Es gab eine Zeit, da konnten Intellektuelle Popstars sein. Ihre Artikel und Bücher wurden auch jenseits von Universitäten gelesen, weil sie versprachen, das Lebensgefühl einer Generation oder Szene mit einem Gedanken auf den Punkt zu bringen. Denken selber wurde sexy.
Markierte dieses Phänomen - Intellektualität als Geste, als Bestandteil von Mode und Zeitgeist - den Höhepunkt der gesellschaftlichen Bedeutung von Kulturkritik, eine Zeit, in der die Figur des öffentlichen Intellektuellen endlich in die Welt hinaus tritt und zu ihrem Recht kommt - oder umgekehrt, war die Popularisierung von Ideen, auf die auch der Titel Geist und Glamour der Susan-Sontag-Biografie von Daniel Schreiber hinweist, ein Zeichen des Verfalls, weil sich die Ernsthaftigkeit des Denkens auf dem Marktplatz des Geistes bald inflationär verflüchtigte?
Das Genre der Biografie ist besonders geeignet, um sich dieser Frage anzunähern, weil Susan Sontag eben nicht nur durch ihre Texte, sondern immer auch als Figur des öffentlichen Lebens Aufmerksamkeit auf sich zog. Biografisches ist im Fall Sontag deshalb aufschlussreich und aufregend, weil keine vorgezeichnete Karriere - Sontag hat ihre Dissertation nie beendet und ihre Laufbahn als Dozentin früh abgebrochen -, sondern individuelle Entscheidungen diese intellektuelle Persönlichkeit hervorgebracht haben.
Dem 1977 geborenen deutschen Journalisten Daniel Schreiber, der heute als Korrespondent auch für den Freitag in New York arbeitet - also auch persönlich mit der Umgebung vertraut ist, die Sontag die letzten 50 Jahre geprägt hatte -, gelingt es hervorragend, Sontags Leben vor allem als intellektuelles Abenteuer zu erzählen. Was er an intimen Informationen nicht hat - Sontags Tagebücher sind noch gesperrt -, versucht er durch psychoanalytische Theorie aufzufangen und verknüpft so Ereignisse aus Sontags Kindheit mit späteren Lebensentscheidungen. Und Sontags Leben hat tatsächlich einige romanhafte Episoden zu bieten: Sie verbrachte einen Teil der Kindheit in China, wo der Vater als Pelzhändler arbeitete und früh starb, was ihr von der Mutter, einer "schönen Alkoholikerin", wie Sontag selber einmal gesagt hat, die sie auf der Straße nur mit ihrem Vornamen Mildred und nicht als "Mutter" ansprechen durfte, ein halbes Jahr lang verheimlicht wurde.
Für Schreiber sind diese Stationen aber nicht viel mehr als eine kurze Einleitung zu einem Intellektuellen-Leben, dem er den Hauptteil des Buches widmet, und das er mit Hilfe von Interviews mit engen Freunden Sontags wie Nadine Gordimer und Robert Wilson rekonstruiert hat. Denn das eigentliche Abenteuer in Sontags Leben ging erst los, als sie als alleinerziehende Mutter Anfang der 1960er nach New York zog, um zur amerikanischen Vorzeigeintellektuellen schlechthin zu werden.
Kaum jemandem gelang es so gut, das kulturelle Selbstbewusstsein der USA nach dem Zweiter Weltkrieg zu verkörpern wie Susan Sontag, die vor drei Jahren an Krebs starb. Während sie die letzen 20 Jahre ihrer Karriere als moralisches Gewissen Amerikas durch die Welt tourte, die es sich zum Beispiel in den Kopf gesetzt hatte, in den 1990ern im ausgebombten Sarajewo Samuel Becketts Warten auf Godot auf die Bühne zu bringen (mit Taschenlampen als Beleuchtung), war sie in ihren jungen Jahren eine Großstadtintellektuelle, die schneller als alle anderen die Welt um sie herum verstand, schön und cool, kein Wunder, dass sie auf dem Cover des Time Magazin landete.
Mit der gleichen Intensität, mit der sie als Studentin Freud und Marx gelesen hatte, begann sie die Phänomene der Großstadt zu studieren. Sie trieb sich auf Partys, Konzerten und nächtlichen Filmvorführungen herum. Wurde zum coolen "It-Girl" - eine Art intellektuelle Paris Hilton -, das sich mit Andy Warhol und Patti Smith sehen ließ. Und schrieb über alles, was sie sah. Die Werke des Underground-Filmers Jack Smith fand sie genauso inspirierend wie Wagner-Opern oder die Romane des schwulen Schriftstellers Jean Genet. Bei aller kritischen Distanz schildert Schreiber all das mit einer Begeisterung, die ansteckend ist. Seine Sontag-Biografie ist so spannend zu lesen wie ein Krimi.
