Alles nur ein Vorspiel

Januskopf Die "Instruktion" der katholischen Kirche zum Umgang mit schwulen Priesterkandidaten ist ein Lehrstück in Sachen Identitätspolitik

Das Verhältnis von katholischer Kirche und Homosexualität bietet genug Stoff für ein Melodrama. In Pedro Almodovars letztem Film Schlechte Erziehung stand die Verführung eines Jungen mit glockenheller Stimme durch den priesterlichen Chorleiter am Anfang der Biografie eines abgetakelten Transsexuellen, der schließlich als Junkie in den Straßen von Sevilla elendig zu Grunde geht. Grell allegorisierte dieser Plot eine kollektive Fantasie über kirchliche Institutionen und Doppelmoral.

Almodovar ging es mit dem priesterlichen Missbrauch von Minderjährigen kaum um anklagende Aufklärung. Vielmehr feierte der spanische Regisseur diese im besten Sinne klassische Perversion: Gegen den Katholizismus muss man sich gar nicht zur Wehr setzen, denn bei betäubenden Ritualen finden im Zwielicht der Altäre die Perversionen immer schon statt.

So gesehen ist die katholische Kirche nichts als camp: ein Ensemble erstarrter Formen und Gesten - wie im Hollywood-Film der vierziger Jahre, dem Jahrzehnt der großen Diven - die sich je nach subjektivem Verlangen verschieden libidinös besetzen lassen, so dass ihrer originären Bedeutung keine Autorität mehr zukommt. Im zunehmend säkularisierten Spanien 30 Jahre nach Francos Tod ist Almodovars Geschichte ein Plädoyer dafür, den katholischen Inzest unangetastet zu lassen. Denn dank Kirche lässt sich der inzwischen nostalgische Begriff der Subversion noch einmal ästhetisch in Szene setzen.

Aber Kirche ist nicht nur Kino. Mit Schlechte Erziehung leistete sich Almodovar auch einen ironischen Kommentar auf tatsächlich stattgefundene Missbrauchs-Skandale, die in den vergangenen Jahren vor allem in den USA und in Österreich bekannt geworden waren.

Um auf die heimliche Subversion, die die Würdenträger der Kirche gegenüber ihrer Institution immer schon selbst vollziehen, zu reagieren, brauchte die katholische Kirche etwas länger. Insgesamt acht Jahre wurde an einer "Instruktion" gearbeitet, bei der der ehemalige Kardinal Ratzinger und jetzige Papst Benedikt XVI. federführend gewesen ist. Schon vor Veröffentlichung des Papiers am vergangenen Dienstag hatte die katholische Nachrichtenagentur Adisat in der Woche zuvor Teile davon ins Netz gestellt.

Deutlicher als je zuvor äußert sich die Kirche darin zum Thema Homosexualität. Zunächst - und man wundert sich über diese fast komische Belehrung im Selbstverständlichen - macht sie ausdrücklich klar, dass das Keuschheitsgebot auch für schwule Priester gilt. Erklären lässt sich diese offenkundige Redundanz zunächst als Reaktion auf die bekannt gewordene pädophile, schwule Szene innerhalb der katholischen Kirche. Der Vatikan gesteht ein, dass es hier Handlungsbedarf gibt und betreibt eine Politik der Abschreckung.

Möglicherweise antwortet das Papier aber jenseits des Phänomens Pädophilie auch auf eine Nische, die schwule Sexualität im katholischen System gefunden hat. Denn eine sozusagen perverse Interpretation christlich verordneter Zwangsheterosexualität zu Fortpflanzungszwecken könnte schwulen Sex als Spiel im rechtsfreien Raum begreifen: was dem christlichen Dogma entsprechend nicht als sexuelle Handlung akzeptiert wird - Sex zwischen Männern - kann dann umgekehrt als solcher auch nicht sanktioniert werden.

