Als die britische Regierung am Freitag die Auslieferung Julian Assanges absegnete, tat sie so, als sei es reine Formsache. „In diesem Fall haben die britischen Gerichte nicht festgestellt, dass es gewaltsam, ungerecht oder ein Prozessmissbrauch wäre, Herrn Assange auszuliefern“, ließ das britische Innenministerium verlauten. Auch stehe die Überstellung in die USA nicht im Widerspruch zu seinen Menschenrechten: Dort würde ihm eine „angemessene Behandlung“ zuteil. Entsprechend habe die Regierung keinen Anlass, die Auslieferung zu blockieren.
Dieses nüchterne Statement verschleiert, wie sehr das politische Establishment in London seit Jahren darauf brennt, Assange den US-Behörden auszuhändigen.
Lange Zeit behauptete die britische Regierung, dass sich Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanze, damit er sich nicht den Vorwürfen der Vergewaltigung in Schweden stellen müsse – er entziehe sich also der strafrechtlichen Verfolgung. Dass dies lediglich ein Vorwand war, wurde offensichtlich, nachdem Schweden 2017 die Ermittlungen zu diesen Vorwürfen auf Eis legte. Assange hätte die Botschaft verlassen, wenn Großbritannien Garantien gegeben hätte, dass er nicht in die USA ausgeliefert werde, schreibt Guillaume Long, der damalige ecuadorianische Außenminister – damals lag noch kein Auslieferungsgesuch der USA vor. Aber solche Garantien wollte die britische Regierung nicht geben, mit nachvollziehbarem Grund: Die Überstellung an die US-Behörden war ihr Ziel.
Bereits im Oktober 2016 hatte Long ein Treffen mit einem britischen Regierungsvertreter, in dem dieser „die Katze aus dem Sack ließ“, wie Long auf dem Online-Portal The Intercept schreibt: Alan Duncan, der britische Staatsminister für Europa und Nordamerika – im Prinzip der stellvertretende Außenminister – habe während einer Unterredung in der Dominikanischen Republik gesagt, dass die Auslieferung an die USA eine „gute Idee“ wäre. Nach dem Regierungswechsel in Ecuador im Mai 2017 stiegen die Hoffnungen in Großbritannien: Der neue Präsident, Lenín Moreno, verabschiedete sich vom Linkskurs seines Vorgängers und schien bereit, den langjährigen Gast aus der Botschaft in London zu schmeißen.
Dann wurde die konservative Hardlinerin Priti Patel Innenministerin
Als sich Duncan im März 2018 mit der damaligen Premierministerin Theresa May traf, habe er ihr „ein Update zu Ecuador und Assange“ gegeben, schreibt der ehemalige Minister in seinen Memoiren. Er empfahl ihr, „Moreno Honig um den Bart zu schmieren“. Zwei Wochen später stand er kurz vor dem Ziel: Es habe „Monate der Verhandlungen“ erfordert, aber jetzt „sind wir fast so weit, Julian Assange aus der Botschaft Ecuadors zu werfen“. Er musste noch ein Jahr warten: Im April 2019 wurde Assange schließlich in Handschellen aus der ecuadorianischen Botschaft gezerrt und kam in Haft. „Ich bin sicher, dass das ganze Haus diese Nachricht begrüßen wird“, sagte die britische Premierministerin damals vor dem versammelten Unterhaus.
Drei Monate später wurde Priti Patel Innenministerin. Dass ausgerechnet die konservative Hardlinerin Assange zu Hilfe kommen und seine Auslieferung blockieren würde, war schon immer sehr unwahrscheinlich. Seit ihrem Amtsantritt 2019 ist Patel mit Eifer dabei, den Sicherheitsstaat auszubauen; sie hat Gesetze durchgepaukt, die die Möglichkeiten von Anwälten, Bürgerrechtsgruppen und Aktivist*innen stark einschränken, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.
Ausgerechnet den Whistleblower Assange vor einem US-Prozess wegen Spionage zu schützen, ist sicherlich nicht Teil von Pratels autoritärem Programm. Dazu kommt, dass London derzeit wenig Interesse hat, sich mit dem atlantischen Partner zu streiten. Denn die Annäherung an die USA ist ein wichtiges Anliegen von Brexit-Britannien. Unter anderem strebt London einen Freihandelspakt mit den USA an – ein solches Abkommen wird seit Jahren als einer der großen Gewinne des Brexits verkauft.
Aber mit dem Entscheid Priti Patels, die Auslieferung Assanges zuzulassen, ist die Sache noch nicht vorbei. Zunächst wird der Wikileaks-Gründer gegen den Auslieferungsbefehl in Berufung gehen. Zudem lassen seine Anwälte verlauten, dass er die früheren Entscheide der britischen Gerichte anfechten werde; er könne auf Argumente zurückgreifen, die bislang noch nicht vor Gericht vorgebracht worden sind. Auch sagte seine Anwältin Jennifer Robinson, dass ihr Mandant, wenn nötig, vors Europäische Gericht für Menschenrechte (EGMR) ziehen könnte. Mit dieser Institution hat Großbritannien kürzlich bereits Erfahrungen gemacht – sie waren ernüchternd: Letzte Woche stoppte das Gericht einen kontroversen Abschiebeflug nach Ruanda. Die Regierung in London war über diese Intervention so stinksauer, dass sie derzeit überlegt, aus der Europäischen Flüchtlingskonvention auszusteigen; dann wäre sie nicht mehr an die Entscheide des EGMR gebunden. Es wäre ein unerhörter Schritt – aber einer, der sich ganz gut verträgt mit dem zunehmend autoritären Weg, den die Regierung in London eingeschlagen hat.
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