Der Vito-Russo-Test

Kulturkommentar Der Schwule als todbringendes Monster: Wie zeigt das Kino Homosexuelle?
Ausgabe 31/2014

Als der New Yorker Filmkritiker Vito Russo 1981 sein Buch The Celluloid Closet veröffentlichte, ließ sich die Geschichte schwuler und lesbischer Filmcharaktere schnell zusammenfassen. Schwule und Lesben waren sadistische Verbrecher und grausame Mörder: Hitchcocks zwielichtiger Reisender in Der Fremde im Zug (1951) sowie die beiden adretten, überambi-tionierten Studenten in Cocktail für eine Leiche (1948). Oder Lotte Lenya als erbarmungslose russische Agentin in dem James-Bond-Klassiker Liebesgrüße aus Moskau (1963). Die sexuelle Identität dieser Filmfiguren wurde zwar kaum offen ausgesprochen, aber die Zeichen sexueller und geschlechtlicher Ambiguität waren nicht zu übersehen. Das Böse in Hollywood wurde als gescheiterte Heterosexualität inszeniert.

Was heute als Repräsentationspolitik bekannt ist und als eines der wichtigen Anliegen der Cultural Studies der vergangenen 30 Jahre gilt, die nichtdiskriminierende Darstellung von Minderheiten, schien Anfang der 1980er für Russo die logische Konsequenz aus der Lesben- und Schwulenbewegung. Nicht nur auf der Straße, auch auf der Leinwand sollte Lesben und Schwulen Respekt entgegengebracht werden.

Welche politische Bedeutung filmische Darstellungskonventionen haben, zeigte sich gerade Anfang der 1980er mit Aids: Der Schwule als todbringendes Monster hatte ein Comeback. Aus Opfern der Krankheit wurden in der Imagination Massenmörder. Die Forderungen von Russo, der 1990 selber an den Folgen von Aids starb, nach einer positiven Darstellung von Lesben und Schwulen schien aktueller denn je.

Demgegenüber kann die queere Filmgeschichte der vergangenen 25 Jahre in vieler Hinsicht als Normalisierung gelten. Als Helden von Horrorstorys müssen Homos nur noch selten herhalten. In TV-Serien von Six Feet Under über Desperate Housewives bis zu Game of Thrones sind schwule Charaktere regelmäßig und nicht nur unvorteilhaft zu sehen. Lesben allerdings seltener.

Es scheint daher zunächst überraschend, wenn GLAAD – eine Art US-amerikanische Prüfstelle für die Darstellung von Lesben, Schwulen und Transsexuellen in den Medien – sich mit der aktuellen Lage unzufrieden zeigt. Um die 15 Filme mit lesbischen, schwulen oder transsexuellen Charakteren haben die GLAAD-Kritiker unter den zirka 100 jährlichen Produktionen der großen Hollywoodstudios 2012 und 2013 gefunden. Ihren nach Vito Russo benannten Test, der nicht nur danach fragt, ob queere Charaktere überhaupt vorkommen, sondern auch bewertet, ob sie nicht nur auf ihre sexuelle Orientierung reduziert werden oder lediglich als buntes Beiwerk zur Handlung beitragen, haben davon nur jeweils knapp die Hälfte der Filme bestanden, also weniger als zehn Prozent.

Zwar gebe es weniger eindeutig homophobe Dialoge als vor 20 Jahren. Doch der Trend zu Action- oder Comic-Verfilmungen verbanne Lesben und Schwule oft von der Leinwand. Schwule Kritiker von Vito Russo wollten sich schon vor 25 Jahren keine homopolitische Korrektheit diktieren lassen. Regisseure des New Queer Cinema setzten Anfang der 90er gerade die kriminelle Energie oder Monstrosität queerer Charaktere in Szene – so wie es heute in TV-Produktionen wie der Vampirserie True Blood der Fall ist. Eine solche Sensibilität ist in Hollywood aber noch selten. Deswegen muss man vorerst leider am Vito-Russo-Test festhalten. Bei der Aufgabe „Wie mache ich einen nicht-homophoben Film?“ sind ja gerade wieder 90 Prozent durchgefallen.

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