Es gibt ein Foto, auf dem zwei Männer in dunklen Anzügen und einem Spaten in der Hand einen Haufen Sand in die Luft werfen. Seht her, sollte das Bild zeigen, wir packen an. Das Foto ist sechs Jahre alt, es zeigt Matthias Platzeck und Klaus Wowereit beim ersten Spatenstich für den neuen Berlin-Brandenburger Großflughafen. Inzwischen haben die beiden das derzeit größte Infrastrukturprojekt der Republik in den Sand gesetzt. Erst wurde die Eröffnung des Willy-Brandt-Flughafens um neun Monate auf März 2013 verschoben, seit einigen Tagen steht auch dieser Termin in Frage. Geschätzte zusätzliche Kosten: vorerst deutlich mehr als eine Milliarde Euro.
Aber obwohl die verpatzte Eröffnung das wohl größte Debakel des Matthias Platzeck ist, scheint der Ministerpräsident – anders als Wowereit – noch nicht einmal angeschlagen. Niemand stellt die Frage, ob der Brandenburger Regierungschef eigentlich in der Lage ist, ein Projekt dieser Größenordnung zu kontrollieren. Erstaunlicherweise streiten Regierung und Opposition stattdessen um Lärmschutz.
Antipode zu Angela Merkel
Zehn Jahre ist es diese Woche her, dass Matthias Platzeck das Regierungsamt von Manfred Stolpe übernahm. Zehn Jahre, in denen der einstige Umweltminister und Potsdamer Oberbürgermeister nicht nur Regierungschef war, sondern als eines der größten Nachwuchstalente der SPD galt und es sogar bis an die Spitze der Partei brachte. Und doch war ihm die ganze Zeit vor allem eines wichtig: Als Ministerpräsident für Brandenburg da zu sein. In dieser Nische hat er sich inzwischen ziemlich perfekt eingerichtet.
Auf bundespolitische Debatten lässt Platzeck sich fast nie ein, dieses Feld überlässt er lieber anderen in der SPD. Dass er es auch anders kann, hat er in seiner kurzen Zeit als Parteivorsitzender gezeigt. Nach dem Job gedrängt hat er sich nicht, im Gegenteil. Aber als Franz Müntefering im Herbst 2005 den Posten hinschmiss, weil er eine Personalie nicht durchsetzen konnte, und Kurt Beck abwinkte, der sich lieber auf die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz konzentrieren wollte, blieb Platzeck als einziger Kandidat übrig. Auf dem Wahl-Parteitag erhielt er dann mit 99,4 Prozent der Stimmen das zweitbeste Ergebnis seit Kurt Schumacher. Auch weil er eine fulminante Rede gehalten hatte. Er galt als der linke Antipode zu Angela Merkel: beide fast gleich alt, beide aus Brandenburg, beide mit einem pragmatischen Verhältnis zur Politik. Aber während Merkel in dieser Zeit nach der Macht griff und sie seither nicht mehr losgelassen hat, dauerte die Ära Platzeck nur einige Monate. Der Doppelbelastung als Parteichef und Ministerpräsident hielt seine Gesundheit nicht stand, im April 2006 verabschiedete er sich wieder aus dem Willy-Brandt-Haus und zog sich ganz nach Potsdam zurück.
Brandenburgische Genügsamkeit
Ein Schicksal wie das von Wolfgang Tiefensee ist Platzeck dabei zwar erspart geblieben. Auch Tiefensee galt als ostdeutscher Hoffnungsträger der SPD, auch er zögerte, als es darum ging, sein Leipziger Biotop zu verlassen und als Minister nach Berlin zu gehen. Am Ende machte er es doch und wurde Bundesverkehrsminister in der Großen Koalition. Tiefensee scheiterte auf Bundesebene ebenso wie Platzeck, wenn auch aus anderen Gründen. Heute hat er sich ganz aus der Politik zurückgezogen. Im Rückblick bleibt die Erkenntnis, dass sich keiner der jungen ostdeutschen Nachwuchstalente, die nach dem Fall der Mauer in der SPD aufgestiegen sind, außerhalb ihres politischen Biotops dauerhaft behaupten konnten.
Platzeck jedenfalls genügt es vollkommen, sein Brandenburg zu regieren. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft in dem strukturschwachen Land wächst, und seine Partei steht seit Jahren in Umfragen und in Wahlen besser da als die Bundespartei. Sein Brandenburger Generalsekretär Klaus Ness sagt: „Platzeck hat keine Berührungsängste. Er mag die Leute. Und die spüren das.“
Individuelle Vergangenheitsbewältigung
Dass Platzeck allerdings nach der Landtagswahl 2009 die langjährige Koalition mit der CDU gegen ein Bündnis mit der Linkspartei eintauschte, hat dann doch für Aufregung auch jenseits der Landesgrenzen gesorgt. Die Debatte, ob die SPD mit der Linkspartei koalieren darf, ist zwar schon öfter geführt worden. Aber nirgends wurde mit so harten Bandagen gekämpft wie in Brandenburg. Alte, längst offengelegte Stasi-Belastungen einiger Abgeordneter wurden wieder aufgewärmt, neue, noch unbekannte kamen hinzu.
Warum er dennoch am Bündnis mit der Linkspartei festhielt, hat Platzeck, der in der DDR zwar kein Bürgerrechtler war, aber dennoch kritische Distanz zum SED-Regime gehalten hatte, in einem Spiegel-Essay beschrieben: „Ob wir die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen, erweist sich weniger in ritualisierter Vergangenheitsbewältigung als in unserer Bereitschaft zu tätigem Neubeginn.“ Mit dieser Haltung hat er sich viele Feinde gemacht. Platzeck hielt an dem Bündnis fest, aber sein bis dahin offenes Verhältnis zur Presse hat sich verändert. Er ist misstrauischer und vorsichtiger geworden.
Nach diesem schwierigen Start funktioniert die einzig verbliebene rot-rote Koalition der Republik inzwischen relativ reibungslos. „Die Grundlinien stimmen, weil wir uns einig sind, dass soziale Themen Priorität haben“, sagt Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser. Selbst als Platzecks engster Vertrauter und Weggefährte, Innenminister Rainer Speer, wegen verschiedener Affären zurücktreten musste, hat das die Koalition nicht erschüttert.
In zwei Jahren steht in Brandenburg die nächste Wahl an, Platzeck hat bereits signalisiert, dass er erneut als Spitzenkandidat bereitsteht. Er wird dann länger regiert haben als sein Vorgänger Manfred Stolpe. Das ist schon etwas. Die Frage ist nur: Was wäre nicht alles noch möglich gewesen?
Es bleibt die Erkenntnis, dass es keiner der einst jungen ostdeutschen Talente geschafft hat, in der SPD ganz nach oben aufzusteigen. Platzeck zog sich wieder nach Potsdam zurück
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