An diesen Wahlabend wird man noch lange zurückdenken. Nicht nur, weil die FDP mit 8,3 Prozent der Wählerstimmen (ARD-Hochrechnung) ihre Wiederauferstehung vom Umfrage-Tod feiern kann. Oder weil sich die Piraten (7,7 Prozent, ARD) endgültig als eine politische Kraft etabliert haben. Oder weil die Linke (2,8 Prozent, ARD) ihre Quittung dafür bekam, dass sie sich schon viel zu lange mit sich selbst beschäftigt. Nein, dieser Abend wird vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben, weil er die Geburt einer neuen Kanzlerkandidatin für die SPD markiert.
Aus dem Männertrio Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück ist nach diesem SPD-Wahlerfolg (38,8 Prozent, ARD) in Nordrhein-Westfalen ein Quartett geworden. Denn Hannelore Kraft hat bei dieser "kleinen Bundestagwahl" nicht nur den Beweis erbracht, dass Rot-Grün (immer noch) eine realistische Machtoption ist – trotz aller Konkurrenz der Piraten und der Auflösung der klassischen Wählermilieus. Sie hat erneut gezeigt, dass die SPD verlorene Wähler zurückgewinnen und kräftig zulegen kann. In NRW ist das seit der Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler noch keinem Sozialdemokraten gelungen.
Kraft gegen Merkel?
Krafts Erfolgsrezept in diesem Wahlkampf bestand dabei weniger aus einem überzeugenden Politikangebot als vielmehr daraus, dass sie es verstand, dem Wähler den Eindruck zu vermitteln: "Die weiß, was sie tut." Damit unterscheidet sie sich wohltuend von Gabriel (tut alles, was er weiß), Steinmeier (weiß alles, was Merkel will und tut es) sowie Steinbrück (weiß alles besser). Gegen Hannelore Kraft wird in den kommenden Monaten in der SPD nicht viel zu bewegen sein. Wenn sie ihre neue Macht klug einsetzt, wird ihr Ende des Jahres die Kanzlerkandidatur der SPD nur schwer zu nehmen sein. Ein Duell Angela Merkel vs. Hannelore Kraft bei der Bundestagswahl – das wäre ein Wahlkampf, der das Land elektrisieren könnte.
Auch der CDU wird dieser Wahlsonntag noch lange nachhängen. Nicht nur, weil sie mit 26,1 Prozent der Wählerstimmen ein dermaßen katastrophales Ergebnis eingefahren hat, dass der Spitzenkandidat Norbert Röttgen noch vor der ersten Hochrechnung seinen Rücktritt erklärte und die CDU erneut um ein Nachwuchstalent ärmer ist. Sondern auch, weil sich die Konservativen in dem größten Bundesland innerhalb von nur zwei Wahlen nahezu halbiert haben. 2010 verloren sie zehn Prozent der Wählerstimmen, jetzt lagen die Verluste erneut in dieser Größenordnung. Das kann nicht nur an der Paddeligkeit des Kandidaten Röttgen gelegen haben, der sich zum Wahlkampfauftakt nicht für NRW entscheiden mochte und im Wahlkampf kaum einen Fehler ausließ. Da ist etwas ins Rutschen gekommen. Möglicherweise trifft die CDU die Auflösung der klassischen Milieus härter als ihre Konkurrentin SPD.
Nicht dafür, nicht dagegen
Die Linkspartei schließlich steht nach diesem Wahldesaster nun tatsächlich am Abgrund. Aus ihrer bundesweiten Verankerung zog sie einst ihre Glaubwürdigkeit als politische Alternative. Die ist nun schwer erschüttert. Die Linke war eine Partei, mit der die Konkurrenz zwar nicht rechnen mochte, es gleichwohl aber musste. Das ist nun vorbei, im Westen ist sie nur noch in Hessen und Niedersachen in Parlamenten von Flächenländern vertreten. Die Partei ist auf dem besten Wege, sich zu einer ostdeutschen Klientelpartei zurückzuentwickeln. Chancen für die Linke gab es genug, die meisten wurden verschenkt, zuletzt in NRW. Denn statt – wie beispielsweise einst in Sachsen-Anhalt – eine Minderheitsregierung verlässlich zu tolerieren, gab es im Düsseldorfer Landtag immer wieder wechselnde Mehrheiten. Nicht wirklich dafür, aber auch nicht wirklich dagegen: So aber macht man sich überflüssig.
