Im Jahre 1982 - und als erstes europäisches Land - stellte Schweden jede Form weiblicher Genitalverstümmelung unter Strafe - und blieb damit seiner gewohnten Konsequenz treu. Nach diesem Gesetz, 1998 verschärft, sind Genitalverstümmelungen selbst mit Zustimmung der Betroffenen gesetzwidrig, ebenso jede Form der Täter- oder Mittäterschaft, Vorbereitung oder Mitwisserschaft. Wer beruflich mit gefährdeten Kindern in Kontakt kommt, unterliegt einer Meldepflicht. Auch wer die Tat ins Ausland verlegt, macht sich strafbar, sofern diese Praktiken dort ebenfalls illegal sind. Je nach Ausmaß der Körperverletzung drohen Freiheitsstrafen von bis zu vier, in schweren Fällen von bis zu zehn Jahren, zumindest aber Geldstrafen. Zwar sind die Schweden noch keineswegs am Ziel - doch über den Stand von Lippenbekenntnissen längst hinweg. Schwer vorstellbar, daß dort - wie in Deutschland geschehen - Strafanzeigen gegen genitalverstümmelnde Ärzte in Schubladen vermodern.
In Schweden leben circa 37.600 Einwanderer aus Ländern, in denen Genitalverstümmelung fgm praktiziert wird. 10.000 Frauen stammen aus Äthiopien und Eritrea, wo circa 90 Prozent, und Somalia, wo fast 99 Prozent der Frauen und Mädchen betroffen sind - viele von der drastischen Variante, der Infibulation. 1993 initiierte die schwedische Gesundheitsbehörde ein dreijähriges Mutter-Kind-Projekt, das effektive Präventionsmaßnahmen und Möglichkeiten einer angemessenen medizinischen und psychologischen Versorgung genitalverstümmelter Frauen identifizierte. Das Projekt konzentrierte sich auf afrikanische communities in Schweden und auf Berufsgruppen, die häufig mit Betroffenen in Kontakt kommen: Mediziner, Lehrer, Sozialarbeiter. Diese Gruppen brachten ihre spezifischen Kenntnisse bereits in die Planung und später in der Ausführung ein. Erfahrungen aus den Ursprungsländern weiblicher Genitalverstümmelung wurden von vornherein genutzt.
Das umfangreiche Projekt sensibilisierte nicht nur die Massenmedien, sondern errichtete auch ein Netzwerk, erstellte spezifisches Informationsmaterial, bot Fortbildungsmaßnahmen an und formulierte Empfehlungen für Personal in Medizin und Gesundheitsfürsorge. Die Arbeit hatte Erfolg: Das Wissen um die Problematik von fgm und die Sensibilisierung wuchsen beim medizinischen Personal erheblich, wie eine spätere Evaluierung ergab.
Für die Aufklärung der aus Afrika stammenden Zielgruppe - vorrangig Somalis - nutzte das Projekt Informationsschriften, Workshops, Videos und Beiträge in lokalen somalischen Medien. Die Resonanz war groß und löste Diskussionen um gesundheitliche, religiöse und soziale Aspekte aus. Vor allem der Medienberichterstattung und einigen Nichtregierungsorganisationen ist es zu verdanken, daß der Informationsgrad innerhalb der somalischen community stetig ansteigt. Viele Familien begannen umzudenken, aber das zog noch keineswegs die vollständige Abkehr von der Tradition fgm nach sich. Zwar nahm die Bereitschaft zur Infibulation ab, doch aus religiösen Gründen bestanden mehr als 90 Prozent auf einer weniger drastischen »Beschneidung« für ihre Töchter - ungeachtet der Gesetzgebung. Deutlich wurde, offenbar können nur Religionsführer glaubhaft machen, daß es sich bei der weiblichen »Beschneidung« um eine religiöse Fehlinterpretation handelt.
Marion Hulverscheidt
Kleine Schritte zur Vorbeugung
Almuth Schellpeper
Harte Strafen als Abschreckung
Charlotte Beck-Karrer
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.