„Ich bin mit Oldiebands über Land getingelt“

Interview Olli Dittrich wollte den Durchbruch als Musiker und fiel in eine tiefe Krise. Er wurde von tragikomischen Figuren wie „Dittsche“ gerettet
Ausgabe 51/2019

Er lehnt ganz entspannt an der Bar des Hamburger Abaton-Kinos: Olli Dittrich bestellt sich ein Mineralwasser und mischt sich unauffällig unter die Besucher. Das Kino kennt Dittrich schon seit sehr langer Zeit, es ist sein Lieblingskino. Früher war er regelmäßig da, inzwischen schafft er es nicht mehr ganz so oft.

der Freitag: Herr Dittrich, Sie kommen aus dem Schneideraum, wo Sie an „FRUST – das magazin“ arbeiten, einem neuen Zyklus Ihres Fernsehprogramms.

Olli Dittrich: Ich wollte schon länger wieder eine Parodie auf ein klassisches Reportage-Magazin machen. Als sich diese Idee dann immer mehr verdichtet hat, war klar, keine Hochglanz-Geschichten wie in Promimagazinen à la Exclusiv oder red! zu erzählen, sondern eher genau das Gegenteil.

Sie meinen, Geschichten von verkrachten Existenzen?

Ja, eher das Boulevard der Enttäuschten, deshalb ist der Titel FRUST – das magazin auch so treffend. Investigativ, seriös, eben Öffentlich-Rechtlich. Da ich in meiner Vorbereitung immer als Erstes von Figuren ausgehe, war die Frage: Wen zeigen wir mit welcher Geschichte in welchem Rahmen? Ich habe immer Freude daran, Figuren, die ich schon vor fünf oder zehn Jahren gespielt habe, plötzlich wiederauferstehen zu lassen und zu zeigen, was aus ihnen geworden ist, was sie inzwischen erlebt haben, wie sie altern.

Es gibt ein Wiedersehen mit einer Reihe von Figuren der letzten Jahre. Auch Platzhirsch kommt vor.

Ja, Platzhirsch war ja Gitarrist bei Westernhagen, das hatten wir schon in der Talkshow-Parodie TalkGespräch gezeigt. Inzwischen verließ er die Band großspurig, um Solokarriere zu machen. Die lief aber dann nicht so knackig wie erwartet. Chillin’ Con Carne war noch ein Anfangserfolg, dann kam Basta mit Pasta – ein mittelmäßiger Reggae-Popsong, in dem Platzhirsch auch noch Westernhagens Nudel-Kochkünste anprangert. Mit Recht ein Flop. Die Freundschaft zum einstigen Mentor zerbrach, dann wurde noch ein Ferrari zu Schrott gefahren, und heute arbeitet er als Aqua-Coach im Freizeitbad. Tragisch. Eine klassische Kulturreportage, inklusive O-Tönen von Marius, die es locker auch in ttt geschafft hätte. Von der Art haben wir vier Filme.

Sie sind von Heino Jaeger, einem deutschen Maler, Grafiker und Satiriker, beeinflusst, der bereits gestorben ist. Warum war der so wichtig für Sie?

Jaeger war in der Lage, das Hochkomische, das Absurde, das Skurrile im Alltäglichen zu sehen, mit seinem genialen Nonsens anzureichern und aus dem Moment heraus wiederzugeben. Nie übertrieben, immer auf den Punkt. Er kannte keine Grenzen, hat sich traumwandlerisch durch alle Dialekte und Genres gearbeitet. Nah dran an der Wahrheit. Bis heute unerreicht, der Mann.

Wie lernten Sie ihn kennen?

Irgendwann in den frühen 80ern bekam ich von einem Freund eine Kassette. Darauf war eine absolut irrwitzige Sportreportage zu hören, die mich komplett in ihren Bann zog. Ich hörte sie mit ein paar Leuten an; alle guckten mich ratlos an. Totenstille. Ich war der Einzige, der gelacht hat. Jaeger hatte etwas in mir angeschwungen, lange bevor ich selbst die ersten Figuren erfunden oder parodiert hatte. Das entsprach total meinem Humorverständnis, meiner Leidenschaft für das Persiflieren von Menschen und Begebenheiten. Man findet sich ja künstlerisch in seinen Vorbildern. Wie die Beatles, die anfangs Chuck Berry, Carl Perkins oder Lonnie Donegan nachgespielt haben, bevor sie ihren eigenen Stil finden konnten.

