"Wir wählen, wenn wir wollen."

Waldheims Walzer Ruth Beckermanns Film zeigt wie sich Antisemitismus, NS-Verherrlichung mit Wiener Gemütlichkeit verbinden.

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Um Österreich ist es ruhig geworden, nach der sogenannten Ibiza-Affäre, als durch einen Coup die rechte Koalition gesprengt wurde. Das liegt sicher auch daran, dass die Affäre nicht nur die Dumpf- und Dummheit der FPÖ-Spitze dokumentiert. Auch die Fragen, wer die Auftraggeber*innen des Coup sind, ist weiterhin offen. Doch bald dürfte die österreichische Innenpolitik wieder mehr in den Fokus geraten. Schließlich finden die vorgezogenen Nationalratswahlen am 29.September statt. Umfragen sagen Stimmengewinne für die konservative ÖVP mit ihren Vorsitzenden Sebastian Kurz voraus. Nun überlegenRealpolitiker*innen aller Couleur schon, wie eine Neuauflage der Koalition mit der FPÖ verhindert werden kann. Diese Konstellation ist durchaus denkbar. Schließlichwaren es ja nicht inhaltliche Gründe, die die Koalition zerbrechen ließ.

Die Erben des Austrofaschismus

Doch die ÖVP ist nicht im Vergleich zur FPÖ nicht etwa das kleinere Übel, als die sie heute gerne auch von Teilen der Linken dargestellt. Die ÖVP ist vielmehr nur die parteiförmige die sogenannte seriöse, eu-konformer Variante rechter Politik. Dabei wird gerne vergessen, dass die ÖVP historisch auf den Austrofaschismus zurückgeht. Deren Bannerträger Dollfuss war Mussolini-Anhänger und bekennender Faschist,aber er stand in Konflikt mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Er konnte von den anfänglichen Streitereien zwischen Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien profitieren. Nachdem sich der rechte Block gebildet hatte, war Dollfuss das erste Opfer. Er wurde bei einem NS-Putsch ermordet. Wie andere mit der NSDAP konkurrierende Rechte, die in Deutschland im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches umgebracht wurden, war auch Dollfuss deswegen kein Antifaschist. Sein Regime und die von ihm unterstützten völkischen, antisemitischen Heimwehren brachten Zigtausende Linke, Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen ins Gefängnis. Sie wurden beim Einmarsch der Wehrmacht dann in die NS-Konzentrationslager verfrachtet. Der Austrofaschismus bereitete den NS-Faschismus der Weg und die ÖVP ist der direkte Erbe des Austrofaschismus.Schnell hatte sich deren Basis mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht mit dem Nationalsozialismus arrangiert, nicht wenige wurden eifrige Nazis und beteiligten sich an deren Verbrechen.Das wurde bei der sogenannten Waldheim-Affäre deutlich, als die ÖVP mit Kurt Waldheim einen Mann als österreichischer Präsidentschaftskandidat aufstellte, der die typische Laufbahn eines Austrofaschisten gegangen ist. Er war mit seinen Bruder Mitglied einer katholischen Studentenverbindung, hielt Distanz zu den damaligen NS-Verbänden. Sein Vater wurde nach dem deutschen Einmarsch sogar kurz verhaftet. Die Familieals Dollfuss-Anhänger bekannt, zog sogar an einen anderen Ort. Waldheim hatte sich aber schnell in einem vom NS beherrschten Österreich eingelebt, studierte und promovierte 1944 über das Thema „Die Reichsidee von Konstantin Frantz“, den antisemitischen Propagandisten der Idee einesvereinbarten Mitteleuropas Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch es blieb nicht beim theoretischen Einsatz für den Faschismus. Das war der Gegenstand jener Waldheim-Affäre, die unsRuth Beckermann mit dem Film „Waldheims Walzer“ nach über dreißig Jahren noch einmal vergegenwärtigt. Beckermann war1985 selber Teil der Protestbewegung gegen die Kandidatur Waldheims, die sich vor allem aus Überlebenden des NS, jüdischen Organisationen und eben jungen Kulturschaffenden rekrutierte. Beckmann trug nicht nur Plakate gegen Waldheim. Sie war auch mit der Kamera dabei. Viele der Aufnahmen sind in dem Film zu sehen und machen ihn zu einer historischen Fundgrube.