Die Grünen können nach diesem Wahltag wieder etwas entspannter in die Zukunft blicken. Denn zum einen ist es ihnen gelungen, trotz des erneuten Erfolges der Piraten ihre Stimmanteile (12,1 Prozent, ARD:Hochrechnung) sogar leicht auszubauen. Ob Rot-Grün auch ein erfolgversprechendes Projekt für die Bundestagswahl 2013 sein kann, wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Es wird dabei auf vieles ankommen. Vor allem aber auf eines: Dass sich die beiden Parteien für Kandidaten entscheiden, die diese Option am glaubwürdigsten vertreten können. Die Wähler in NRW haben der SPD an diesem Sonntag dazu einen deutlichen Hinweis gegeben.
Kommentare 32
Eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl.
Dieser Unart vieler Journalisten, alles und jeden hoch bzw. runter zu schreiben, hätte das heutige Ergebnis der FDP, über der noch vor kurzem das medial-journalistische Totenglöckchen geläutet wurde, eigentlich einen Denkzettel verpassen müssen, aber Unkraut vergeht ja leider nicht so leicht.
Ich z.B. habe heute gewählt und ich werde sehr wahrscheinlich bei der nächsten Bundestagswahl anders wählen, denn: Eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl und eben keine Bundestagswahl - so viel Differenzierungsvermögen muss schon sein.
Die Medien machen mit deren Prognosen schon selber Politik?
jetzt hat Kraft eine Wahl gewonnen bei schlechtem CDU Wahlkampf und alles kann nur schreiben ich erkenne die nächste SPD Kanzlerin?! Hallo..
Herr Grassmann,
ich erwarte von Ihnen als Chefredakteur des Freitag, dass Sie in Ihrer Wahlanalyse nicht nur über den Erfolg/Misserfolg von Wahlstrategien und Machtspielen plaudern und hierbei Ihre persönliche Vorliebe für eine rot-grüne Regierung mit Frau Kraft an der Spitze völlig unbegründet mit dem Text verweben.
Ich erwarte im Gegenteil, dass Sie Stellung beziehen zu den konkreten Auswirkungen des Wahlergebnisses auf die allseits bekannten und doch wirklich drängenden politischen Fragen.
Viele Grüße
Thomas Schuler
Frau Kraft und Frau Löhrmann machen erstmal einen integeren Eindruck. Schaun wir mal, was sie bringen werden. Sympathisch aus demokratischer Sicht, dass sie mit den anderen Abgeordneten zusammenarbeiten wollen.
Und sollten die Abgeordneten der Bundes-SPD dem ESM und Fiskalpakt gegen ein paar erfüllte populistische Forderungen zustimmen wollen, so würde ich Frau Kraft bitten sich da vehement gegen zu positionieren – erst dann wäre sie für mich eine glaubwürdige soziale Demokratin.
Hier gut aufbereitete Informationen zum ESM und Fiskalpakt. Am 25.Mai soll abgestimmt werden.
Eine Kanzlerkandidatur HKs wird der Seeheimer Kreis ganz bestimmt zu verhindern wissen. Gabriel erinnerte im Wahlinterview dann auch gleich daran, dass HK ihre Aufgaben in NRW zu erledigen gedenkt und dass HK ihre Versprechen hält. Die machtbessene Männerriege innerhlab der SPD ist an einer Kanzlerkandidatin also gewiss nicht interessiert.
Nein, die Chancen von RotGrün für 2013 haben sich nicht verbessert, denn in einem Bundestag mit sechs Parteien ist eine rotgrüne Mehrheit nicht möglich. Die Große Koalition wird wahrscheinlicher (bestenfalls noch Ampel ), und deren Kanzler/in wird weder Kraft noch Gabriel noch Steinbrück noch Steinmeier heißen. Und Angie hat einen weiteren innerparteilichen Konkurrenten vom Hals.
