Zuckerpuppe im Kreidekreis

CDU Nach ihrer Nominierung für den Parteivorsitz ist für Angela Merkel die Schonzeit vorbei

Mit der »Angie«, wie sie beim Politiker-»Derblecken« auf dem Münchener Nockherberg vergangene Woche dargestellt wurde, hat wohl auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber sein Wunschbild von der neuen CDU-Vorsitzenden abbilden lassen. Nicht nur als »Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe von der Christlichen Union«, als »Ossi-Biene mit der Poker-Miene aus der Bimbes-Bastion«. Solche Charakterisierung verrät nur Herablassung und leisen Spott über eine, die man denn doch nicht so recht ernst nimmt. Wichtiger dürften Stoibers eigene Worte sein, man wäre »im doppelten Kampfanzug« gekommen, was nichts anderes als Festlegung der CDU-Chefin in spe auf die Neuauflage seiner rechtskonservativen Sturm- und Drang-Phase bedeutet.

Lange hatte der CSU-Vorsitzende mit seiner Zustimmung zur ungeliebten Spitzenkollegin der Schwesterpartei gezögert, in Hinterzimmern auch ein wenig an anderen Lösungen gebastelt, doch letztlich zwang ihn die »Macht des Faktischen« zum Einlenken, ehe durch Zwist zwischen Berlin und München eine neue Unionskrise ihren Lauf nehmen könnte. Die CDU-Basis hat letztlich die Entscheidung getroffen, aber - wie der Stimmbürger nach den vier- und fünfjährlichen Wahlritualen in sein Wohnzimmer - hat sie sich jetzt in ihre Vereinslokale zurückzuziehen. Politik, so Stoibers Botschaft, wird nun wieder »in den Gremien« gemacht - und in diesen hat der Bayer seine Leute bereits prominent platziert bzw. wird es bis zum CDU-Parteitag im April noch tun.

Der CSU-Chef ist nicht der Einzige, den die Entwicklung in der Partei überraschte und der sich nun daran macht, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren - ohne dabei die eigenen Ambitionen aus dem Auge zu verlieren. Zu viele waren angetreten, das Erbe wenn nicht Helmut Kohls, so doch Wolfgang Schäubles zu übernehmen; in ihren Planungen spielte eine Angela Merkel keine Rolle. Die Frau aus dem Osten schien als Sekretärin prädestiniert, als General aber kaum geeignet. Jetzt hat sie sich in den Mittelpunkt geschoben, ins Zentrum eines Areals, das sich schnell als Kreidekreis entpuppen dürfte. Denn all jene Gruppen, die jahrelang durch die Dominanz eines Helmut Kohl an der Artikulation oder gar Durchsetzung eigener Ideen - mehr noch: eigener Machtansprüche - gehindert waren, sind noch da und werden versuchen, die neue Vorsitzende erst auf ihre Seite zu ziehen, um sie baldmöglichst zur Seite zu stellen.

Das gilt vor allem für jene, die zu Stoibers Bataillonen zu zählen sind - jene Vertreter der »Südschiene« wie Erwin Teufel oder Christoph Böhr, vor allem aber Roland Koch. Der hessische Ministerpräsident ist ohne Zweifel in den Augen Stoibers der Christdemokrat, den er am liebsten im Chefsessel der Schwesterpartei sähe. Der Bayer bedauert nichts mehr als die »Tragik« des Hessen, der jetzt wegen hausgemachter Probleme seinen Hut nicht in den Ring werfen kann. Der Erbe Dreggers und Kanthers, der »bekennende Kohlianer«, der mit dem Pfund des Ex-Ehrenvorsitzenden noch im letzten Dezember wuchern wollte, verkörpert im Wesen die alte CDU und bietet sie doch so dynamisch und »modern« dar, dass sich dahinter inhaltlicher Stillstand, gar Rückschritt, fabelhaft verbergen lassen. Falls es Koch gelingt, die hessische Krise zu überstehen - was übrigens auch von Angela Merkel abhängt -, wird er seinen Anspruch auf höhere Weihen beizeiten hörbar machen - und kann dann mit verstärkendem Echo aus Bayern rechnen.

Aber auch jene aus dem »System Kohl«, die sich wie Jürgen Rüttgers oder Volker Rühe derzeit keine Hoffnungen auf den Sprung an die Spitze machen können, haben noch nicht aufgegeben. Sie werden Tuchfühlung zur Führungsebene halten, der neuen Vorsitzenden verbal ihre Loyalität beteuern und doch stets in Habachtstellung stehen, um eine überraschende Gelegenheit vielleicht doch noch wahrzunehmen. Sowohl Rühe, der lange für die Übergangslösung mit einem der alternden Ministerpräsidenten eintrat, um eigene Chancen nicht zu verbauen, als auch Rüttgers, der allerdings noch einen schwierigen Wahlkampf zu bestehen hat, dürften auch inhaltlich ihre Handschriften in der künftigen CDU-Programmatik zu hinterlassen versuchen - und sich dabei ebenfalls nicht unwesentlich am Süden orientieren.

