So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Nach den vielen Jahren, in denen wir die Verpoppung deutscher Literatur zuerst herbeigeschrieben, dann gefeiert haben, schließlich nicht mehr losgeworden sind, hofften wir auf das große Neue. Der immergleichen Beschreibung dröger Party- und Drogenexzesse, des pseudoerzählerischen Marken- und Musikstilfetischismus überdrüssig, erwarteten wir die Erlösung. Ernsthaft sollte diese Literatur sein und wieder politisch vielleicht, zumindest aber kritisch, den Blick auf jenen gesellschaftlichen Bereich gerichtet, ohne den die Party nicht stattfinden kann: die Arbeit.
Als wir dann erfuhren, dass gerade die Röggla sich darum bemüht, sich unserer schönen neuen Arbeitswelt literarisch anzunehmen, da waren wir beruhigt und gespannt. Sie, die sich bereits zu Zeiten, als die Etikettierung eines Textes als "Pop" einen gewissen Verkaufserfolg garantierte, nicht vereinnahmen ließ, die in irres wetter den Berlin-Hype der späten Neunziger mit dessen eigenen Mitteln bloßstellte, die sprachlich immer etwas schärfer, immer etwas konkreter war als all die anderen dieser ominösen jungen Generation - wer, wenn nicht die 1971 in Salzburg geborene Röggla sollte also imstande sein, die lang ersehnte Rückkehr zur literarischen Gesellschaftskritik zu vollbringen.
Als dann endlich wir schlafen nicht erschien, waren wir verwirrt: Ein sprachlich recht sperriger, inhaltlich kaum neuer Text, den man nach der ersten Lektüre eher verärgert als erbaut aus der Hand legte. Und vor allem: Kathrin Rögglas Buch ist eindeutig eine Mogelpackung. Denn ein Roman, wie auf dem Cover versprochen, ist er sicher nicht. Ein Roman, wir erinnern uns, setzt Handlung voraus. Handlung wiederum bedeutet Veränderung. Beides sucht man in dem Text vergeblich. Lähmende Statik beherrscht das erzählte Geschehen von der ersten bis zur letzten Seite.
Die Erzählsituation lässt anderes auch nicht zu. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Gegenwart auf irgendeiner Messe in Deutschland äußert sich das mittlerweile verbrauchte Personal einer offenbar zweitklassigen Unternehmensberatung zu ihrem Arbeitsleben. Vom klischeebehafteten "yuppie-high-flyer-leben" wird da berichtet, über Stressbewältigungsstrategien geplaudert und mit permanenter Schlaflosigkeit geprahlt. Neu ist das wirklich nicht. Das Denken und die Sprache der Ökonomie sind längst im gesellschaftlichen Alltag angekommen, während gleichzeitig der große Wirtschafts- und Börsenboom der neunziger Jahre unvorstellbar weit zurückzuliegen scheinen. Sich im Jahr 2004 noch über die sprachliche Eindimensionalität von BWLern zu echauffieren und über das Gerede von "leistungsmentalität" lustig zu machen, geht an der Realität vorbei.
Auch die Mittel der Darstellung können wir kaum als neu durchgehen lassen. Das Dokumentarische, das bereits durch einen Hinweis, dem Text lägen reale Gespräche "mit consultants, coaches, key account managerinnen, programmierer, praktikanten usw. zugrunde" sowie die verwendete Interviewtechnik besitzen eine lange Tradition, gerade in Bezug auf die Erzählung von Arbeit. Rögglas Text hat damit eher Ähnlichkeiten mit einem Theaterstück als einem Roman. Nicht ungefähr werden die Figuren anhand ihrer Position und ihres Alters eingeführt und treten in vorwiegend monologischem und stellenweise dialogischem Sprechen auf, hinter dem die Erzählerin als Archivarin des Berichteten zurücktritt. Die Messe als Bühne der Wirtschaft, die im Reden über sich selbst ihren eigenen Untergang verpasst - der Text als Theaterstück ist offensichtlich eine Farce, mit Zombies in den Hauptrollen. Kein Wunder, dass das Stück schon diesen März den Weg auf die Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses fand.
Wie gesagt: Wegen all dem muss man das Buch nicht gelesen haben. Was den Text jedoch zum nachhaltigen Lektüreerlebnis macht, liegt gerade in der sprachlichen und formalen Konsequenz, in der Röggla die vordergründige Hektik des Messetages, an dem eigentlich nichts passiert und der damit das berichtete Beraterleben verdoppelt, affirmativ nachvollzieht. Dabei weist die offenkundig irreführende Bezeichnung des Textes als "Roman" den Weg. Die Handlungslosigkeit wird als Funktion der Sprache selbst erkennbar. Nicht das "wirkliche" Arbeitsleben steht im Mittelpunkt des Textes. Rögglas Thema ist ein anderes: die Ökonomisierung der Sprache und deren Widerstand. Denn die Faktizität, von der hier scheinbar die Rede ist, wird sprachlich erzeugt: durch den strategischen Hinweis auf real geführte Gespräche, das Dokumentarische, das die Interview-Erzählerin vermeintlich unkommentiert wiedergibt. Die Schlaflosigkeit, die dem Text seinen Titel gab, suggeriert reine Präsenz, während diese doch nur Sprache - und das ist: Abwesenheit - bezeichnet. Die Welt der Berater ist die Welt der Rede. Nicht zufällig wird diese, wie Röggla schreibt "zur Verfügung gestellt". Dem ökonomischen Kalkül dient sich die Sprache willfährig an.
Willfährig? Nicht ganz. Denn Rögglas weitgehendes Beharren auf der sperrig wirkenden indirekten Rede und die gleichzeitigen Widerholungen zitathafter Phrasen entwirklicht die dargestellte Welt. Die ökonomische Sprache entpuppt sich selbst als ideologisch und eindimensional. Damit geht der Text über eine einfache Kritik am Arbeitsleben hinaus. Diesem vorgeschaltet ist immer die Art und Weise des Sprechens über sie und die Welt. Nur wenn dieses selbst sich dem ökonomischen Diskurs angleicht, kann die Wirtschaft als Schicksal erfahren werden. Das Ärgerliche, das man bei der Lektüre empfindet und vorschnell dem Text, der steten Widerholung und Paraphrasierung, der Nicht-Handlung und Nicht-Einsichtigkeit der Figuren anlasten möchte, fällt auf den Leser zurück. Es zeitigt die Erkenntnis, dass wir uns an die Ökonomisierung der Sprache bereits gewöhnt haben. Röggla ertappt uns beim sprachlichen Einverständnis mit einer Welt, die wir gleichzeitig so gern kritisiert sehen würden. Nein, so hatten wir uns das in der Tat nicht vorgestellt.
Kathrin Röggla: wir schlafen nicht. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2004, 219 S., 18,90 EUR
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