Die neue Kraft, weil sie Kraft heißt und nicht Schlappe?
Es geht also alles weiter wie bisher und wenn wir eine Änderung wollen dann sollten wir gleich ein DAX Unternehmen wählen?
Schauen wir derweil auf die Zustände in Griechenland, sie werden auch zu uns kommen, weil die Politik das Geldsystem nicht ändern kann!
Die tolle Sparpolitik hieß früher brüningsche Sparpolitik!
"Das ist nun vorbei, im Westen ist sie nur noch in Hessen und Niedersachen in Parlamenten von Flächenländern vertreten."
Ich glaube, das Saarland gehört ebenfalls zu den Flächenländern, kann mich aber auch täuschen ;)
Ich habe dem Artikel mal 5 Sternchen gegeben. Einfach so.
Frau Kraft hat in ihrem ganzen Auftreten gezeigt, dass sie glaubwürdig und wahrhaftig ist. Ich würde in Frau Kraft durchaus die neue Bundeskanzlerin von Deutschland sehen.
Merkel ist gegenüber Frau Kraft heuchlerisch und unglaubwürdig.
Ich bin auch der Meinung, dass Merkel Frau Kraft nicht das Wasser reichen kann.
Ich würde mich freuen, wenn nächstes Jahr die SPD Charakter zeigt und eine große Koalition ablehnt. Somit ist dann die verheerende und nicht mehr zu ertragende Zeit von Merkel zu Ende. Merkel bedeutet für Deutschland nur den Untergang.
N. Röttgen, der alle paar Tage, die Brille wechselt hat ein Problem mit seiner Selbstwahrnehmung. Bilder sind machtvoller, als es den Anschein hat. Das verunsichert unbewusst und signalisiert zugleich, wer ständig seine Brille wechselt; wechselt ebenso schnell seine Meinung, weil er keinen eigenen Standpunkt vertritt.
SPD und Grüne reimen sich zusammen, wie Illusionskünstlerinnen; Hunderte von Spiegeln; Täuschung perfekt inszeniert. Die Zukunft der Kinder in den Händen des Müttergenesungswerkes; Bildung für die unteren durch Nachhilfeunterricht, also nicht mehr von unten nach oben, sondern von oben werden Geschenke nach unten durchgereicht - und bitte - danke sagen.
Die Linken verschwinden: noch vor der nächsten Mondfinsternis verdunkelt sich das tiefrote Gesicht. Die Zeiten ändern sich und die Linke mag zwar intelligente Einzelerscheinungen hervorbringen und genau das ist sogleich auch der wunde Punkt an dem die Identifikation scheitert. Solidarität nur im Kopf vergisst schnell den Leib auf dem er sitzt und der Leib aber ist das geknechtete untere Drittel der Bevölkerung und sie wollen Leiblichkeit und Berührungen und genau das ist es, was die Piraten aussenden; Völligkeit keine mageren Butterbrote mehr an denen viele der Ostlinken noch immer Knappern, als seien sie immer noch nicht angekommen, in der Vielfältigkeit des Konsums, dessen der Arme sich ersehnt, nicht nur die Krümel von der Tischdecke, sondern zumindest in der Phantasie vor gedecktem Tisch zu sitzen und die Sau rauslassen.
Nach dem Motto - jetzt erst recht - feiert sich die FDP einmal noch kräftig über der Heimwerkerlizenz zu stehen, um die Fachliche Inkompetenz zu verschleiern; der Elite wegen und deren Kindern die berührungslos ihr Herz dem Recht des vererbten Besitzes und deren Verwendung als Liebesersatz in Saldomacho Spielchen, in eigenen Kreisen auf immer gleichen Bahnen, der Langeweile zu frönen. Langeweile ist mittlerweile eine Berufsbezeichnung: denn auch ohne Doktortitel kann man Doktor spielen.