Antisemitischer Mob am Stephansplatz

Der Film ist chronologisch angelegt. Wir sehen, wie der antisemitische Mob aktiver wurde, je mehrBeweise es gab, dass Waldheim in der Wehrmacht anNS-Verbrechen beteiligt war. Wir sehen ältere Frauen und Männer, die mitten am Wiener Stephansplatz Parolen gegen Juden herausschreien und Hitler verherrlichen. Waldheim und ÖVP hatten es nicht einmal nötig, sich davon zu distanzieren. Sie riefen vielmehr“ die vernünftigen Kräfte in den jüdischen Organisationen“ auf, die Kampagne gegen Waldheim zu stoppen, weil sonst der Antisemitismus geschürt werden könnte.Sie geben also den Juden die Schuld, wenn Altnazis in Wien gegen die Juden krakeelen. Waldheim zeigt sich hingegen bei Trachtenfesten und beim Intonieren von Heimatliedern. Die Szenen im Film zeigen sehr deutlich auf, wie sichvor 30 Jahren der Faschismus sich mit Wiener Gemütlichkeit verbandelte. Die ÖVP plakatierte Plakate mit der Parole „Wir wählen, wen wir wollen“. in Interviews wurde der damalige ÖVP-Vorsitzende deutlicher.Die Österreicher würden sich von niemanden vorschreiben lassen, wen sie wählen, nicht von Juden und auch nicht von Buddhisten“. Waldheim bekam bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Am Ende fragt man sich, wo bleibt denn in dem Film die FPÖ? Die kommt in dem Film tatsächlich kaum vor. Fürdie Propagierung von Antisemitismus und NS-Nostalgiehatte die ÖVP das Copyright. Doch wenn wir heute den Film sehen, wissen wir, dassdie Jahre des Kampfes um die Waldheimkandidatur auch dieZeit war, als ein damals noch unbekannter Provinzpolitiker namens Jörg Haider aus dem NS-Endlager FPÖ die Partie machte, die für die europäischen Rechten zum Vorbild wurde. Nur wenige Jahre tingelte Haider durch deutsche Fernsehstudios und warb für die neue Rechte. Nazis aller Couleur tragenHaider-Bilder mit der Aufschrift „Mein Freund ist Österreicher“. Wenn am 29. September Nationalratswahlen sind,geht es also im Wesentlichen darum, ob die Erben des Austrofaschismus, die ÖVP, die NS-Nachlassverwalter, also die FPÖ weiter in der Regierung brauchen. Keine schöne Aussicht für linke Kräfte. Da war man vor 100 Jahren auch in Österreich schon mal weiter. Auch dort hatte sich eine linke Rätebewegung gebildet, die die schon damals überholtenParteien auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollten. Ein neues Rätesystem wäre doch eine gute Möglichkeit, auch die ÖVP und die FPÖ mit den Parteiensystem hinter sich zu lassen. Unklar ist, was Ruth Beckermann von solchen Überlegungen hält oder ob sie auch der Logik des kleinen Übels folgt. Doch Waldheims Walzer sollte man sich auf jeden Fall angucken. Es ist auch 30 Jahre später ein verdammt aktueller Film. Vor einigen ist bei Salzgeber& Co. die DVD mit erschienen, in dem liefert Ruth Beckermann noch einige interessante Überlegungen zur Aktualität von Waldheims Walzer.

AT 2018, 93 Minuten, FSK 6, Dolby Digital 2.0 + 5.1, Region 2

weitere Infos zum Film:

https://www.salzgeber.de/presse/produktinfo/D426_WALDHEIMSWALZER_ProdInfo.pdf

Lesetipp zur Rätebewegung in Österreich:

Anna Leder, Mario Memoli, Andreas Pavlic (Hg.)
Die Rätebewegung in Österreich
Von sozialer Notwehr zur konkreten Utopie
17.00 €

https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=862

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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