Diese Wähler muss man von Merkel wohl nicht mehr überzeugen. Aber was wissen sie schon von ihr?
Sascha Schuermann/Getty Images
Noch nie seit Gründung der Republik ist das Land von einer so blassen Figur wie Angela Merkel regiert worden. Vielleicht noch am ehesten ist Kurt Georg Kiesinger von vergleichbarer Unscheinbarkeit gewesen. Aber das waren auch andere Zeiten. Angela Merkel ist nun im achten Jahr ihrer Kanzlerschaft, und so richtig nahegekommen oder gar entschlüsselt hat diese Frau noch keiner der zahlreichen Beobachter und Biografen. Eigentlich merkwürdig. Denn Merkel mag zwar eine blasse Politikerin sein, eine unbedeutende ist sie keinesfalls. Hinter der Fassade der Kartoffelsuppe kochenden, Golf fahrenden und in der Uckermark entspannenden Pragmatikerin verbirgt sich eine Politikerin, die in den vergangenen Jahren die eigene Partei ebenso umgekrempelt hat wie die Europäische Union. Ob i
b ihr das auch mit dieser Republik gelungen ist – darüber gehen die Meinungen derzeit noch auseinander.Einen neuen Anlauf, diese Frau zu durchschauen, haben drei Journalisten unternommen: Nikolaus Blome (Bild, bald Spiegel) Stephan Hebel (Frankfurter Rundschau und Autor dieser Zeitung) sowie Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung). Und es sei vorweg gesagt: Zu unterschiedlicheren Ergebnissen hätten die Autoren kaum kommen können. Das liegt wohl vor allem an der hermetischen Natur ihres Objekts. Merkel schillert. In welchen Farben, liegt im Auge des Betrachters.Mal gezittertNikolaus Blome hat seine 16 Kapitel mit jeweils einer Frage überschrieben. Macht Merkel für Macht alles? Warum hält sie die Hände so komisch? Die hat doch ein Problem mit Männern? usw. Das ist originell und macht neugierig. Blomes These fällt dagegen deutlich ab: Dass Merkel, wie der Titel sagt, eine Zauderkünstlerin ist, die abwartet, bis die günstigste Variante einer Entscheidung möglichst deutlich erkennbar ist, dass sie die Dinge durchschauen will, bevor sie beschließt, das alles haben andere so oder so ähnlich auch schon geschrieben.Diese vergleichsweise einfache Erkenntnis hat Blome in zahllose Anekdoten verpackt, die er als politischer Korrespondent mit ihr erlebt hat. Wohl auch um zu zeigen, hier ist einer, der Merkel sehr gut kennt und vor allem auch: versteht. Das ist anfangs unterhaltsam, aber dann doch etwas ermüdend. Angela Merkel erschließt sich einem jedenfalls nicht besser, wenn man weiß, dass sie ihre Büroleiterin Beate Baumann siezt, obwohl man sich seit Jahrzehnten kennt, während sie ihren Ex-Konkurrenten Roland Koch immer geduzt hat; oder dass Merkels Stimme bei einer wichtigen Entscheidung mal gezittert hat und dass sie auch mal Scheiße sagt.Dass Blome auch anders kann, zeigt er in dem Kapitel „Was denkt sie über die Deutschen?“. Ein Satz von Merkel, aufgeschnappt auf dem Rückflug nach einem anstrengenden Tag in Brüssel, ist der Ausgangspunkt für einen Kurzessay über Merkels Politikverständnis: „Die Leute sollen uns Politiker die Politik machen lassen, weil wir so viel mehr davon verstehen“, seufzt Merkel zu vorgerückter Stunde. Ein banaler Satz. Aber einer, der es in sich hat. Für Blome ein Kernsatz, den er so interpretiert: Beim Politikmachen möchte Merkel möglichst wenig gestört werden, der Wähler ist für sie nur ein launischer Konsument, den man nicht überfordern darf. Politik als Management, mit der leider üblichen Portion Verachtung von Konzernbossen für ihre Kundschaft. Besser kann man die Debatte über Postdemokratie in der deutschen Politik nicht auf den Punkt bringen. Es geht also auch ohne Gedöns. Nur leider zu selten.Nur ein MärchenMangelnder Mut für eine griffige These ist zumindest nicht das Problem von Stephan Hebel. Im Gegenteil, schon das Cover von Mutter Blamage ist eine Provokation: Es zeigt Merkel mit halb geschlossenen Augen, sie sieht irgendwie belämmert aus, so als müsse sie sich eine Standpauke anhören. Und das muss sie in der Tat. Denn Hebel hat ein leidenschaftliches Plädoyer gegen eine Politikerin geschrieben, die für ihn eben nicht eine Frau ohne Eigenschaften ist, sondern eine Überzeugungstäterin. Die angebliche Inhaltslosigkeit ihrer Politik ist für ihn schlicht „ein Märchen“. Während die meisten Merkel-Versteher der Meinung sind, sie habe sich nach dem enttäuschenden Bundestagswahlergebnis 2005 von den neoliberalen Reformvorschlägen des Leipziger Parteitags verabschiedet und verwalte die Republik nun lediglich nach pragmatischen Erfordernissen, ist Hebel anderer Ansicht. Merkel, die Gemäßigte – das glaubt er keine Sekunde. Sie rede zwar nicht darüber, aber die neoliberale Ideologie sei nach wie vor ihre Triebfeder, der Leitfaden ihrer Politik. Die Kanzlerin, so argumentiert Hebel, orientiere sich in ihrem politischen Handeln vor allem an den Interessen des Finanzkapitals und der Wirtschaft.Hebel seziert die Ergebnisse dieser Politik. Und die machen ihn wütend. Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht in diesem Land immer weiter auf, die Löhne stagnieren, Leiharbeit und Niedriglohn boomen, und die Kosten der Finanzkrise wurden bekanntlich auf die Allgemeinheit umgelegt. Und all das geschieht, ohne dass Politik oder Gesellschaft sich groß darüber aufregen würden. Der müde Wahlkampf ist dafür der beste Beweis. Gegen diese Lethargie schreibt Hebel an: streitbar, klug, oft polemisch und manchmal auch überzogen. Ein politisches Buch, im besten Sinne.Wesentlich staatstragender ist da Stefan Kornelius. Sein Buch beschäftigt sich vor allem mit Merkels Außenpolitik, die irritierenderweise bisher eher am Rande besprochen worden ist. Schließlich spricht einiges dafür, dass Merkels Amtszeit eines Tages vor allem danach beurteilt werden wird, wie sie mit der Euro-Krise umgegangen ist. Interessant ist das Buch, weil Kornelius die Entstehung von Merkels Haltung zu Europa, den USA, Frankreich und Russland bis in ihre Jugend in der DDR zurückverfolgt.Sein Zeugnis über Merkels Krisenmanagement fällt weitgehend positiv aus. Eine einleuchtende Erklärung für Merkels Abkehr von der traditionellen Europapolitik, die immer auf die Stärkung der europäischen Institutionen hinauslief, hat Kornelius auch parat: Die Krise habe sie vor die Alternative gestellt, entweder einen europäischen Superstaat anzustreben oder die Nationalstaaten zu stärken. Merkel habe sich für letzteres entschieden. Das ist alles sehr schlüssig argumentiert und anekdotenreich beschrieben. Ob Kornelius mit seiner Einschätzung richtigliegt, ist eine andere Sache. Aber das wird die Zeit zeigen.
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