Lieber ed2murrow,
das Saarland ist zwar klein, aber mir ging es vor allem um die Frage, wo die Linkspartei außerhalb von urbanen Milieus noch verankert ist. Da gehört das Saarland selbstverständlich dazu, hab es nur in der Eile übersehen. Danke für den Hinweis.
Viele Grüße, Philip Grassmann
Verständlich!
Kann schon mal passieren in der Eile so eine Anal..yse, wenn man gerade sich durch die Leitmedien gezappt hat bei den Kommentaren der Politik-, Partei- und UnternehmensberaterInnen.
Wird schon wieder besser werden
m.b.W.
Hajue
"Da ist etwas ins Rutschen gekommen. Möglicherweise trifft die CDU die Auflösung der klassischen Milieus härter als ihre Konkurrentin SPD." - Ich denke, es hat viele Gruende, warum die CDU gestern in NRW so schlecht abgeschnitten hat. Die Aufloesung klassischer Waehlermilieus ist sicher einer der Gruende. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass die Aufloesung klassischer Waehlermilieus die CDU haerter als die SPD trifft. Es ist nur einfach so, dass die SPD das schon hinter sich hat. Nicht umsonst pendelt die SPD bei Umfragen zu Wahlen im Bund irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent. Und die jetzt um die 50/60 sind, sind eine andere Generation der Alten als zu Adenauers oder Kohls Zeiten. Es sind die, die die Gruendung der Gruenen miterlebt haben. Die Alten heute sind anders sozialisiert als die 'klassische' Generation der Alten. Das ist aber etwas, was auch die Gruenen betrifft. Hier muessen die Gruenen aufpassen. Die Gruenen sind alt geworden. Was machen Sie, wenn ihnen ihre 'klassische' Waehlerklientel abhanden kommt?
Die FDP ist v.a. medial hochgeschrieben und hochgesendet worden. In den letzten Wochen und Monaten gab es keine politische Talkshow im TV, in der nicht irgendwer aus der FDP - z.T. als einziger (!) Vertreter aus der Politik - eingeladen war. Es verging auch kein Tag, in dem nicht irgendeine große Schlagzeile über die FDP in den Tages- und Wochenzeitungen zu finden war.
Lindner hat letztendlich in einem erheblichen Maße zum einen von der "klaren Kante" gegenüber den Schlecker-Frauen profitiert, zum anderen von der nicht zu übersehenden Unlust des CDU-Kandidaten, in NRW Ministerpräsident zu werden. Röttgens Verhöhnung der Wähler, die aus seiner Sicht "bedauerlicher Weise" wählen und somit bei der Regierungsbildung mitentscheiden, dürfte sehr viele CDU-Wähler zur FDP getrieben oder sie in der Entscheidung bestärkt haben, gleich ganz zu Hause zu bleiben.
Die FDP ist v.a. medial hochgeschrieben und hochgesendet worden. In den letzten Wochen und Monaten gab es keine politische Talkshow im TV, in der nicht irgendwer aus der FDP - z.T. als einziger (!) Vertreter aus der Politik - eingeladen war. Es verging auch kein Tag, in dem nicht irgendeine große Schlagzeile über die FDP in den Tages- und Wochenzeitungen zu finden war.
Lindner hat letztendlich in einem erheblichen Maße zum einen von der "klaren Kante" gegenüber den Schlecker-Frauen profitiert, zum anderen von der nicht zu übersehenden Unlust des CDU-Kandidaten, in NRW Ministerpräsident zu werden. Röttgens Verhöhnung der Wähler, die aus seiner Sicht "bedauerlicher Weise" wählen und somit bei der Regierungsbildung mitentscheiden, dürfte sehr viele CDU-Wähler zur FDP getrieben oder sie in der Entscheidung bestärkt haben, gleich ganz zu Hause zu bleiben.
Für die Seeheimer und die von ihnen kontrollierte SPD-Bundesspitze ist der Wahlsieg Krafts alles andere, als eine Freude - im Gegenteil: es ist eine Niederlage. Entsprechend schmallippig war auch die Reaktion Gabriels.
