Eine Richtungsentscheidung

SPD Das Kalkül der Parteistrategen ist aufgegangen. Olaf Scholz könnte – trotz Widerständen – der nächste Kanzler werden
Merkel ist weg, aber wer führt die Regierungsgeschäfte so weiter, dass es keinen Bruch gibt? Die Antwort auf diese Frage lautete, je näher der Wahltag rückte, für immer mehr Menschen: Olaf Scholz
Merkel ist weg, aber wer führt die Regierungsgeschäfte so weiter, dass es keinen Bruch gibt? Die Antwort auf diese Frage lautete, je näher der Wahltag rückte, für immer mehr Menschen: Olaf Scholz

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Von einer Richtungsentscheidung war in diesem Wahlkampf oft die Rede und für die SPD ist es in der Tat eine geworden. Noch vor acht Wochen stand die Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz in Umfragen bei 15 Prozent und für die SPD gab es offenbar nur ein Richtung: nach unten in die politische Bedeutungslosigkeit. Doch jetzt ist alles anders. Alles zeigt nun in Richtung Kanzleramt. Die SPD hat nach den ersten Prognosen rund fünf Prozent Wählerstimmen zugelegt. Dem Mann, dem die Auferstehung der SPD gelungen ist, war das nicht unbedingt zuzutrauen. Olaf Scholz galt als solide, pragmatisch und ein bisschen dröge. Nicht unbedingt Qualitäten, die man mit einer politischen Aufholjagd in Verbindung bringen würde, die ihresgleichen sucht. Nun ist Scholz der Mann, der seiner Partei neues Leben eingehaucht hat.

Scholz’ Erfolg hat viele Väter und Mütter, aber an erster Stelle wäre da wohl die noch amtierende Kanzlerin Angela Merkel zu nennen. Die Wähler wollten ein bisschen Neuanfang, aber bitte auch Kontinuität. Merkel ist weg, aber wer führt die Regierungsgeschäfte so weiter, dass es keinen Bruch gibt? Die Antwort auf diese Frage lautete, je näher der Wahltag rückte, für immer mehr Menschen: Olaf Scholz. Das Kalkül der SPD-Strategen ist voll aufgegangen.

Doch wahr ist auch, dass es dazu einer Konkurrenz bedurfte, die diese politische Erzählung der SPD voll unterstützte: Die Grünen hatten eine Kandidatin, die das große Vertrauen in sie frühzeitig verspielte. Und die Union ging mit einem Bewerber in den Wahlkampf, der versprach, den Merkelismus bruchlos fortzuführen – allerdings ohne über die Kompetenz der Kanzlerin zu verfügen. So gar keine Veränderung nach 16 Jahren und angesichts der großen Herausforderungen, vor dem das Land steht – das war alles andere als attraktiv.

Der Zahltag wird kommen

Der SPD ist es allerdings auch gelungen, in diesem Wahlkampf mit einer unseligen Tradition zu brechen. Martin Schulz war vor vier Jahren der letzte, aber bei weitem nicht der einzige Kandidat, der nicht nur gegen die anderen Parteien kämpfen, sondern auch mit innerparteilichem Widerstand fertig werden musste. 2021 herrscht dagegen eine ungekannte innerparteiliche Stille. Scholz beherrschte unangefochten das Erscheinungsbild der SPD – und sonst niemand. Das ist insofern erstaunlich, als dass die Parteibasis viel linker ist als ihr Spitzenkandidat. Doch der Zahltag wird unweigerlich kommen – wenn es um die Inhalte und Posten einer möglichen SPD-geführten Regierung gehen wird.

Und schließlich sind da noch die Teflon-Qualitäten von Scholz. Ihm konnte weder etwas anhaben, dass er einer der Befürworter der Hartz IV-Reformen war und auch heute noch ist – für SPD-Kandidaten war das in der Vergangenheit immer ein Killer. Ob der Besuch der Staatsanwaltschaft in seinem Ministerium ihm Zusammenhang mit Geldwäsche-Ermittlungen oder die Cum-Ex-Affäre aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister oder der Wirecard-Skandal – alles perlte an ihm ab. Auch da kann sich Scholz bei der politischen Konkurrenz bedanken, der es nicht gelang, das zu thematisieren.

Eine Rolle bei dem Wahlergebnis hat sicher auch die Corona-Pandemie gespielt. Nicht der unmittelbare Umgang mit der Bekämpfung des Virus, aber die gesellschaftliche Stimmung, die dadurch entstanden ist. Denn diese Krise hat das Bewusstsein dafür gestärkt, dass es einer Gesellschaft nur gelingen kann, große Herausforderungen zu bestehen, wenn sie sich solidarisch zeigt. Und das ist nun mal eine Kompetenz, die der SPD zugeschrieben wird.

Ob es am Ende für Scholz reichen wird, der nächste Kanzler des Landes zu werden, wird sich nicht an diesem Wahlabend entscheiden. Langwierige Koalitionsverhandlungen stehen in den kommenden Wochen an. Aber die Grundlage dafür ist gelegt. Sollte es zu einer SPD-geführten Regierung kommen, wäre es – nach 16 Jahren konservativer Merkel-Politik – in der Tat eine Richtungsentscheidung.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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