Ende des faustischen Pakts

Flüchtlingspolitik Steht die nächste politische Kehrtwende Angela Merkels bevor? Sigmar Gabriel jedenfalls macht es der Kanzlerin leicht, sich alle Optionen offenzuhalten
Mit der Ruhe ist es vorbei: Sigmar Gabriel und Angela Merkel
Mit der Ruhe ist es vorbei: Sigmar Gabriel und Angela Merkel

Bild: Carsten Koall/Getty Images

So sieht es aus, wenn im CDU-Vorstand verlangt wird, dass die Partei aufhören soll, Merkels Flüchtlingspolitik zu kritisieren und alle „einfach mal die Klappe“ halten sollen. Der CSU-Minister Alexander Dobrindt äußerte: „Es reicht nicht mehr, nur ein freundliches Gesicht zu zeigen.“44 Bundestagsabgeordnete der Union veröffentlichen einen Brief, in dem von „Überforderung des Landes“ die Rede ist. Sachsen-Anhalts Innenminister rät der Kanzlerin, das Grundgesetz wieder strikter anzuwenden, es mit anderen Worten also nicht länger zu verletzen. Und Seehofer-Kronprinz Markus Söder verlangt, dass die Grenzen strenger kontrolliert werden müssen.

Politisch interessant ist dabei nicht die Frage, wie lange Angela Merkel sich unter diesen Umständen noch im Amt halten kann. Das weiß niemand und auch die anstehenden Landtagswahlen werden keine Entscheidung in dieser Sache bringen. Denn in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz ist die CDU in der Opposition. Entweder alles bleibt, wie es ist – oder die CDU übernimmt dort sogar die Regierung (was nach den jüngsten Umfragen gar nicht so unwahrscheinlich ist). Kanzlerdämmerung? Mitnichten.

Politisch relevant ist dagegen Merkels Autoritätsverlust. In der eigenen Partei. Und bei den Wählern. Du redest uns nicht in unsere Privatangelegenheiten rein, dafür reden wir dir nicht in das Regierungsgeschäft rein – dieser faustische Pakt der Gesellschaft mit Merkel hat ihre bisherige Kanzlerschaft geprägt. Merkel konnte sich von Thema zu Thema regieren, und die Deutschen, insbesondere die CDU-Bürger, konnten ihren Wohlstand und vor allem: ihre Ruhe genießen. Damit ist es nun vorbei.

Die Frage ist nun: Was folgt daraus? Merkel hat ihre Partei politisch in die Mitte gerückt. Aber hat sie die CDU auf Dauer verändert oder folgt nun der Ausschlag des Pendels in die entgegengesetze Richtung? Es wäre nicht die erste radikale Kehrtwende in ihrer Laufbahn: Sie hat sich von dem neoliberalen Politikansatz, der unter ihrer Führung 2003 von der CDU beschlossen wurden, schnell wieder verabschiedet. Und sie hat den Austieg aus dem Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe in kürzester Zeit vollzogen. Steht jetzt die nächste Kehrtwende bevor?

Die SPD jedenfalls macht es der Kanzlerin leicht, sich alle Optionen offenzuhalten. Sie hat in den vergangenen Wochen Positionen in der Asylpolitik geräumt und Verschärfungen zugestimmt, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Besonders beschämend ist dabei die Rolle, die der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spielt. Mal will er einige Länder finanziell mit der Kürzung von Entwicklungsgeldern erpressen, wenn sie nicht kooperativ genug bei der Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern sind. Mal schlägt er vor, dass verurteilte Asylbewerber ihre Strafe in ihren Heimatländern verbüßen sollen. Und dann setzt er sich dafür ein, Flüchtlingen den Wohnort vorzuschreiben. Mit einer aufgeklärten Flüchtlingspolitik hat das alles nichts zu tun. Dass Gabriel das alles ohne größeren Widerstand aus den eigenen Reihen fordern kann zeigt nur, dass es nach seiner desaströsen Wiederwahl als Parteichef auch einen faustischen Pakt in der SPD gibt: Wir haben dich schwer beschädigt, dafür darfst du nun sagen, was dir gerade in den Sinn kommt.

Es wird Zeit, dass auch dieser Pakt gekündigt wird.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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