Die SPD-Troika hat sich ja de facto schon auf eine Große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl festgelegt. Man hat auch keine andere Wahl, denn zwei der drei hatten schon einmal höchste Staatsämter in Niedersachsen inne. Und mit den höchsten Staatsämtern in Niedersachsen waren und sind einunddieselben "ehrenwerten" Herren befreundet, die Christian Wulff das Amt des Bundespräsidenten kosteten. Der hatte seine Freunde von Schröder, Gabriel kritiklos "geerbt".
Die NRW-Wahl gestern zeichnete sich vor allem durch die völlig unbefriedigende Auswahlmöglichkeit ab, wen man eigentlich hätte wählen können.
Eine Frau Kraft, die, ohne dass ich ihr jetzt zu nahe trete, sich sicherlich nicht durch besondere Nähe zur Sachpolitik auszeichnet (dafür "nimmt sie die Menschen mit", wie schön, allerdings sind 39% der Wahlberechtigten zu Hause geblieben).
Eine Frau Löhrmann, von der man gar nicht weiß, wofür sie steht, außer für Frau Kraft.
Ein Röttgen, der sogar bei seiner Amtsniederlegung unsympathisch wirkt und dem aufgeweckte Zeitgenossen nicht ein einziges Wort glauben.
Die Linke, die endlich dort landet wo sie hingehört - unterfünf Prozent ..
Wer sich aufraffen konnte, musste zwangsläufig Lindner oder die Piraten wählen. Die haben zusammen auch mehr als die Grünen und zwei Drittel der Stimmen der Union ..
Wer Frau Kraft jetzt sogar zur Kanzlerkandidatin hochjazzt, hat wesentliches nicht verstanden. Selbst in Zeiten der Esperantodemokratie braucht man dafür (i) Sachverstand, (ii) Positionen, (iii) eine politische Vita, also einen "track-record", und (iv) Rückhalt auch in der Wirtschaft. Frau Kraft hat nichts davon
@davidjordan
Es gibt einen ganz klaren Grund, davidjordan. Unionswähler wollen - nachvollziehbarer Weise - nicht zu den Verlierern gehören. Wenn sich ein Spitzenkandidat aber so positioniert wie Röttgen, ist es offensichtlich, dass er auch selbst nicht an den Sieg glaubt. Da bleibt man dann zu Hause.
Übrigens, auch nach monatelangem Nachdenken fällt mir kein einziger Grund ein, warum man Röttgen wählen sollte. Der Mann ist nur und ausschließlich Karrierist.
Der gemeine FDP-Wähler weiss eigentlich, was er wählt. Die Freiheit. Tun und lassen, was man will.
Deshalb sind wir ja jetzt in dem Zustand, wo man gar keine Wahl mehr hat.
Leider hat Herr Lindner Fleisch aus einem Körper geschnitten, den er eigentlich bräuchte.
Von mir aus soll er weiterhumpeln.
Von den beiden Hanni´s erwarte ich eine Marke zu setzen bei der Schulpolitik. Einen Beginn des Nachdenkens über unser Bildungssystem. Nicht mehr, und nicht weniger.
Wer in diesen Zeiten mehr erwartet, sollte vielleicht nicht soviel Zeitung lesen, da steht nämlich immer drin, wer was wieder gemacht hat, und nicht nur gesagt.
Was den medialen Einfluss angeht, stimmt das in meiner Beobachtung sehr wohl, ich bin allerdings eher Leser als TV-Konsument: Man sollte nicht vergessen, in wessen besitzender Hand auch die seriöseren Medien sich befinden; formal unabhängig, schlägt nicht nur in den sowieso offen konservativen Blättern, sondern gerade in der sich nicht so profiliert gebenden Presse das besitzbürgerliche Profil mit seinen Welt-Anschauungen durch.
