Wir wollten das Leben ändern

Anne Beaumanoir Die 93 jährige Widerstandskämpferin gegen den NS stellt am Mittwoch ihre Biographie in Berlin vor.

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"Wir waren glücklich, meine Oma lebte mit uns, wir nannten sie Mutter Brunet. Sie war eine kleine Frau mit netten, aber nicht übertriebenen Rundungen, sie war verschmitzt und freundlich" Mit solchen harmonischen Sätzen beschreibt Anne Beaumanoir in ihren Lebenserinnerungen ihre zunächst unbeschwerte Kindheit in einer bürgerlichen Familie in der Bretagne, wo sie 1923 geboren wurde. Bereits 2009 waren sie in Frankreich erschienen. Jetzt hat sie der Verlag Contra-Bass auf Deutsch herausbracht und die Autorin hat mit 96 Jahren noch die Gelegenheit, diese deutschsprachige Übersetzung persönlich vorzustellen. Man liest sie von der ersten Zeile an mit großen Interesse und einer Grundsympathie für die Autorin. Mit der Idylle der Kindheit ist es bald zu Ende, als deutlich wurde, dass der Nationalsozialismus eine immer größere Bedrohung wurde. „Seit dem Sommer 1936 hatte ich nicht mehr die Wahl, ich kannte mein Lager“, beschreibt sie die Zeit ihrer Politisierung. Sie engagierte sich gemeinsam mit ihrer Mutterim Februar 1939 in einen Solidaritätskomitee zur Unterstützung spanischer Flüchtlinge, die vor den siegreichen Franco-Faschisten nach Frankreich geflohen waren. Schon die junge Frau wusste, dass die Gräuel, die die von Hitler-Deutschland unterstützten Faschisten über große Teile der spanischen Bevölkerung brachten, erst das Vorspiel für die Jahre des Terrors waren, als fast ganz Europa unter dem Banner des Hakenkreuzes stand. Sie beschreibt den Schritt in die Resistance ohne Heldenpathos. Aber sie macht auch deutlich, dass ihr die Gefahren von Anfang an bewusst waren. „Am Ende der Ferien brachte der Herbergsvater mich in Kontakt mit meinen Kameraden aus Rennes, wo ich studieren wollte. Und so kam es, dass ich ohne nachzudenken auf den Weg des Engagements in einen Kampf gebracht wurde, dessen Triebfedern ich teilte und dessen Unwägbarkeiten ich auf Anhieb akzeptierte, die – das wussten wir – der Tod sein konnten“.

Entscheidung für den kommunistischen Widerstand

Beaumanoir schildert, wie sie sich alsin ihrer Widerstandsarbeit für die Kommunistische Partei entschied, weil deren Untergrundorganisation, „etwas Anderes machte, als zu quatschen und in die Pedale zu treten“.Sie beschreibt ihre Untergrundarbeit als 18jährige in Paris, wo sie sich bei den älteren Genoss*innen als junge Frau oft erst einmal Respekt verschaffen musste. Ihre Jugend brachte ihr bei den öffentlichen Aktionen auch Vorteile. So gehörte sie zu denen, die bei den Kino-Wochenschauen das Wort ergriff, um gegen die deutsche Besatzung und ihre französischen Unterstützer zu agieren. Dort konnte sie sich oft vor eine Verhaftung schützen, weil die Passant*innen sie als junge Frau nicht als Gefahr sahen. Beaumanoir heroisiert das Leben im Untergrund nicht. Sie beschreibt die Liebe unter den jungen Genoss*innen, aber auch den Streit und die Zerwürfnisse, die ein Leben auf engsten Raume mit sich bringen.Auch die Rettung mehrererJuden, die sie vor der Deportation durch die Gestapo bewahrte, beschreibt sie als selbstverständlichen Akt der Menschlichkeit. Zwei der Geretteten haben sich später an die israelische Gedenkstätte Yad Vashem gewandt, die Beaumanoir die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ verliehen hat.

