Kein Abo mehr

US-Wahlkampf Frauen, die von den Parteien ins Rennen geschickt werden, egal ob Michelle Obama oder Michelle Bachmann, folgen klaren Rollenbildern. Bei den Männern sind die diffuser
Ann Romney hat bisher keine großen Fehler gemacht, aber ihr Perfektionismus wirkt bisweilen unsympathisch
Ann Romney hat bisher keine großen Fehler gemacht, aber ihr Perfektionismus wirkt bisweilen unsympathisch

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Die Republikaner haben ganz schön irre Frauen ins Rennen geschickt: Sarah Palin 2008 und Michelle Bachmann in den Vorwahlen 2012, überdrehte Hockey-Moms – Mütter, deren Hauptaufgabe im Managen der Terminkalender ihrer Kinder besteht. Und die politischen Sachverstand mit Tabubrüchen auf der rechten Seite ersetzten. Auch wenn die Faszination für beide nicht von Dauer war, hat ihr schriller Tonfall Schule gemacht. Und so haben die Republikaner sich im Jahr 2012 tatsächlich auf die Themen Verhütung und Abtreibung kapriziert. Dabei ist das Bild einer Mutter, die ihre Kinder nicht will, trotz allen Widerspruchs in der öffentlichen Vorstellung so stark, dass auch die Demokraten darauf reagieren müssen.

Um also nicht als Verein von Kindsmörderinnen dazustehen, wurde Military-Mom Elaine Brye dazu auserwählt, den demokratischen Parteitag Anfang September zu eröffnen. Vier der fünf Söhne von Brye dienen den amerikanischen Streitkräften. Es war, als wollten die Demokraten mit der bodenständigen Frau den Symbolwert von Ann Romney – seit 42 Jahren mit dem republikanischen Kandidaten Mitt Romney verheiratet, zusammen haben sie fünf Söhne und 18 Enkel – übertreffen. Und so erzählte Brye von ihren Söhnen, bevor sie die Hauptrednerin des Abends vorstellte: First Lady Michelle Obama. Präsidentengattinnen spielen für das politische Geschehen in den USA eine enorme Rolle, nicht nur für den Fototermin. Ann Romney hat jetzt sogar gefordert, bei den drei noch ausstehenden Fernsehduellen dabei zu sein.

Mutterrolle und Beraterin

Die Emotionalität, die der Wahlkampf als telegenes Massenspektakel einfordert, wird in erster Linie den Frauen aufgebürdet. Diese Aufgabe an eine Intellektuelle und Absolventin der Havard Law School wie Michelle Obama zu richten, ist zwar eigentlich eine Zumutung – die First Lady meistert sie dennoch beeindruckend. Ihre Parteitagsrede hatte drei Funktionen: das Publikum emotional zu binden, weibliche Wähler zu mobilisieren und eine intime Perspektive auf den Präsidenten zu etablieren. Sie brillierte bei der Gratwanderung zwischen Mutterrolle und Beraterin.

Gegen diese Konkurrenz hat es Ann Romney schwer. Ihr bisherigen Auftritte zielten vor allem darauf ab, das Misstrauen gegen den Multimillionär Mitt Romney zu dämpfen. Keine leichte Aufgabe, wie noch mal besonders deutlich wurde, nachdem vergangene Woche ein Video auftauchte, das zeigte, wie Romney im Kreise reicher Spender mal eben 47 Prozent der Amerikaner zu Schmarotzern erklärte. Ann Romney setzt dagegen eine einfache Botschaft: Sie wolle „von meinem Herzen zu euren Herzen sprechen“, sagte sie auf dem Parteitag. Liebe transzendiert alle Klassenunterschiede! Sie erzählte von ihrer MS- und Brustkrebserkrankung. Und anders als ihr Mann macht sie im Wahlkampf keine Fehler, sie ist nahezu perfekt: Sie sieht ein bisschen so aus, wie man sich Madonna in zehn Jahren vorstellt. Doch gerade ihre Perfektion nährt den Verdacht, dass sie nur ein Abziehbild der fehlerlosen Vorstadthausfrau ist, geformt nach den Wünschen ihres Manns.

