Die Mutlosen

Bundestagswahl Die SPD ist ein ganzes Stück vorangekommen. Aber gemessen an ihrem Ziel – dem Machtwechsel – ist das Wahlergebnis eine Klatsche für Strategen und die Führungsriege
Die Mutlosen

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Gemessen am Ergebnis vor vier Jahren ist die SPD ein ganzes Stück vorangekommen. Aus 23,0 Prozent wurden immerhin 26 Prozent. Und dass, obwohl Peer Steinbrück den Start seiner Kandidatur famos verpatze und seine Kampagne erst sehr spät – nämlich mit dem TV-Duell – in Fahrt kam. Steinbrück kann jedenfalls erhobenen Hauptes vom Platz gehen. Trotz widriger Umstände ist es ihm gelungen, die SPD politisch zu stärken. Das ist keine Kleinigkeit in einem Wahlkampf, dem es zwar nicht an inhaltlichen Angeboten, wohl aber an politischen Kontroversen gemangelt hat.

Aber gemessen an dem, was die SPD als größte Oppositionspartei anstreben sollte – nämlich die Macht – ist das Wahlergebnis eine Klatsche für die SPD-Strategen und vor allem für ihre Führungsriege. Aus dieser Perspektive ist die Partei gescheitert, da helfen auch ein paar Prozent mehr Wählerstimmen nicht.

Im Wahlkampf geht es um die Ablösung der Regierung durch die Opposition. In diesem zentralen Punkt war die SPD nie glaubwürdig. Denn von Beginn an kam für sie als Partner nur die Grünen in Frage. Eine realistische Machtoption war das nie. Das war ein schwerer Fehler. Denn das Wahlergebnis zeigt: Eine linke Bundesregierung wäre durchaus im Bereich des möglichen gewesen. Die politischen Lager sind – übrigens genau wie 2009 – fast gleichstark. Bürgerliche und Linke trennen nur wenige Prozentpunkte. Aber der SPD hat der Mut gefehlt, daraus eine ernstzunehmende Machtperspektive zu entwickeln. Die Sozialdemokraten haben sich selbst eingeschlossen in das Gefängnis der Opposition. Nur eine einzige Politikerin kann sie derzeit daraus befreien: Angela Merkel, die alte und neue Kanzlerin.

Die schwarze Witwe

Sie ist die schwarze Witwe der Politik: Wenn das Bündnis besiegelt ist, macht sie sich daran, ihren Partner zu verspeisen. Die SPD entkam mit knapper Not, die FDP hat es nun erwischt. Nun wird der SPD voraussichtlich nichts anderes übrig bleiben, als erneut in eine große Koalition einzutreten. Die Partei wird murren, sich aber am Ende fügen. Ob das Bündnis dann wirklich vier Jahre hält, ist allerdings eine andere Frage.

Steinbrück hat seine Schuldigkeit getan, Steinbrück kann nun gehen. Mit der Zukunft der SPD hat er nichts mehr zu tun. Die machen nun Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier unter sich aus.

Ob die Sozialdemokraten aus diesem Wahltag und mehr noch: aus diesem Wahlkampf, die richtigen Schlüsse ziehen, ist offen. Eigentlich müsste allen klar sein: Von Montag an muss die SPD damit anfangen, eine rot-rot-grüne Koalition vorzubereiten. Das wird nicht einfach werden. Denn der Weg zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung führt über die westdeutschen Länder. Wenn so ein Bündnis dort den Praxistest besteht, ist nichts mehr ausgeschlossen. Denn richtig ist ja auch: In großen Teilen der (westdeutschen) Gesellschaft gibt es nach wie vor große Vorbehalte gegen so eine Koalition. Übrigens auch in der SPD. Es wird Gabriels Aufgabe sein, die Partei von dieser Option zu überzeugen. Sollte sich dagegen Steinmeier durchsetzen, droht der SPD eine Zukunft als Funktionspartei. Es wäre wohl der Anfang vom Ende dieser bedrohten Volkspartei.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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