Wie in der orthodoxen Psychoanalyse ist Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern einfach kein vollwertiger Sex - eine Sichtweise, die traditionellerweise vor allem auf lesbische Sexualität angewendet wurde: alles nur Vorspiel. Auf diese Weise würden auch aktiv schwul lebende Priester das Keuschheitsgelübde nicht einmal im Ernst verletzen. So wurden aus den "geweihten Ruhestätten" problemlos "schwule Kontakthöfe" schrieb Jan Feddersen in der taz.

Ob wegen tatsächlicher sexueller Aktivitäten oder nur symbolisch - in jedem Fall hat das katholische Milieu eine Anziehungskraft für Schwule. Aber der zwangsheterosexuelle Schutzmantel für homosexuelle Priester (10 bis 60 Prozent, so vage lauten die unbestätigten Schätzungen) funktioniert nicht mehr als Versteck der mehr oder weniger heimlichen Lüste. Was auch immer in den Kirchenräumen stattgefunden hat, durch das Eingeständnis des Vatikans ist es jetzt noch einmal von offizieller Seite diskursiv zum Vorschein gebracht worden.

Diese Geste homophob zu nennen, gelingt nur, wenn man bereit ist, das immer schon Homosexuelle katholischer Kultur selbst als Wert anzuerkennen. Jenseits davon lässt sich der Vatikan, wie auch sonst, für seine restriktive Sexualpolitik kritisieren, weniger als homophob. Doch das kirchliche Papier geht über die Frage der Keuschheit für Schwule hinaus. Hier lohnt es sich, etwas ausführlicher zu zitieren:

"Der Katechismus unterscheidet zwischen homosexuellen Handlungen und homosexuellen Tendenzen. Mit Blick auf die Handlungen lehrt er, dass sie in der Heiligen Schrift als schwere Sünden dargestellt werden. Sie können in keinem Fall gebilligt werden. Was die tief verankerten Tendenzen betrifft, die sich bei einer gewissen Zahl von Männern und Frauen finden, so sind auch diese objektiv ungeordnet und stellen oft, auch für die Betroffenen, eine Prüfung dar. Diese Personen müssen mit Respekt behandelt werden. Ihnen gegenüber ist jedes Zeichen ungerechtfertigter Diskriminierung zu vermeiden."

Zugegeben, es herrscht ein gewissermaßen respektvoller Ton. Aber nur, solange die Rede von der "Tendenz" nicht genauer betrachtet wird. Denn "Tendenz" bedeutet hier zugleich mehr und weniger als offenkundige "Handlungen". Während einerseits die "Tendenz" als bloß latente und noch nicht manifest gewordene Aktivität verstanden werden kann, benennt sie zugleich auch die Ursache jeder Handlung. Was mit dem Unterschied von Tendenz und Handlung hier also auch bezeichnet wird, ist die berühmte, von Michel Foucault analysierte Unterscheidung zwischen sexuellen Identitäten und sexuellen Handlungen, jenen Paradigmenwechsel im Denken von Subjektivität und Sexualität, den die Sexualwissenschaften des 19. Jahrhunderts und später die Psychoanalyse für das 20. Jahrhundert etabliert hatten.

Während einerseits schwule Identitäten vor einer Diskriminierung - wie es ausdrücklich heißt - geschützt werden sollen, sind sie auch jenseits des Keuschheitsgelübdes Grund genug für den Ausschluss Schwuler vom Priesteramt. Weiter lautet es in der Instruktion: "Es wäre von tiefster Unehrlichkeit, wenn ein Kandidat seine Homosexualität verbärge, um dennoch die Ordinierung zu erreichen."

Dieser letzte Aspekt ist von der Kirche noch deutlicher ausbuchstabiert worden. Und spätestens hier fängt das Papier an, auch für Schwule interessant zu werden, die nicht unbedingt vorhatten, Priester zu werden. Die Weisung aus dem Vatikan fordert einen Nachweis, dass schwule Priesteramtskandidaten mindestens drei Jahre ihre Sexualität nicht gelebt haben, eben auch "homosexuelle Tendenzen" wären Grund für den Ausschluss, so wie auch die Unterstützung der "Gay-Kultur" zu einem Berufsverbot führen kann.

