Der Christian aus Osnabrück

Wulff-Rücktritt Wulff hat bis zum Schluss nicht verstanden, warum er nicht im Amt bleiben konnte. Nicht nur das Amt des Bundespräsidenten hat Schaden genommen. Sondern auch die Politik

Christian Wulff ist nicht mehr Bundespräsident. Man kann nur sagen: ein Glück. Zwei Monate lang hat er versucht, die klammheimliche Nähe, die er als Ministerpräsident zu einflussreichen Wirtschaftsbossen gepflegt hat, als eine durchaus übliche Form der Freundschaft darzustellen. Das haben ihm im Laufe der Affäre immer weniger Menschen geglaubt. Selbst die Staatsanwaltschaft, die lange gezögert hat, ist schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass die persönliche Nähe, die Wulff als Ministerpräsident bei einigen Wirtschaftleuten zuließ, anrüchig und verdächtig ist. Wulff hat bis zum Schluss nicht verstanden, dass ein Spitzenpolitiker schneller einflussreiche Freunde findet, als ein Normalbürger. Und er hat sich offenbar auch nie gefragt, warum das so ist. Er hat sich nicht wie ein Ministerpräsident aus Hannover oder ein Staatsoberhaupt im Schloss Bellevue verhalten, sondern wie der Christian aus Osnabrück. Der Unterschied war ihm offenbar bis zum Schluss nicht klar. Nun will die Staatsanwaltschaft wegen Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung ermitteln.

Dass sich diese Affäre so lange hingezogen hat, ist allerdings nicht nur dem Starrsinn des Niedersachsen zu verdanken, sondern auch der Sprachlosigkeit der Politik. Denn die Zurückhaltung, mit der die Parteien auf die immer neuen Vorwürfe gegen Wulff reagiert haben, sind beschämend. Dahinter stand stets die Sorge, "das Amt" nicht zu beschädigen. Der Schaden, den das höchste Staatsamt genommen hat, ist in der Tat alleine Wulff anzulasten. Der Schaden, den die politische Kultur in diesem Land in den vergangenen Wochen genommen hat, geht aber auf das Konto derjenigen, die eine offene Debatte über Wulffs Politikstil vermieden haben. Die Glaubwürdigkeit der Politik nimmt Schaden, wenn sich jemand in eine Grauzone begibt, in der nicht immer auszumachen ist, wo die Vorteilsnahme beginnt und die Freundschaft endet. Und sie nimmt noch mehr Schaden, wenn kaum jemand diesen Umstand kritisieren will.

Angela Merkel hat sich in der gesamten Affäre nur soweit es gerade eben notwendig war, zu ihrem Bundespräsidenten bekannt. In den Umfragen hat das dazu geführt, dass die Kanzlerin sogar noch von dem schwachen Mann im Schloss Bellevue profitiert hat. Sie ist derzeit die mit Abstand beliebteste Politikerin der Republik. Und das, obwohl die schwarz-gelbe Koalition in den vergangenen Monaten innenpolitisch kaum etwas bewegt hat. Um Merkel herum sinkt alles zusammen, aber sie bleibt davon unberührt. Das muss ihr erstmal jemand nachmachen.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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