Genauso markant mit dem Wegschauen sprich Ignoranz gegenüber allem, was da nicht so passt. Ich bin nun kein Freund der Piraten (die müssten für mich erst noch den Beweis antreten, dass es keine neo-bürgerliche Mogelpackung zugunsten von AMerkel ist ...), aber die Berichterstattung über diese Partei war ganz überwiegend gekennzeichnet vom Nachkauen einmal rund gereichter Schlagworte. Und hier trifft es sich mit dem Einfluss auf das FDP-Ergebnis: Lindner als "Kronprinz" war der gängige Eindruck, der einfach durch seine schnittig-schneidige Eloquenz zum Inhalt und Grund einer Wahlentscheidung werden sollte. Hat ja nun geklappt, auch wenn wohl neben den üblichen neoliberalen Opportunisten eine Menge frustrierte CDUWähler dabei waren.
Es fällt in der Tat auf, dass die Verhältnisse in NRW und im Bund spiegelverkehrt sind. NRW: Eine SPD-Kandidatin mit dem Image einer Landesmutter und ein CDU-Bewerber, mit dem sich die Wähler nicht identifizieren konnten/wollten. Ergebnis: SPD bei 39 Prozent, CDU 26 Prozent. Bund: Eine Kanzlerin als Landesmutter und eine SPD-Troika, die sich naturgemäß einer Personalisierung/Identifizierung entzieht. Ergebnis: CDU 36 Prozent, SPD 26 Prozent. Da drängt sich die Frage auf: Ist Personalisierung alles, sind Inhalte (fast) nichts?
Kraft hatte in NRW vielleicht so einen Erfolg, weil sie eben nicht "die neue Kraft" sondern die alte Kraft zu erneuern vermochte.
Daher wäre sie, übrigens wie die SPD, äußerst schlecht beraten, sich zum Mitglied irgendeiner Quadriga ernennen zu lassen, deren Troika noch damit beschäftigt wirkt, die Trümmer der letzten SPD-Regierungsperiode auszukehren.
Das Ruhrgebiet ist einfach, gottseidank.
Wenn das Mädel Unsinn fabriziert, mal so daherfabulieret, wirds schliucht weg vom Fenster sein: Die lebenserhaltende Injektion die Frau Kraft der SPD in NRW geschenkt hatte, sollte jedenfalls nicht leichtfertig verspielt werden - so sehr sich der Seeheimer Kreis vielleicht auch wünschen mag.
Ich fürchte, es ist ein Trugschluß zu glauben, in erster Linie würden Parteiprogramme und nicht die Personen gewählt.
Zum einen liest der Durchschnittswähler diese Programme eher selten und verläßt sich mehr auf die Person, die es ihm versucht zu verklickern.
Zum anderen ist beim Bürger besonders in Bezug auf SPD und CDU längst der Eindruck entstanden, dass zwischen beiden Parteien kaum mehr Unterschiede bestehen. Ein Grund mehr, die Personen zu wählen, die einem glaubwürdiger und durchsetzungsfähiger erscheinen, egal von welcher Partei. Kubicki und Lindner haben das zum Beispiel eindeutig bewiesen. Mit Rösler wäre die FDP in keinem Landtag mehr.
Den beiden sogenannten "Volksparteien" ist längst das eindeutige Profil abhanden gekommen. Der SPD seit Schröder sogar stärker als der CDU.
Merkels Umfragewerte sind schon fast fest einbetoniert, egal was sie anstellt. Um das zu knacken müsste die SPD sich wieder neu erfinden.
Beim Titel dachte ich, das wird n richtiger seriöser Physikartikel.
Was dieses Wahlergebnis gezeigt hat ist, dass knapp 40% der NRW Bevölkerung es nicht für nötig befunden hat überhaupt wählen zu gehen... über die Ursachen lässt sich sicherlich streiten, aber wenn man denn zurückschaut wird man sehen, dass seit 1966 (wenn ich mich nicht irre) ALLE Landesregierungen - außer Rüttgers - von "rot", und später "rot/grün" gestellt wurden, die - leider - den Strukturwandel in NRW komplett verschlafen haben... was die Politikverdrossenheit der 40% Nicht-Wähler erklären könnte.