Schnell erfand Sontag für sich eine Vermittlerrolle zwischen europäischer Hoch- und amerikanischer Popkultur und wurde damit zum Darling der New Yorker Intelligenz, die sich nach dem Zusammenbruch Europas als Fortführung der europäischen Moderne begriff. Was heute in den Kulturwissenschaften selbstverständlich geworden ist, popkulturelle Phänomene mit der gleichen Aufmerksamkeit zu studieren wie den literarischen Kanon, war damals originell und schockierend. Sontag machte publizistische Karriere und wurde zur Star-Autorin in den Blättern der New Yorker Intellektuellen wie Partisan Review, The New York Review of Books oder im New Yorker. Mit ihrem zugleich hybriden und strengen Stil gelang es ihr immer wieder, am Puls der Zeit zu sein.
Notes on Camp - Anmerkungen zu Camp war der Essay, mit dem aus dieser damals 30-jährigen Autorin 1964 schlagartig eine intellektuelle Berühmtheit wurde. Schreiber widmet dem Phänomen entsprechend ein eigenes Kapitel. Für Sontag war das schwule Talent, das Hässliche schön zu finden und dem Trash einen Glanz zu geben, zur Haltung des modernen Menschen überhaupt geworden. Die Strategie einer Minderheit, sich in einer entfremdenden Umgebung kulturelle Werte zu schaffen, indem man Massenprodukte individuell umwertet, wurde unter den von Adorno diagnostizierten kulturindustriellen Bedingungen zum Paradigma einer dandyhaften Überlebensstrategie für die kulturelle Elite.
Dennoch taugt Sontag, wie auch ihr Biograf kritisch feststellt, nur bedingt zur Lesben- und Schwulenikone. Die Schwulen fühlten sich von Sontag, die Minderheitenphänomene für den Mainstream zugänglich machte, zugleich geehrt und verraten.
Die Tatsache, dass Sontag ihr Leben lang nicht darüber sprach, dass sie Frauen liebte, obwohl sie die letzten 15 Jahre ihres Lebens mit der Star-Fotografin Annie Leibowitz zusammenlebte (auch Schreiber bekam sie für sein Buch nicht vors Mikrofon). Die beiden waren das lesbische Vorzeigepaar Manhattens, das machte das Verhältnis zwischen den schwulen Diven und der Intellektuellen-Diva Sontag nicht einfacher. Aber es war wiederum Sontag, die sich in den Achtzigern als eine der ersten zu Wort gemeldet hatte und in ihrem berühmten Buch Aids und seine Metaphern die rhetorischen Strategien analysierte, mit denen die Öffentlichkeit HIV-infizierte Homosexuelle stigmatisierte. Mit einem journalistischen Gespür für Themen erfand sie sich intellektuell immer wieder neu, ihre Bücher über Fotografie und Krankheit sind noch immer Standardwerke.
Zum Bild der öffentlichen Intellektuellen gehörte es für Sontag aber nicht nur, zwischen Gesellschaft, Politik und Kunst, Pop- und Hochkultur zu wechseln, sondern auch in den Genres. Sontag schrieb und inszenierte neben ihrer schriftstellerischen und essayistischen Arbeit Theaterstücke und drehte Filme. Ihr Leben lang verfolgte sie das etwas romantische Ideal einer Schriftstellerexistenz. Und hier zeigten sich auch die Grenzen ihres Talents, was Schreiber nicht verschweigt. Obwohl sie mit Der Liebhaber des Vulkans schließlich einen Bestseller-Roman schrieb und für In Amerika den "National Book Award" und schließlich den "Friedenspreis des deutschen Buchhandels" bekam (nur der Nobelpreis hat eigentlich noch gefehlt), war ihr größeres Talent, so schließt sich ihr Biograf der gängigen Wahrnehmung Sontags an, das essayistische Schreiben.
Eines der Kapitel von Sontags Biografie ist Die letzte Intellektuelle betitelt, und obwohl es sein kann, dass Sontag einen Typus darstellte, der in einer medial anders strukturierten Öffentlichkeit heute nicht mehr zu finden ist, liest man Schreibers sehr gelungene Sontag-Biografie am besten nicht als nostalgischen Abgesang auf eine aussterbende Spezies - die Intellektuellen -, sondern als Erinnerung daran, dass ihre Rolle immer wieder neu erfunden werden muss.
Daniel SchreiberSusan Sontag. Geist und Glamour. Aufbau, Berlin 2007, 342 S., 22,95 EUR
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