Es gibt in der Hauptstadt kaum einen anderen Platz mit einem größeren Symbolcharakter als den Breitscheidplatz. Er ist das Herz des alten West-Berlins, dort steht mit der Gedächtniskirche ein Wahrzeichen der Stadt, es ist ein Ort an dem sich das ganze Jahr Menschen zu tausenden versammeln. Insofern zielte dieser Anschlag mit dem LKW nicht nur darauf, Terror und Angst zu verbreiten. Er zielte auch darauf, eine der konstitutionellen Elemente einer freien Gesellschaft zu zerstören: Die Möglichkeit, sich jederzeit öffentlich zu versammeln. Und sei es, um auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein zu trinken.
Es kommt einem der schreckliche Terroranschlag von Nizza in den Sinn, bei dem 84 Menschen ermordet und hunderte verletzt wurden. Und der Anschlag auf das New Yorker World Trade Centre. Beides waren ebenfalls extrem symbolträchtige Taten. Die Terroristen hatten ein Verkehrmittel gekapert und zu einer tödlichen Waffe umfunktioniert. Genauso wie jetzt in Berlin, wo ein 40 Tonner dazu eingesetzt wurde, möglichst viele Menschen zu töten. Denn nach allem, was man bisher weiß, ist der Lkw auf ganz normalem Wege und ohne Zwischenfälle von Italien nach Berlin gefahren. Er hatte Stahlrohre geladen. Er wurde erst in der Hauptstadt gekapert und zu einer fürchterlichen Waffe umfunktioniert. Das zeigt vor allem eines: Es handelt sich hier nicht um die Tat eines Gelegenheitstäters. Alles spricht dafür, dass dieser Anschlag von langer Hand vorbereitet gewesen ist. Und das wiederum wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Denn eine Sicherheitswarnung im Vorfeld des Anschlags gab es nicht, ganz offenkundig tappten die Experten ahnungslos im Dunkeln. Es ist diese Unberechenbarkeit von Zeit und Ort, die einem Angst macht. Und es wird auch nicht besser dadurch, dass man weiß: Genau das ist die Absicht der Terroristen.
Es besteht kein Zweifel – dieser Anschlag wird die Republik bis in ihre Grundfesten erschüttern. Die Polizei, die Rettungskräfte und die großen Medien haben sich sehr zurückgehalten und wirklich nur die Nachrichten veröffentlicht, die auch gesichert waren. Spekulationen, Irrtümer und hektische Betriebssamkeit wie bei dem Amoklauf im Sommer in München hat es in der Hauptstadt nicht gegeben. Aufgeregtheiten, gar Panik wurde so vermieden. Aber im politischen Bereich sieht die Sache schon einen Tag nach der Tat ganz anders aus. Welcher Stil der politischen Debatte uns da möglicherweise in den nächsten Tagen ins Haus steht, haben nicht nur AfD-Politiker gezeigt. Sie nannten die Opfer am Breitscheidplatz „Merkels Tote“ und zeigten damit sicher nicht zum letzten Mal, dass ihre politische Skrupellosigkeit keine Grenzen kennt. Fast ebenso verstörend sind die Bemerkungen des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Klaus Boullion. Der schwadroniert davon, dass sich „Deutschland im Kriegszustand“ befände und kündigte an, dass die Polizei, wo es notwendig sei „Langwaffen, Kurzwaffen und Maschinenpistolen“ tragen werde.
Populismus und Martialismus: das ist eine brisante Mischung. Man kann sie nur entschärfen, wenn man ihr gelassen gegenübertritt. Für die einen geht es darum, politisch Punkte zu machen. Aber die eigentliche Herausforderung ist eine andere: Den liberalen Rechtsstaat, den diese Gesellschaft sich in mehr als 70 Jahren erkämpft hat, zu erhalten.
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