Politiker reden gern von den Träumen und Visionen, die ihnen als Antrieb dienen; meist laufen sie auf eine irgendwie geartete Verbesserung der Welt hinaus. Auch Suella Braverman hat einen innigen Wunsch, allerdings einen ungewöhnlich spezifischen: Sie sehnt sich nach einem Bild auf der Frontseite des rechtskonservativen Daily Telegraph, auf dem ein abhebendes Flugzeug zu sehen ist, Reiseziel: Ruanda. Gemeint ist ein Abschiebeflug, der Menschen, die in Großbritannien Schutz gesucht haben, nach Afrika deportiert. „Das ist mein Traum, meine Obsession“, sagte die Innenministerin im Oktober. Suella Braverman ist eine Hardlinerin vom rechten Rand der Tories, wobei das ebenso auf ihre Vorgängerin Priti Patel zutraf, auch diese war besessen von der „illegalen&
2;illegalen“ Einwanderung und wetterte gegen „linke Anwälte“ oder „Gutmenschen“ (der Freitag 30/2021). Aber Braverman schafft es, Patel wie eine progressive Figur ausschauen zu lassen. Sie ist eine der reaktionärsten Kabinettsministerinnen, die das Land je gesehen hat.Braverman wurde 1980 als Sue-Ellen Fernandes im vorstädtischen London geboren. Ihre Eltern waren Migranten mit indischen Wurzeln und engagierten sich in der Tory-Partei. Auch die Tochter zeigte bald konservative Neigungen. Während des Rechtsstudiums in Cambridge war sie Vorsitzende der Conservative Association. 2005, als sie die Zulassung zur Anwältin erhielt, trat sie erstmals als Tory-Kandidatin für einen Parlamentssitz an, zunächst erfolglos. Zehn Jahre später klappte es, sie wurde 2015 im tiefblauen südenglischen Wahlkreis Fareham mit großer Mehrheit gewählt und zog ins Unterhaus ein. Bald danach begann das Gezerre um den Brexit, wenig überraschend wählte Fernandes die „Leave“-Seite. 2018 erhielt sie von der damaligen Premierministerin Theresa May einen dazu passenden Posten: Staatssekretärin unter Brexit-Minister Dominic Raab.Weniger als ein Jahr später trat sie schon wieder zurück, da ihr Mays Brexit-Deal nicht weit genug ging. Braverman – sie hatte mittlerweile geheiratet – war Teil jenes harten Kerns der Tory-Fraktion, der jede Konzession an die EU als Verrat brandmarkte und schließlich Mays Sturz erzwang. An deren Stelle trat Brexit-Champion Boris Johnson, und in seinem Kabinett der Rechtspopulisten fand Braverman wieder einen Platz. Johnson machte sie zur Generalstaatsanwältin, um die Regierung in Rechtsfragen zu beraten. Viele ihrer Berufskollegen fragten sich umgehend, ob eine solche Promotion eine gute Idee sei. Braverman hatte immer wieder durchblicken lassen, dass sie die Gewaltenteilung für überbewertet halte. Wenige Wochen vor ihrer Berufung hatte sie „ungewählten“ Richtern vorgeworfen, die parlamentarische Souveränität zu untergraben. Politische Entscheidungen über Immigration seien „von den Gerichten gekippt worden“. Der Brexit biete eine einmalige Gelegenheit, die „Balance wiederherzustellen“, sprich: den Einfluss der Judikative zu begrenzen.Ab September 2022 hatte Braverman ausgiebig Gelegenheit, ihren autoritären Instinkten freien Lauf zu lassen: Kurzzeitpremierministerin Liz Truss machte sie zur Innenministerin. Es war auf der Parteikonferenz im Oktober, als sie ihren berüchtigten Deportationswunsch äußerte. Sie war zutiefst frustriert, dass das Ruanda-Abschiebeprogramm, das ihre Vorgängerin Patel ausgeheckt hatte, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geblockt wurde. Ein Flug, der Asylbewerber ins subsaharische Afrika deportieren sollte, wurde im Juni in letzter Minute gestoppt.Braverman hat es zu ihrer Mission gemacht, diesen peinlichen Misserfolg zu rächen – ein Ziel, das sich bestens mit ihrer eigenen extremistischen Haltung verträgt. Sie hat sich drastisch verschärften Asylgesetzen verschrieben und versprochen, die Bootsfahrten über den Ärmelkanal ein für alle Mal zu unterbinden. „Stop the Boats“, heißt der trumpeske Slogan. Die jüngst präsentierte Asylvorlage würde dazu führen, dass Flüchtlinge, die über eine irreguläre Route ins Land kommen, überhaupt kein Anrecht auf Asyl mehr hätten. Sie würden zunächst 28 Tage lang in einem Lager festgehalten, dann in ein Drittland ausgeschafft und mit einem lebenslangen Einreiseverbot belegt. Die Kritik am Gesetzesvorhaben war breit, die UNO zeigte sich in ungewohnt deutlichen Worten „sehr besorgt“. Zuspruch gab es dagegen von der Alternative für Deutschland und dem französischen Rechtsextremen Éric Zemmour.Bravermans schrille Auftritte im Unterhaus und in Medien sorgen zuweilen für Verblüffung und Belustigung. Als Klimaprotestierende im Herbst Straßenblockaden aufzogen, machte die Innenministerin fehlende Härte seitens der Labour-Partei und Liberaldemokraten dafür verantwortlich (die Tories sind seit 13 Jahren an der Regierung). Mitschuldig waren die Leser des linksliberalen Guardian sowie – etwas kryptischer – die „Tofu-essenden Wokerati“.Jenseits des Skurrilen ist die Rhetorik, der sich Braverman besonders in der Flüchtlingsdebatte bedient, durchaus mit Hetze gleichzusetzen. Die Ministerin spricht von „Wellen illegaler Migranten, die unsere Grenzen durchbrechen“, und von einer „Invasion an unserer Südküste“. Auch spricht sie gern vom Willen der „Briten“, als handle sie im Namen der ganzen Bevölkerung. Flüchtlingskampagnen warnen seit langer Zeit, dass solche Worte brandgefährlich seien. Bei einem öffentlichen Auftritt in ihrem Wahlkreis wurde Braverman im Januar zur Rede gestellt: Eine 83-jährige Holocaust-Überlebende sagte, die Worte der Innenministerin erinnerten sie an die Rhetorik, mit der die Ermordung ihrer Familie gerechtfertigt wurde. Braverman konterte, dass sie sich nicht für ihre Worte entschuldigen werde.