In diesen ebenso diffusen wie weitreichenden Forderungen, spiegelt sich die Paradoxie jeder Identitätskonstruktion wider: was einerseits eine politische Anerkennung zum Beispiel auf rechtlicher Ebene bereit stellt - eine schwule oder lesbische Identität - wird gleichzeitig als subjektive Wahrheit verstanden, die auch jenseits von einzelnen Handlungen einem moralischen (oder früher medizinischen) Urteil unterliegt. Das ist nicht nur eine Anerkennung von Subjektivität, wie Feddersen in der taz befindet, wenn er schreibt: "Die ›Instruktion‹ erklärt Schwule zu echten Wesen. Sie sind nicht des Teufels. Die Kirche nimmt sie ernst." Feddersens Polemik ignoriert in einer vermeintlich provozierend - hauptsächlich aber konservativen Geste - die Janus-Köpfigkeit von Identitätspolitik und versteht deshalb nicht, dass hier paradoxerweise Anerkennung mit Diskriminierung einhergeht.

Dass die Kirche einen gewissen intellektuellen Aufwand betreibt, um schwule Lebensweisen jenseits von sexuellen Handlungen auszudifferenzieren, ist noch kein Grund zur Freude. Es ist zugleich auch eine ernsthafte Ausweitung der Diskriminierung, worauf zu Recht Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, ebenso wie der Experte der FDP-Bundestagsfraktion für Kirchenpolitik, Hans-Michael Goldmann, hinwiesen. Doch warum interessiert sich die katholische Kirche, der es bislang nur um die Unterdrückung der homosexuellen Handlungen ging, nun plötzlich für sexuelle Identitäten? Das wäre die Frage.

Ohne die widersprüchliche und problematische Argumentationslogik des Vatikans genauer unter die Lupe zu nehmen, reichte die Kombination der Reizworte "katholische Kirche" und "Homosexualität" schon aus, um die Sache auch jenseits der schwulen Medienszene nachrichtentauglich werden zu lassen. Die Meldung über die "Instruktion" schaffte es bis in die Tagesschau. Während ein Großteil der gay community die Frage nach schwuler Priesterschaft wahrscheinlich mit Almodovar im Genre des Melodramas am besten aufgehoben sieht - als schillerndes Spiel irgendwo zwischen erotischer Fantasie und Leidensgeschichte - steht für den liberalen Mainstream mit dem Schicksal schwuler Priester noch mehr auf dem Spiel.

Immerhin ist für westliche Gesellschaften Schwulenliebe zum Testfall der eigenen Liberalität geworden. Fortschrittlich zur Zeit in den meisten Ländern der EU, rückschrittlich in den USA. Auch wenn es komisch erscheint, dass der heterosexuelle Mainstream sich für das Schicksal der Priester eventuell mehr interessiert als die Schwulen - diese Geste hat nicht nur mit Selbstgefälligkeit zu tun, sondern besitzt auch symbolischen Wert. Was mit der Skepsis gegenüber der Personalpolitik der katholischen Kirche im heterosexuellen Mainstream auf dem Spiel steht, ist tatsächlich die Formulierung eines Wertekanons für westliche Gesellschaften.

In der gleichen Woche, in der das Vatikan Vatikan-Papier veröffentlicht wurde, hat überdies die neu gewählte polnische Regierung dafür gesorgt, dass eine Demonstration von Lesben und Schwulen in Posen gewaltsam aufgelöst worden ist. Das Thema Homosexualität wird vor allem auf europäischer Ebene in Zukunft mehr als nur ein rhetorischer Spielball sein. Ob Angela Merkel es - wie von den Lesben und Schwulen in der Union (LSU) gefordert - während ihres Antrittsbesuches in Polen an diesem Wochenende auf die Tagesordnung setzen wird?


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