Die Macht der Verhältnisse

Steuerhinterziehung Der Fall Hoeneß ist symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft: Gerecht ist, was einem nützt. Das muss sich ändern. Das Gericht wird dabei eine wichtige Rolle spielen
Ausgabe 45/2013

Uli Hoeneß kann offenbar immer noch nicht fassen, was da mit ihm geschieht. Er sei vollkommen überrascht davon, dass ihm wegen Steuerhinterziehung nun doch der Prozess gemacht wird. Denn in der Welt des Bayern-Präsidenten war doch eigentlich schon längst alles geklärt: Er hatte sich beim Fiskus selbst angezeigt, er war bereit, seine Steuerschuld über 3,2 Millionen Euro nachzuzahlen, und hatte in einem Interview öffentlich Abbitte geleistet: „Ich habe eine große Torheit begangen.“ Alles klar also. Schwamm drüber.Zum Glück sieht die Wirklichkeit anders aus. Steuerhinterziehung ist schon lange kein Kavaliersdelikt mehr. Die Zeiten, in denen sich wohlhabende Prominente auf das Verständnis und die Milde der Richter verlassen konnte, sind längst vorbei. Ab einem Betrag von einer Million Euro aufwärts ist grundsätzlich von einer Gefängnisstrafe auszugehen – so hat es der Bundesgerichtshof schon 2008 entschieden.

Nur Hoeneß will das nicht wahrhaben. Mit seiner Haltung steht er nicht allein. Sie beruht auf einer tief sitzenden Staatsverdrossenheit, die vor allem in wohlhabenden Kreisen immer stärker um sich greift. Der Staat, oder wahlweise die Justiz, möge doch bitte die Finger aus den Privatangelegenheiten der Bürger raushalten. Was gerecht ist, regelt man am besten untereinander. Oder man entscheidet gleich selbst.

Nur so ist zu verstehen, warum Hoeneß es nicht für notwendig hielt, seine Spekulationsgewinne zu versteuern, er aber gleichzeitig als großzügiger sozialer Wohltäter und moralische Instanz auftrat. Dem Staat hat er die Mittel vorenthalten, die er benötigt, um die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu regeln. Wo er das selber entscheiden konnte, hatte er dagegen kein Problem damit. Ja mehr noch: Bürger wie Hoeneß sind fest überzeugt davon, dass sie der Gesellschaft einen Gefallen tun, wenn sie dem Staat die fälligen Abgaben vorenthalten – sie bewahren ihn davor, das Geld seiner Bürger durch inkompetente Entscheidungen sinnlos zu vergeuden. Prangert der Bund der Steuerzahler nicht jedes Jahr Dutzende solcher Projekte an? Na also!

Dass die Anteilseigner und Sponsoren des FC Bayern in dem Verhalten des Vereinspräsidenten keinen Grund für einen Rücktritt sehen, passt zu dieser Welt. Die Unternehmen haben zwar alle einen Verhaltenskodex unterschrieben, der Firma und Angestellte dazu verpflichtet, sich korrekt zu verhalten. Doch für den Fall Hoeneß soll dieser Maßstab selbstverständlich nicht gelten – weil seine Verdienste um den Club so groß sind. Und schließlich: Dass der Bayern-Präsident jahrelang an den Börsen zockte und in dieser Zeit den Fiskus hinterging, sei doch Privatsache.

Die Partei, die politisch für diese Klientel eintrat, ist am 22. September aus dem Bundestag geflogen. Ob die Staatsverdrossenheit in der Gesellschaft ebenfalls auf dem Rückzug ist? Das Verständnis, das Hoeneß allerorten erfährt, spricht eher dagegen. Wäre er ein Politiker, er hätte längst zurücktreten müssen. Aber für Fußballclub-Präsidenten gelten offenbar andere Maßstäbe. Da ist etwas aus dem Lot geraten, und es wäre ein fatales Signal, wenn Hoeneß mit einem Vergleich vor Gericht davonkommen würde. Die Richter können mithelfen, die Maßstäbe wieder geradezurücken. Hoffentlich tun sie es auch.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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