Todesparade und politische Hütchenspieler - Nachwort zur Love-Parade

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Zwischenzeitlich haben sie es kleinlaut eingestanden: Die großmäuligen Zahlenangaben waren ein Werbeschwindel. Nach den Duisburger Ereignissen wird die Frage nach „Sicherheitsversagen“, Schuld und Verantwortung gestellt und in einem Schwarze-Peter-Spiel – mit und ohne Medienberater – zwischen Stadt, Polizei, Veranstalter und Politikern hin- und hergeschoben. Ein unbeholfener Kommunalpolitiker bietet sich als Bauernopfer an. Die Frage, ob es nicht Ausdruck unverantwortlicher Politik war, ein ausgelaufenes Steuerabschreibungs-Modell als Kultur-Event aufzubrezeln, wird nicht gestellt. Das läßt für die Prioritäten der Jugend- und Kulturpolitik in der Möchte-Gern-Metropole Ruhr keinen Lernprozeß erwarten ...

Peter Rath-Sangkhakorn:

Ein Nachwort zur Love-Parade 2010 - Todesparade und politische Hütchenspieler

Die Duisburg Death-Parade steht für Größenwahn, Profitgier und kulturelle Naivität der leitenden Angestellten unserer Republik. Und viele, die jetzt mit dem Finger der ausgestreckten Hand auf den Duisburger Oberbürgermeister Herrn Sauerland zeigen und ihn zum Bauernopfer machen, sollten bedenken, wieviele Finger auf sie zurück zeigen. Oder hat mann/frau schon vergessen wer alles unter dem Etikett „Event“ und „Jugendkultur“ so KRAFTvoll für das Love-Parade-Spektakel geworben hat, was schon seit Jahren nur noch der "kommerziellen Verwertung und der Werbung einer Marke diente“ (Motte). Ein Steuerabschreibungsmodell als Kultur-Event und Standortfaktor zu verkaufen, steht für den weiteren Niedergang der vorherrschenden Kulturpolitik.

Die Love-Parade unter dem Motto „The Art of Love“, also die Kunst der Liebe, war schon ein aufdringlicher Massenwindel und wenn unsere Pietätsheuchler und Kondolenzkamerilla jetzt nur über Sicherheitskonzepte und Sicherheitslücken nach“denken“ offenbaren sie nur, das postindustrielle Elend weiter „kulturell“ überformen zu wollen.

Jugendliche machen heute zunehmend die Erfahrung wie ihnen Lebens- und Erfahrungs(spiel)räume beschnitten werden und sie im Wartestand gesellschaftlicher Überflüssigkeit verharren müssen. Jugend war stets geprägt von Neugier und Kreativität, Erkenntnisgewinnung und Abenteuerlust, der Infragestellung bestehender Normen und dem Bedürfnis nach Erfahrungslernen – auch im Bereich von Kommunikation und Sexualität. War Jugendkultur früher eine mehr regional konzentrierte „Lausbubenkultur“ hat sie heute die Möglichkeit des weltweiten Vergleichs, Trends wahrzunehmen und zu übernehmen. Der zunehmende Medienkonsum aber auch die soziale Konstruktion von Wirklichkeit durch Medienmanipulation bestimmt ein gewandeltes Bild der Jugendkultur: so gibt es nicht nur Kontinuitäten von Woodstock bis zur Love-Parade, sondern auch Unterschiede. Was als grenzenloser Spaß mit prallen Beats und schönen Körpern am Anfang der Techno-Szene stand ist von Loveparade zu Loveparade mehr zu einem Konsumspektakel verkommen, indem auf den „Flotern“ nicht mehr Raver, sondern Go-Go-Girls tanzten und die ursprüngliche Subkultur lieber zuhause blieb als sich dem Massenauftrieb anzuschließen.

Von einer Gesellschaft, die es nicht schafft ein Menschenrecht auf menschenwürdige Arbeit und menschenwürdiger Muße miteinander zu verbinden, in der das Menschenrecht auf offene Bildung zur „Employability“ der Standortkonkurrenz im globalen Wettbewerb verkommt, kann keine kulturelle „Breitenarbeit“ erwartet werde. Wenn die allgemeine Kommerzialisierung voranschreitet und unter dem Etikett „Sparen“ im Bereich der Kultur- und Sozialpolitik zu Gunsten des großen Geldes und der Banken gekürzt wird, braucht man sich auch über den Run auf (kostenlose) Großereignisse nicht zu wundern. Und es überrascht dann auch nicht, wenn Jugendliche ins „second life“ strömen, weil das „first life“ so beschissen und erlebnisarm ist. PR-Spektakel, die von Medien dann auch unter dem Etikett Kultur 2010 als „Event“ großgeschrieben werden, sind dann die Plomben für die Erlebnislöcher einer nur noch als Konsumenten ernst genommen Jugend.

Wenn Jugendzentren vor sich hin dümpeln, Schulen zu Bildungsvollzugsanstalten verkommen, Kulturarbeit gekürzt und Kultur ein kommerzialisiertes Wirtschaftsgut wird, wenn statt Werten und Inhalten nur noch „Kompetenzen“ in Schulen und Bildungseinrichtungen vermittelt werden, um im globalen Wettbewerb andere nieder zu konkurrenzieren, der Sozialdarwinismus gefördert wird, warum wundert man sich dann noch, wenn es nur noch Identität durch Selbstaufblähung gibt? Dann geht es doch ohne jedwede Handlungsfolgenabschätzung immer nur noch nach dem Motto „immer größer – immer schneller – immer weiter“.

Hätten Jugendliche „vor Ort“ Möglichkeiten jugendgemäßer Entfaltung, bräuchte es keiner Mega-Events, die sich dann doch als Massenschwindel und Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Verblödung erweisen.

Die Frage einer allen Menschen zugänglichen kulturellen Infrastruktur hat das Projekt Ruhr 2010 bislang nicht gestellt. Über jeden Spielsalon im Ruhrgebiet das Schiller-Wort „nur wo der Mensch spielt, ist er Mensch“ anzubringen, wäre vielleicht die letzte sinnvolle Subventionsverwendung, die als Nachdenkhilfe auf den Weg gebracht werden könnte.

Die Skala des Politik(er)versagen ist lang und oft in ihren Auswirkungen grausamer als der spektakuläre Tod von 21 Jugendlichen auf dem Altar des Kultur-Kapitalismus. Was im letzten Jahrhundert über neue Prioritäten städtischer Kultur- und Jugendpolitik diskutiert wurde, ist bei den Platzhirschen der Medien- und Kreativwirtschaft im Revier noch nicht angekommen. Roland Günter, Vorsitzender des Deutschen Werkbundes, hat schon zu Beginn des Un-Kulturspektakels Ruhr 2010 den „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ kritisiert: Das Feuerwerk der Nichtigkeit geht vorbei, auch für die Leute, die „ihren aufgeblähten Busen für den Blasebalg der Gottheit halten“ (Friedrich Nietzsche)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

peterrath

Industriekaufmann - Sozialwissenschaftler - Verleger (pad-Verlag)

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