Aus europäischer Perspektive gibt es zwei konkurrierende Erzählungen über Amerika: Die USA sind gesellschaftlich fortschrittlicher. Oder sie sind weitaus reaktionärer als wir. Sie sind ein im Westen einmaliges, großartiges Experiment gesellschaftlicher Diversität – oder ein zivilisatorischer Albtraum.
Beides ist wahr. Wie in den Filmen Hollywoods liegen hier Utopie und Dystopie eng beieinander. Barack Obama war 2008 als messianische Lichtgestalt angetreten. „Hope“ stand auf den Wahlplakaten des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA, und: „Yes, we can!“ Doch die Präsidentschaft Obamas hat die Gespaltenheit der USA dramatisch vor Augen geführt – wie seit den Rassenunruhen, dem Vietnamkrieg und den Bürgerrechtsbewegungen der 1960er nicht mehr. Trumps Wahl zum 45. Präsident ist eine Reaktion darauf.
„Den politischen Zenit hat meine Generation mit der Präsidentschaft Obamas erreicht“, meinte Matthew, Ende 20, einer meiner Studenten in Austin, Texas, vor der Wahl. Er hatte damit eigentlich seiner Ernüchterung über die demokratische Kandidatin Hillary Clinton Ausdruck geben wollen, die bei jungen Leuten nicht die Begeisterung entfachte wie Obama. Dass aber Trump ins Weiße Haus einziehen würde, schien für viele da noch unvorstellbar.
Die Frage nach Obamas Vermächtnis hat durch Trumps Sieg eine ganz neue Wendung genommen. Bei Obamas Amtsantritt vor acht Jahren sah es so aus, als seien dem sozialen Fortschritt keine Grenzen mehr gesetzt. Schließlich hatte die Weltmacht Amerika, in der bis vor 50 Jahren noch Gesetze zur Rassentrennung in Kraft waren, einen Schwarzen zum Präsidenten gewählt. Dafür, was in den USA alles möglich war, galt Obama als lebender Beweis. Und als Bote einer post-racial society.
Dass ein politisch begabter, charismatischer Mittelschichtsschwarzer im Weißen Haus jedoch allein nicht die Macht besitzt, den strukturellen Rassismus in den USA außer Kraft zu setzen, war eine Lektion, die Obama und seine Anhänger schmerzhaft lernen mussten. Zumal Obama selbst bemüht war, einen schwierigen Spagat hinzukriegen: Er wollte den Verdacht entkräften, dass er nur als Repräsentant einer Bevölkerungsgruppe Politik mache und nicht für alle Amerikaner. In seinem Fall hieß das, sein Engagement für die schwarze Bevölkerung musste die angstbesetzte Fantasie des wütenden schwarzen Mannes vermeiden. Obamas Höflichkeit und Eleganz, die ihm erst den Weg ins Weiße Haus ermöglichten, standen ihm aber auch im Weg.
Nur ein Vorzeigepräsident?
So musste seine Präsidentschaft für die schwarze Bevölkerung zwangsläufig zur Enttäuschung führen. Der Verdacht kam auf, dass Obama zum Vorzeigepräsidenten eines vermeintlich liberalen Bürgertums wird, das sich einen schwarzen Präsidenten so lange leistete, wie dieser keine konkreten Forderungen stellt, die einem Großteil der schwarzen Bevölkerung auch ökonomisch und sozial weiterhelfen würden. Eine Vorbildfunktion hatte er bestenfalls noch für die schwarze Mittelklasse.
Anders sah es für die schwarze Unterschicht aus. Wirtschaftliche Benachteiligung und soziale Probleme waren hier nach wie vor akut. Das Gefängnissystem, in dem überproportional viele Schwarze inhaftiert sind, wird mittlerweile als neue Form der Sklaverei betrachtet. Und wie real die rassistische Gewalt immer noch ist, zeigte sich in den Polizeieinsätzen, bei denen immer wieder schwarze Männer von weißen Polizisten erschossen wurden.
Mehr als die Hälfte der Amerikaner sagte bei einer Umfrage im Oktober, dass sich das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen unter Obama verschlechtert habe. Dass der Rassismus nicht beigelegt wurde, sondern vielmehr aufs Neue zum Vorschein kam, bekam nicht zuletzt Obama selbst zu spüren. Nie zuvor in der Geschichte der USA war ein Präsident mit einer derartigen Blockadepolitik im Kongress konfrontiert.
Auch wenn sich Obamas soziale Bilanz sehen lassen kann – 20 Millionen Amerikaner, die vorher keine Versicherung hatten, sind jetzt krankenversichert –, verhinderte die Blockade der Republikaner doch, dass er mehr Versprechen einlösen konnte.
Wie tief der Rassismus verankert ist, zeigt jetzt der Sieg von Trump. Die Gewaltandrohungen, denen sich Clinton ausgesetzt sah, waren auch motiviert vom Hass auf einen schwarzen Präsidenten. „Trump sorgte dafür, dass weiße Männer, die sich erniedrigt und entmännlicht fühlten, und die Frauen, die sich mit ihnen identifizieren, sich nun wieder besser fühlen konnten“, schrieb die Schriftstellerin Siri Hustvedt.
Mit der Mobilisierung von Rassenhass gelang es Trump, ökonomisch und sozial sehr verschiedene, aber hauptsächlich weiße Bevölkerungsschichten hinter sich zu versammeln. Wenn er sagt: „Make America great again“, meint er eigentlich: Macht Amerika wieder weiß. Der politische Aktivist Van Jones, Umweltberater von Präsident Obama, sprach daher nach der Wahl von einem „Whitelash“. Zwar hat Trump selbst nun zur Mäßigung aufgerufen. Aber seine Rhetorik des Hasses zeigt längst ihre Folgen. Es mehren sich die Berichte über Übergriffe, auch meine Studenten berichteten mir von Drohungen, Angespucktwerden und Gewalt gegen Minderheiten.
Mit dem Wahlausgang hat sich die Frage gewandelt: Es geht nicht mehr darum, ob Obama sein Versprechen einer gerechteren Gesellschaft einlösen konnte, sondern wie das bisher Erreichte unter diesen Bedingungen verteidigt werden kann. Ansätze dafür wie die Black-Lives-Matter-Bewegung gab es schon unter Obama. Und seit das Wahlergebnis feststeht, gehen vor allem junge Leute auf die Straße.
Auch wenn Trumps narzisstischer Politikstil zuweilen unideologisch erscheint, mit Stephen Bannon hat er sich gerade einen Rechtsradikalen als Chefstrategen ins Weiße Haus geholt. Sein Vize Mike Pence ist ein homophober Hardliner und Abtreibungsgegner. Die Republikaner haben die Mehrheit in beiden Kammern, Trump kann quasi durchregieren. Nicht nur für die nächsten vier Jahre, sondern weit darüber hinaus werden die Republikaner damit den Ton angeben. Ist Amerika als Experiment gesellschaftlicher Diversität gescheitert?
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