Da die Zeit gekommen ist

Linke Warum es gut ist, dass Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch künftig die Fraktion leiten werden
Ausgabe 24/2015
Die mögliche Gysi-Nachfolge: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch
Die mögliche Gysi-Nachfolge: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch

Fotos: Müller-Stauffenberg, Metodi Popow/Imago

Die Linkspartei steht an einem Wendepunkt, nicht nur weil Gysi geht, sondern weil sie sich seit Jahren vor der überfälligen Frage gedrückt hat: Zu welchem Zweck machen wir das alles eigentlich? Wollen wir im Bund an die Macht? Und was wäre der Preis dafür? Gysi war – bei all seinen Verdiensten – für diese Debatte nicht der Richtige, aus vielerlei Gründen (siehe „Wahre Größe“). Aber jetzt, zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl, steht die Klärung an.

Inzwischen ist klar: Es läuft bei der Neubesetzung der Fraktionsspitze auf das Duo Sahra Wagenknecht/Dietmar Bartsch hinaus. Die Parteispitze hat die beiden nominiert, im Oktober sollen sie von der Fraktion gewählt werden. Man kann nicht sagen, dass die beiden in inniger Freundschaft miteinander verbunden sind. Es wäre trotzdem ein Glücksfall für die Linkspartei. Denn es geht nicht vorrangig darum, die Zusammenarbeit der 64 Abgeordneten professionell und geräuschlos zu managen. Das wäre den ebenso angesehenen wie braven Fachpolitikern Jan van Aken und Martina Renner durchaus auch zuzutrauen. Die Linkspartei braucht im Bundestagsvorwahljahr 2016 aber etwas anderes: eine gut gemanagte Debatte über eine mögliche Regierungsbeteiligung mit dem Ziel, Angela Merkel im Kanzleramt abzulösen und einen Politikwechsel zu ermöglichen.

Und dafür werden die beiden politischen Schwergewichte Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gebraucht. Sie sind die Exponenten der beiden einflussreichsten Parteiströmungen und Garanten dafür, dass die Debatte geführt wird, ohne dass die berüchtigten Flügelkämpfe wieder ausbrechen. Das war ja immer beides: Gysis Sorge und Gysis Last. Wie das funktionieren kann, haben Wagenknecht und Bartsch im vergangenen Frühjahr gezeigt, als sie ein gemeinsames Papier vorlegten. Es ist deshalb mitnichten so, wie SPD-Vize Ralf Stegner gleich nach dem Bundesparteitag unkte: „Die Linkspartei wird es ohne Gysi sehr schwer haben, sich auf der Bundesebene von der Fundamentalopposition hin zu einem potenziellen Koalitionspartner zu entwickeln.“ Das Gegenteil ist der Fall. Es wird viel leichter sein, endlich kann diese überfällige Debatte geführt werden.

Denn es ist ja bei weitem nicht so, dass sich da zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen. Die einen, die um jeden Preis regieren wollen. Und die anderen, die das partout ablehnen. Dieser Antagonismus ist zwar Teil einer beliebten Medienerzählung, der aber vor allem eines wichtig ist: alles immer fein säuberlich in Schubladen zu sortieren. Auf die Frage, ob man mitregieren wolle, sagt Wagenknecht: „Ich habe überhaupt nichts gegen reagieren.“ Wenn die Bedingungen stimmen, fügt sie dann stets hinzu. Und Bartsch sagt: „Man muss regieren wollen. Man muss regieren können. Und es müssen die Bedingungen dafür stimmen.“ Das ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Und für den Anfang einer Debatte, in der es auch um das Selbstverständnis der Linkspartei geht, ist das schon einmal keine schlechte Ausgangsbasis.

Natürlich gibt es zwischen beiden auch große Unterschiede. Diese wurden nicht zuletzt auf dem Bundesparteitag deutlich. Mit der SPD und ihrer Politik will Wagenknecht derzeit nichts zu tun haben. „Die Linkspartei ist nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen“, rief sie den Delegierten zu und bekam dafür viel Applaus. Dagegen wird Bartsch, dem nachgesagt wird, er verstehe sich gut mit Sigmar Gabriel, nicht müde, in Interviews zu sagen, er könne sich vorstellen, einen sozialdemokratischen Kanzler zu wählen. Aber die SPD in ihrer jetzigen Verfassung lehnt auch er ab.

Innerparteilich wird es vor allem darum gehen, ob Spielräume bei den finanz-, sozial-, arbeitsmarkt- und außenpolitischen Positionen denkbar sind und zugelassen werden. Die bisherige Haltung, dass sich SPD und Grüne auf die Linkspartei zubewegen müssen, ist zwar aus taktischen Gründen nachvollziehbar, wird aber nicht unbedingt zum Erfolg führen. Die Fenster aufstoßen – das können nur Leute wie Wagenknecht oder Bartsch, die aus eigener Erfahrung wissen, wie man das macht.

Es gehörte Mut dazu, Bartsch und Wagenknecht zu nominieren, denn natürlich ist damit auch ein Risiko verbunden. Das Verhältnis der beiden zueinander stehe auf dünnem, aber tragfähigem Eis, hieß es kürzlich. Ob das so bleibt? Wer weiß das schon? Andererseits: Wenn die Linkspartei jetzt nicht den Mut findet, diese Debatte zu führen, kann sie es sich bis 2021 in der Opposition gemütlich machen. Die Sache mit der Ablösung von Angela Merkel hat sich bis dahin vielleicht von selbst erledigt.

Und Gregor Gysi? Der wird sich die Dinge künftig von der Seitenlinie aus anschauen. Opposition sei kein Selbstzweck, hat er in seiner Abschiedsrede auf dem Bielefelder Parteitag noch einmal betont. Regieren ist es aber auch nicht. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur des Freitag

Philip Grassmann

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