Als sie gerade mal sieben Jahre alt war, im Sommer 1983, gab sich Liz Truss zum ersten Mal als Margaret Thatcher aus. Ihre Schule inszenierte anlässlich der Parlamentswahl in jenem Jahr eine politische Debatte, und Truss übernahm die Rolle der damaligen Premierministerin. Allerdings hätten ihr die Mitschüler trotz einer „passionierten Rede“ keine einzige Stimme gegeben.
Fast vierzig Jahre später sah es hingegen anders aus: Im Kampf ums Premierministeramt konnte sich Truss gegen ihren Rivalen Rishi Sunak durchsetzen. Die Konservative Partei wählte die 47-Jährige am 5. September zu ihrer neuen Vorsitzenden und damit auch zur nächsten Regierungschefin.
Lizz Truss blieb aber nur sechs Wochen im Amt. Am 20. Oktober gab sie ihren Rücktritt a
Rücktritt als britische Regierungschefin bekannt. Am Vortag war Innenministerin Suella Bravermann zurückgetreten. Sie hatte deutliche Kritik am Kurs von Truss geäußert. Rebellierende Abgeordnete ihrer Tory-Partei hatten die Regierungschefin schon länger unter Druck gesetzt.Elizabeth Truss wurde 1975 in Oxford geboren. Ihr Vater war Professor für Mathematik, ihre Mutter Krankenschwester. Beide standen politisch entschieden links. Die Mutter war Mitglied der Friedensorganisation Campaign for Nuclear Disarmament, die die britischen Atomwaffen abschaffen will. Als kleines Mädchen ging Truss mit auf Demos, sie sang sogar den Anti-Thatcher-Sprechchor mit: „Maggie Maggie Maggie, out out out!“Ihre progressive Ader war noch einige Jahre lang aktiv. Als Teenagerin war Truss Mitglied bei den Liberaldemokraten, es gibt eine Videoaufnahme, die die 16-jährige Teenagerin zeigt, wie sie der Abschaffung der Monarchie mit Hingabe das Wort redet. Auch als sie an der Universität Oxford begann, Politik, Philosophie und Wirtschaft zu studieren, blieb sie zunächst für die Liberaldemokraten aktiv. Der Schwenk nach rechts erfolgte jedoch bald: 1996, mit 21 Jahren, wechselte Truss zu den Tories.Nach ihrem Abschluss arbeitete sie als Managerin beim Ölkonzern Shell, danach bei einem Telekom-Unternehmen. Früh hatte Truss politische Aspirationen: 2001 trat sie erstmals als Parlamentskandidatin an, dann erneut 2005, beide Male erfolglos. Aber in der Parteizentrale sah man in ihr offensichtlich eine Politikerin mit Potenzial, so wurde sie für einen sicheren konservativen Sitz nominiert und gewann. Seit 2010 sitzt sie im Unterhaus.Zwei Jahre später war sie Mitverfasserin eines Buches, in dem sie ihr ideologisches Programm festhielt. Britannia Unchained heißt das Werk – entfesseltes Britannien. Darin klagen die Autoren, dass die Briten „zu den schlimmsten Faulenzern der Welt“ gehören; „indische Kinder wollen Ärzte oder Unternehmer werden, die Briten hingegen interessieren sich nur für Fußball und Popmusik“. Die Autoren machen einige Vorschläge, wie man das Land auf Vordermann bringen könne, zum Beispiel Steuersenkungen, Deregulierung, Schuldenabbau – die Rezepte kommen direkt aus dem Thatcher-Lehrbuch.Zur gleichen Zeit begann Truss Regierungserfahrung zu sammeln, sie wurde zur Bildungsministerin ernannt, später wechselte sie an die Spitze des Umweltministeriums. In jener Funktion hatte sie auch einen ihrer Auftritte, über den sich ihre Gegner noch heute freuen: Auf der Parteikonferenz 2014 hielt sie eine bizarre, hölzern vorgetragene Rede, in der sie sich mit Herzblut für weniger Käseimporte einsetzte. Selbst einer ihrer ehemaligen Berater soll die Ansprache als „episch schlecht“ bezeichnet haben.Im EU-Referendum stimmte sie zwar für „Remain“, aber seither ist sie vom Brexit überzeugt, und zwar mit dem Enthusiasmus der Bekehrten. Als sie im Herbst 2021 als Außenministerin antrat, hegte man in Brüssel anfänglich die Hoffnung, dass sich eine Phase der Entspannung einstellen könnte. Vergeblich: Truss ist eine Brexit-Enthusiastin, wenige Monate später gleiste sie eine Gesetzesvorlage auf, die das Nordirland-Protokoll unilateral kündigt.Während des Führungskampfs hat sie alles getan, um ihrem Ruf als rechte Hardlinerin gerecht zu werden: In der Frage der Migration (sollte weniger sein), der Steuern (sollten niedriger sein) oder der Krise der Lebenshaltungskosten (staatliche Hilfe ist eine schlechte Idee). Und wie sieht es aus mit Nuklearwaffen, gegen die sie als Kind protestierte? „Ich bin bereit, sie einzusetzen“, sagte Truss emotionslos, und das Publikum applaudierte laut. So wie ihre Politik ist auch der Stil von Truss: Sie tritt direkt, manchmal schroff auf. In der britischen Presse kursiert deshalb das Bonmot: Sie sei wie ihr Vorgänger Boris Johnson – nur ohne dessen Charme.Da überrascht es kaum, dass überall Parallelen gezogen wurden zur Iron Lady. Truss sagte zwar, sie finde die Vergleiche „frustrierend“ – aber sie tat nicht eben viel, um sie zu entkräften. Ein Bild etwa, das Truss auf einem Panzer zeigte, war eine offensichtliche Kopie des berühmten Fotos von Thatcher aus den 1980er-Jahren. Und bei der ersten Fernsehdebatte des Tory-Führungskampfs trug sie einen schwarzen Sakko und ein weißes Hemd mit einer riesigen Schleife – ganz so wie Thatcher in einer Fernsehansprache 1979, wie die argusäugige britische Presse feststellte.Vor einigen Monaten munkelte man in Westminster sogar, dass Truss wie ihre Heldin Sprechstunden genommen habe, um mit einer tieferen Stimme zu sprechen.