Und wenn man es denn ganz genau nimmt, hat Frau Kraft, bzw. "rot/grün" von nur 25% der NRW Bevölkerung einen "Regierungsauftrag" erhalten. Ich sehe dieses keinesfalls als einen deutlichen Hinweis... im Gegenteil!
Frau Kraft hat aber sicherlich - genau wie damals Johannes Rau - von dem "nah bei den Menschen-Konzept" profitiert. Da ist dann vor lauter Emotionen und Mitgefühl für sachliche Politik einfach kein Platz mehr.
Wenn man nämlich ganz sachlich die jahrzehntelange "rot-rot/grüne" Politik in NRW analysiert, wäre es wirklich Zeit für einen Wechsel im NRW Landtag... nun ja...
Ich kann nur hoffen, dass bei der nächsten Bundestagswahl mehr Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und sich nicht von diesem "Nah-bei-dem-Menschen-Konzept" verschaukeln lassen, dieses Land braucht keine zweite Mutti, auch keinen Kandidaten, der seine Position am glaubwürdigsten vertritt.
Ich hätte gerne einen Kandidaten, der glaubwürdig IST, der wird bedauerlicherweise aber wohl nicht in den nächsten Monaten zu finden sein.
Hannelore Kraft als Kanzlerinnenkandidatin der SPD? Eine gesteigerte und wahrnehmbare Aktivität in puncto Bundesratsinitiativen wäre bereits ausreichend, aber auch notwendig, um juristisch und politisch zu gestalten. Dies sollte übrigens für alle Bundesländer gelten, wenn sie nicht nur Treuhänder von Bundesvermögen sein wollen.
Da haben Sie recht, Herr Grassmann.
Dabei wäre es so einfach, beide "Mütter" ("Mutti", hihi) zu desavouiren.
- Was hat Frau Kraft inhaltlich erreicht in den letzten zwei Jahren? Abschaffung der Studiengebühren und ein Schulkompromiss mit Rötten, das ist nicht "abendfüllend". Leider wird das in kaum einer Zeitung angesprochen. Statt dessen Fotos, wo die Wahlsiegerin Frau Löhrmann umarmt. Erstaunlich, dass da nur 39% der Wähler zu Hause geblieben sind.
- Was hat Frau Merkel eigentlich INNENPOLITISCH bewirkt, seit sie Kanzlerin ist? Eine populistische Atomwende, an Rest-Europa vorbei (gerade an Frankreich, mit denen man ansonsten den Schulterschluss übt). Auch diesen Gedanken find ich in kaum einer Zeitung tiefer erläutert. Und was ist das für eine Kanzlerin, die Köhler nicht leiden konnte, uns einen Wulff vorsetzte und von der FDP zu Gauck gezwungen werden musste?
Ich halte Frau Merkel zu gute, dass sie ihren nächsten Wahlkampf weder mit "Currywurst" noch mit "Königsberger Klopsen" führen wird. Viel mehr Inhalte sehe ich bei ihr allerdings nicht. Und bei Frau Kraft sehe ich in der Tat nur die Currywurst.
Inhalte sind nichts. Schade, dass Sie recht haben.
Lieber Herr Grassmann,
Sie schreiben: >Da drängt sich die Frage auf: Ist Personalisierung alles, sind Inhalte (fast) nichts?
Ich habe bereits weiter oben Ihre Wahlanalyse kritisiert, weil Sie nicht >Stellung beziehen zu den konkreten Auswirkungen des Wahlergebnisses auf die ... drängenden politischen Fragen.
Ich empfände es als tragisch, hier keinen Zusammenhang zu sehen: Die Inhalte bleiben im Hintergrund, wenn sie - wie in Ihrer Wahlanalyse - von den Medien überhaupt nicht angeboten werden.
MfG Thomas
"Denn statt – wie beispielsweise einst in Sachsen-Anhalt – eine Minderheitsregierung verlässlich zu tolerieren, gab es im Düsseldorfer Landtag immer wieder wechselnde Mehrheiten. Nicht wirklich dafür, aber auch nicht wirklich dagegen: So aber macht man sich überflüssig."