Damit ist auch schon das repräsentationspolitische Problem von Mitt Romney selbst angesprochen: Klar, er sieht genauso aus, wie man sich einen amerikanischen Präsidenten vorzustellen hat, wie ein Sohn von Ronald Reagan, der für die Republikaner einen ähnlichen Symbolwert besitzt wie Kennedy für die Demokraten. Romneys Vater war selbst Gouverneur von Michigan. Über ihn sagt Romney: „Ich bin nur ein Schatten des real deal.“ Und der älteste von Mitt Romneys fünf Söhnen sagte über seinem Vater: „Ich wäre glücklich, wenn ich nur halb so ein Kerl wäre wie mein Vater.“

Mit diesen Ehrerbietungen an die Patriarchen der Familie schleicht sich allerdings das Gefühl ein, als habe sich bei der Vererbung weißer Maskulinität über die letzten Jahrzehnte ein Substanzverlust eingestellt. Die fünf Romney-Söhne haben zwar alle das kantige Kinn des Vaters geerbt. Aufgestellt in Reih’ und Glied repräsentieren sie aber eher eine Parodie weißer Maskulinität als ihre erfolgreiche Bestätigung.

Bloß nicht entschuldigen!

Hinzu kommt ein weinerlicher Tonfall in Romneys Reden, der wie die Klage über den eigen Autoritätsverlust in einem multiethnischen Amerika wirkt. Auch deshalb wurde ihm Paul Ryan zur Seite gestellt – ein militanter Abtreibungsgegner, der mehr Kanten zeigt. Welche hysterischen Züge das Ringen um männliche Stärke teils annimmt, zeigte Ryan aber, als er Obama vorwarf, sein Auftreten sei nicht entschlossen genug, nachdem dieser einem Fotografen aus Versehen auf den Fuß getreten war und sich dafür entschuldigt hatte. Der Präsident der Vereinigten Staaten entschuldige sich nicht, meinte Ryan.

Und Barack Obamas eigenes Rollenbild? Auch wenn die rassistischen Ressentiments nicht offen ausgesprochen werden dürfen, sind sie permanent am Werk. Die Versöhnung, die Obama anstrebte, wurde ihm verwehrt, weil seine Person spaltet wie kein anderes Thema. Die Angst vor dem Schwarzen wird genährt von Fantasien über seine Gewaltbereitschaft und seine Sexualität. Obama hat vor allem zwei Strategien, mit diesem imaginierten Bedrohungspotenzial umzugehen. Einerseits transzendiert er die Furcht vor dem schwarzen Mann mit seiner Rhetorik: Er besitzt eine Differenziertheit der Rede, die ihresgleichen sucht.

Gleichzeitig vermeidet er mit seiner schlacksigen Jungenhaftigkeit Assoziationen an den schwarzen Männerkörper als potenzielle Bedrohung. Eloquenz und Jugendlichkeit treffen sich in der Figur des Musterschülers. Ohne diese Attribute wäre er vor vier Jahren wahrscheinlich nicht Präsident geworden. Das Problem liegt nur darin, dass mit diesen Eigenschaften nicht die Präsidentenrolle ausgefüllt werden kann, die den harten Entscheider erwartet. Und so gibt es bei Obama eine symbolische Dürftigkeit in der Erfüllung seines Amtes.

Sein Glück ist, dass zeitgleich die Rolle des weißen Mannes an Kraft verloren hat. Die Position des „mächtigsten Manns der Welt“ ist nicht mehr einfach zu besetzen. Der weiße Mann hat sein Abo darauf verloren. Ein gültiger Ersatz ist symbolpolitisch noch nicht wirklich gefunden. Für den aktuellen Wahlkampf bedeutet es, dass die Ehefrauen weiter ins Scheinwerferlicht rücken. Gemessen an den Tweets während der Parteitage liegt Michelle Obama da weit vorn: Mit 28.000 pro Minute bekam sie nicht nur deutlich mehr als Ann Romney, sondern auch doppelt so viele wie der Kandidat der Republikaner selbst.

Peter Rehberg ist Queer-Forscher und Professor im German Department an der University of Texas, Austin

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