Tinnitus, ein dauerhaftes Rauschen oder Pfeiffen im Ohr, ist ein bestenfalls lästiges, schlimmstenfalls nervtötendes Symptom, von dem nach unabhängigen Schätzungen zwischen 0.5% und 10% der Bundesbürger betroffen sind. Einmal chronisch geworden, sind die Aussichten, das Ohrgeräusch wieder loszuwerden, verschwindend gering.
Dementsprechend verheißungsvoll klingen die seit Jahre regelmäßig in der Presse zu lesenden Behauptungen unzähliger Mediziner und Unternehmen, endlich eine wirksame Behandlung gegen Tinnitus gefunden zu haben. So vermeldet das Forschungszentrum Jülich in einer Pressemeldung vom 29.5.09:
"Klein wie ein Hörgerät ist der Neurostimulator, der das lästige Klingeln im Ohr von Tinnitus-Patienten abstellen kann. 2010 soll das Gerät, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen des Forschungszentrum Jülich beruht, auf den Markt und damit zu den Patienten kommen"
Eine erste Studie, so erfährt der Leser weiter, habe bei "mehr als 70 Prozent der Probande[n]" zu einer Reduktion der Symptome geführt. Wo diese Studie veröffentlicht wurde und welche weiteren Untersuchungen notwendig sind, erfährt man hingegen nicht. Eine PubMed-Recherche mit den Schlüsselworten "tinnitus" und "Tass" (dem Nachnamen des in der Pressemeldung genannten Forschers) hinterlässt den Leser ähnlich ratlos. "No items found", so die schlichte Antwort der Datenbank.
Eine ähnlich euphorische Pressemeldungen, die auf offenbar unveröffentlichten Forschungsergebnissen basierte, irritierte betroffene Patienten im Übrigen schon vor rund einem Jahr. "Erfolge in Tinnitus-Studie" verkündete damals das Pharmaunternehmen Merz. Der Wirkstoff Neramexan, so hieß es, habe in einer Phase-IIb-Studie positive Ergebnisse bei Ohrgeräuschen erzielt, eine Phase III-Studie sei in Vorbereitung. Zwar scheint diese neue Untersuchung mittlerweile tatsächlich auf dem Weg zu sein, doch auf die Resultate der in der Pressemitteilung so lauthals verkündeten Studie wartet man in der medizinischen Fachpresse noch immer.
Ob der Jülicher Neurostimulator oder das Neramexan tatsächlich effektive Behandlungen für Tinnitus sind, bleibt also bis auf Weiteres offen.
Kommentare 3
Bei solchen Pressemeldungen hilft dann nur Tinnitus in den Augen.
Im übrigen bin ich ja ein großer Fan von Prozentangaben wie "zwischen 0,5 - 10%". Man könnte auch sagen "Fast keiner bis jeder Zehnte". Aber das ist wohl Fortschritt.
Die Prozentangaben in der Forschungsliteratur schwanken tatsächlich so stark. Ich wünschte, ich könnte seriösere und solidere Zahlen liefern!