. Wer will, kann natürlich auch weiter in die traditionellen Bühnen gehen, die ja heute, wie das Hebbel am Ufer, das Gorki und die Volksbühne zeigen, den Muff des deutschen Biedermeier abgelegt haben. Aber in Zukunft kann man sich auch Theaterstücke zu Hause mit der VP-Brille sehe, die dann nicht teurer als ein Computer sein werden. Damit könnte vielleicht auch ein neues, jüngeres Publikum für das Theater interessiert werden. Die Entwicklung solcher Formate laufen seit Jahren, wie das Projekt der Berliner Medienkunstgruppe CyberRäuber zeigt.Marcel Karnake und Björn Lengers haben in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medien und dem Badischen Staatstheater, die beide in Karlsruhe ihr Domizil haben, den digitalen Freischütz entwickelt. Er ist im letzten Jahr bereits in verschiedenen europäischen Städten aufgeführt worden und jetzt erstmals in Berlin zu sehen. In der Corona-Ära werden die Menschen bekanntlich mit mehr oder weniger sanfter Gewalt in das digitale Zeitalter geworfen.Oft ist es mit mehr Belastungen für die Menschen verbunden. Wenn das Digitaltheater sich in den nächsten Jahren durchsetzt, sehe ich das hingegen entgegen mancher konservativer Kulturkritiker*innen, als Gewinn, vorausgesetzt, die Kulturschaffenden bekommen dafürein Honorar, von dem sie leben können. Aber das ist ja auch im klassischen Theater ein Problem, das sich nur lösen lässt, wenn sich die Betroffenen selbst organisieren. Dass ist im digitalen Thater nicht anders. Nur den Applaus vermisse ich .

Peter Nowak

„Fragmente. Ein digitaler Freischütz“, bis 21. Juni 2020 bei CLB Berlin im Aufbau-Haus am Moritzplatz in Berlin Kreuzberg. Voranmeldung unter www.clb-berlin.de

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Geschrieben von

Peter Nowak

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