Diese Einschätzung/Meinung verfehlt die tatsächlich gewesene Situation: zu einer verlässlichen Tolerierung gehört auch eine (Minderheits-)Koalition, die verlässlich zu Verhandlungen und Gesprächen bereit ist. Die SPD hat, nachdem sie anfangs gezögert hat überhaupt eine Regierung zu bilden, sich gegen eine feste Zusammenarbeit mit der LINKEN entschieden. Es war in den Worten der SPD eine "Koalition der Einladung" ausdrücklich an alle Fraktionen. In einer solchen Situation alle rot-grünen Vorlagen abzunicken hätte die LINKE tatsächlich überflüssig gemacht. Es war stattdessen ein Erfolg für die Demokratie, das im Parlament über Themen gestritten und verhandelt werden musste - und oft genug hat die LINKE im Interesse - so ihr eigener Anspruch - der "Mehrheit der Menschen" Gesetzesentwürfen zugestimmt oder sogar eigene Initiativen durchgesetzt (u.a. zusätzliche Mittel für die U3-Betreuung). In den letzlich entscheidenden Haushaltsberatungen haben sowohl SPD als auch Grüne jegliche Verhandlungsbereitschaft vermissen lassen, so dass die Opposition vor den Optionen stand, ein Wackeldackel zu werden (Ausspruch eines FDPlers in einem anderen Zusammenhang auf die LINKE gemünzt) oder tatsächlich Opposition gegen eine Regierung zu sein. Schließlich ist es Aufgabe der Regierung einen Haushalt durchzubringen. Somit haben SPD und Grüne gepokert und...gewonnen.
Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, ob die SPD bei ihren zögerlichen Versuchen in Richtung einer sozialen und demokratischen Politik bleibt oder ob nicht - wie ich eher erwarte - aufgrund des fehlenden Drucks durch die USPD namens LINKE der Kurs wieder gen Mitte und neoliberal eingefärbter Politik geht.
Spannend wird auch, welche politische Richtung die Piraten einschlagen - nun sind sie in vier Landesparlamenten vertreten (Berlin, SH, SL und NRW) ohne das bislang richtig ersichtlich wird, wohin die Reise gehen soll - quasi ein orangenes Ü-Ei. Wirklich unbequem werden sie rot-grün aber wohl nicht werden.
Ja, ich vermute auch, dass die FDP von ihrem medialen Untergangsszenario profitiert hat. Kraft dagegen könnte medial verheizt werden, obwohl sie doch konsequent und kategorisch ihre Kanzlerkandidatur ausgeschlossen hat. Aber ob bei "Was nun, ...?" oder "Unter den Linden" oder hier Journalisten hacken unbeirrt auf der K-Frage herum.
Das nervt!
Ich denke auch, dass der linke Druck uns noch fehlen wird.
Die Linke hat im Landtag sich sehr kooperativ verhalten, das
Sozialticket aber wollte sie nicht aufgeben, das denen ein wenig Bewegungsfreiraum schafft (Artikel 2 des Grundgesetzes), die ihn am nötigsten brauchen.
Die SPD hat sich nicht verändert, sie hätte ja mit der Linken zusammen regieren können in NRW 2010. Sie hätte mit der linken Bundestagsfraktion gegen den Regelsatz ein Normenkontrollverfahren einleiten können. Die Bundestagsfraktion der SPD hat geschlossen für die Aufrechterhaltung der Hartz4Sanktionen gestimmt. Steinbrück hält immer noch die Agenda 2010 für gelungen. Die SPD hat kein Konzept für soziale Menschenrechte und für die Frage, in welchen Strukturen die Menschen handeln, wie diese Strukturen demokratiefest zu machen sind. Sie hat keine Gesellschaftstheorie, verhedderst sich im EtabliertenDiskurs. Ich kann an der SPD nichts finden.
Wenn ich mir allerdings ansehe, wie Lafontaine, dessen Verdienste unbestritten sind, jetzt mit seiner Eitelkeit die Partei lähmt, dann habe ich auch keine Lust mehr, die Linke zu wählen.