Sie alle, auf Dauer aber nicht unbedingt Angela Merkel, können gewiss auch auf die heimliche Sympathie der Funktionärsgarde der CDU bauen. Diese rechnet der Generalsekretärin zwar hoch an, die Krise so gemanagt zu haben, dass die CDU demoskopisch wieder in leichtem Aufwärtstrend ist, aber ihren nach wie vor betonten Aufklärungswillen sehen die innerparteilichen Mandatsträger mit wachsendem Unbehagen. Für sie, die immer die eigentliche Machtbasis Helmut Kohls waren, ist es genug mit den Angriffen auf ihren Alt-Bundeskanzler. Dass dieser hinter und mit dieser Kraft nach wie vor erheblichen Einfluss ausüben dürfte, ist evident. Gegenwärtig ist er dabei, mit seiner privaten Spendensammlung in die Herzen jener CDU-Mitglieder zurückzukehren, die darin gerade die Generalsekretärin eingeschlossen hatten. Auf Dauer dürfte darin Platz für beide nicht sein, zumal künftig Merkel und nicht Kohl für Wahlergebnisse verantwortlich zeichnet.

Die »jungen Wilden« wiederum stehen für eine zwar weitgehend unideologische, pragmatische Politik, die sich jedoch im Zweifel immer auf konservative Grundpositionen zurückzieht. Jemand, der zu einer Zeit in die Politik kam, als sich das Parteienspektrum generell nach rechts entwickelte, der von konservativen, autoritären »Vaterfiguren« vorbereitet wurde, ist kaum angekränkelt von liberalem oder gar linkem Ideengut. Die »jungen Wilden » präsentierten sich stets in einer seltsamen Mischung aus serviler Botmäßigkeit und pubertärem Aufbegehren, lernten aber am Ende doch die karrierefördernde Anpassung. Das kann Angela Merkel nützen, solange es den aufstrebenden Youngsters nützlich erscheint; es kann ihr aber auch schaden, wenn ihre Vorstellungen von Reformierung, von Erneuerung der CDU mit jenen der global und oft manchester-kapitalistisch orientierten Generation nicht übereinstimmen. Schon sind bei einigen - wie dem Saarländer Müller - eindeutige Annäherungen an CSU-Positionen feststellbar, für andere - wie Merz oder Wulff - waren diese nie fernab eigenen Denkens.

Schließlich werden jene, die mit hervorgehobenen Parteiämtern nicht mehr rechnen können, aber sich als »Vordenker« ihrer Partei verstehen, ihren Einfluss auszuüben versuchen. Ihre Chance dafür ist gut, zumal Angela Merkel bisher nie eine eigene Politik gemacht hat, sondern sich immer an den Vorgaben anderer orientierte. Unter Helmut Kohl hat sie eine wirtschaftsfreundliche Umweltpolitik exekutiert und sich später ganz den inhaltlichen Konzepten Wolfgang Schäubles untergeordnet. In den letzten Wochen hat sie eigene inhaltliche Leitlinien nicht formuliert, ist immer nur in jene Lücken vorgestoßen, die sich ihr auftaten. Auch am Montag, bei der Bekanntgabe ihrer Nominierung, blieb sie inhaltlich vage und unverbindlich. Steht sie demnächst aber ganz vorn, wird man sie nach dem Weg fragen. Ihre Konzeptionslosigkeit ist Angela Merkels größte Schwäche; sowohl Schäuble, mehr noch aber Kurt Biedenkopf werden sie zu nutzen wissen, um zwar nicht eigene, inzwischen wohl illusionäre Karriereabsichten, wohl aber ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen.

So bleibt Angela Merkel eigentlich nur, sich in diesem Kreidekreis nicht zerreißen zu lassen. Sie dürfte sich auf jene stützen, die im Machtpoker gerade die besseren Karten haben. Sie wird auch ihre inhaltlichen Positionen mit so viel Flexibilität ausstatten, dass es konzeptionell nicht zur Zerreißprobe kommt. Sie wird als Parteivorsitzende eher wie eine Super-Generalsekretärin agieren, die umsetzt, was mehrheitsfähig ist. Doch wird sie dergestalt wohl nur jene Übergangslösung sein, für die das Partei-Establishment eigentlich einen Älteren vorgesehen hatte. Denn auf die Dauer wird sich unter ihren Stichwortgebern einer herauskristallisieren, der neben dem faktischen Einfluss auch das formelle Amt will.

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