Allmähliche Enttäuschung vom Nominalsozialimus

Nach dem Sieg über den Nazis beendeteBeaumanoir ihr Medizinstudium, heiratete 1948 und engagierte sich zunächst mit viel Enthusiasmus in der Kommunistischen Partei Frankreichs. Ihre zunehmenden Entfremdung von der offiziellen Linie beschreibt Beaumanoir in den letzten Kapiteln des Buches. „Tausend kleine Resignationen bereiten die große Abdankung vor“, heißt der Satz, der den Kapiteln vorangestellt ist. Sie beschreibt auch, wie sie in den 1950er Jahren zunehmend Zweifel an der von der sowjetischen KP vorgegebenen Linie in der Wissenschaftspolitik aber auch auf anderen Gebiet hatte. Sie war damit auch unter ihren Genoss*innen nicht allein. Aber siemachte ihren Widerspruch früh öffentlich. Sie geht dabei auch mit manchen ihrer ehemaligen Genoss*innen hart ins Gericht, die ähnlich dachten, aber die Parteilinie nach Außen mitgetragen haben. Ihnen wirft sie Opportunismus vor.Beaumanoir hielt auch nach ihren Austritt aus der KP an ihren sozialistischen Überzeugungen fest. Sie engagierte sich für die algerische Befreiungsbewegung und wurde deswegen verhaftet. Später baute sie in Algerien ein egalitäres Gesundheitswesen mit auf. Das ist das Thema des zweiten Teils ihrer Biographie, auf hoffentlich auch bald auf Deutsch erschienen wird. Ein Glück, dass Beaumanoir noch über ihr Leben berichten kann.

Peter Nowak

Anne Beaumanoir, Wir wollten das Leben ändern, Band 1, Leben für Gerechtigkeit,Erinnerungen 1923 – 1956, Verlag Contra-Bass,2019
ISBN 978-3-943446-41-8, 208 Seiten, 15 Euro,

Infos zum Buch: http://www.contra-bass.de/bucher/wir-wollten-das-leben-aendern/

Anne Beaumanoir vom 26.6. - 29.6. in Berlin:

Ihr erster Auftritt dient der Präsentation des deutschsprachigen 1. Bandes ihrer Memoiren am Mittwoch, dem 26 juni ab 19.00 Uhr, im Café Paris-Berlin im Haus des Deutsch-Französischen Jugendwerks (Molkenmarkt 1 , Berlin-Mitte).
Moderation und Übersetzung: Anna Tüne.
Die Realisierung dieses Abends wird von folgenden Kooperations-Partnern unterstützt:
- Arbeit und Leben Herford e.V.
- Das Café Paris-Berlin
- Das Deutsch-Französische Jugendwerk.
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- Am Donnerstag, dem 27. Juni 2019 wird ab 19.00 Uhr im Literaturhaus Berlin, Fasanenstrasse 23 in Berlin-Wilmersdorf Anne Beaumanoirs Engagement im Kampf der algerischen Befreiungsfront FNL und ihre Mission im Gesundheitsministerium der 1. Revolutionsregierung Algeriens Thema sein.
Der erste Gesundheitsminister der Regierung Benbella war der legendäre Frantz Fanon, in dessen Ministerium Anne Beaumanoir (sie war mittlerweile ausgebildete Ärztin) bis zum Militärputsch gegen Benbella eingesetzt war.
Mit dieser in Anne Beaumanoirs Leben ebenso wichtigen Phase wie ihre Résistance-Zeit, befasst sich der 2. Band ihrer Memoiren der in deutscher Sprache erst im nächsten Jahr erscheint. Wir wollen dennoch die Chance ihres diesjährigen Aufenthaltes in Berlin nutzen, um sie auch zu diesem Thema zu hören und sie zu befragen.
Präsentation: Anne Weber / Moderation und Übersetzung: Anna Tüne.
Dieser Abend wird unterstützt von: Gegen Vergessen - für Demokratie e.V.
- Am Samstag, 29. Juni 2019 ab 19.00 Uhr begegnet Anne Beaumanoirjungen Leute des deutsch-algerischen Vereins Yedd.e.V.. Es sind natürlich auch alle anderen Interessenten eingeladen. Der Abend findet aber ausschließlich in französischer Sprache statt.
Thema wird vor allem die aktuelle Situation in Algerien sein.
Wo? in der französischen Buchhandlung ZADIG, Gipsstrasse 12, Berlin-Mitte.(Neue Adresse)
Moderation: Anna Tüne
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Geschrieben von

Peter Nowak

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