Sie haben in den achtziger Jahren selber als Musiker angefangen, eher erfolglos. Es sei eine schwere Zeit gewesen, sagten Sie in einem Interview. Gab es jemanden, der an Sie geglaubt hat?

Für jeden von uns gibt es solche Phasen. Bei aller Empfindsamkeit und Melancholie, die immer mal wieder ins Absurde driften kann, bin ich damals eigentlich immer bei mir geblieben. Ich habe ja gewusst, was ich will, und habe mich nicht beirren lassen.

Es war die Zeit der sogenannten Hamburger Szene.

Na, die Blütezeit war etwas früher, eher zwischen 1972 und 1980. Da wurde jeden Abend in vielen Hamburger Clubs Livemusik gemacht. Im Audimax der Hamburger Universität hatte ich 1974, auf einem Skiffle-Festival, meinen ersten professionellen Auftritt mit meiner Band Abbey Tavern.

Mit Banjo und Waschbrett?

... und Kontrabass, Piano und Geige. Wir hatten ein festes Programm, eine Skiffle-Boyband, alle noch minderjährig. In dieser Zeit bin ich dann in der Szene mit einer Reihe von Musikern zusammengekommen, auch mit Otto Waalkes, den ich seit meinem 16. Lebensjahr kenne und bis heute wirklich verehre. Ein großer Komiker, ein Funny Bone der Extraklasse. Otto sagte mir damals schon, dass ich Komiker werden soll, aber ich habe überhaupt nicht gewusst, wie ich das jetzt anstellen soll. Das waren wirklich andere Zeiten. Diese Flut von Comedians, Comedy im TV, „Fun-Freitage“ – so was gab es einfach nicht.

Die Komik der alltäglichen Dramen

Er tritt als Franz Beckenbauer, Joseph Goebbels oder Thekenphilosoph „Dittsche“ auf: Charakterdarsteller Olli Dittrich fing bei den Doofen an, der Nonsens-Band, in der er gemeinsam mit Wigald Boning Musik machte. Mief! wurde ein Hit. In den 90er Jahren waren sie regelmäßig in der Comedy-Show RTL Samstag Nacht zu sehen. Für Blind Date arbeitete Olli Dittrich zwischen 2000 und 2005 mit Anke Engelke zusammen. Es entstanden Episoden ohne vorheriges Drehbuch und ohne die Rolle des anderen vorher zu kennen.

Olli Dittrich wurde 1956 in Offenbach am Main geboren, sein Vater war Journalist. Die Familie zog nach Hamburg, wo Dittrich in seiner Jugend Außenstürmer beim TuS Alstertal war. Er erhielt Gitarren- und Schlagzeuunterricht und gründete mit 16 Jahren seine erste Band. Als Comedian schlüpfte er später in immer mehr erfundene Figuren. Nach seinem 2019 mit dem Comedy-Preis gekrönten Zweiteiler Trixie Wonderland und Trixie Nightmare – Der tiefe Fall der Trixie Dörfel, erfindet sich Dittrich jetzt in: FRUST – das magazin neu. Im Mittelpunkt dieser Parodie eines Boulevardmagazins stehen die Schicksale berühmter und unbekannter Menschen. Olli Dittrich spielt darin sämtliche Hauptrollen selbst, unter anderem den Moderator Sören Lorenz.
Es geht darin um Skandalgeschichten von Promis.

In seiner Sendung sind als „Special Guests“ unter anderen Schauspielerin Sibel Kekilli, Ex-Boxer Axel Schulz und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. FRUST – das magazin läuft am 19.12. in der ARD.

Machen Sie noch Musik?

Ja, diese Baustelle öffnet und schließt immer mal wieder, mir bedeutet das Musizieren sehr, sehr viel. In den späten 80er und frühen 90er Jahren bin ich viel mit Oldiebands über Land getingelt, 150 Shows im Jahr. Bierzelte, Stadtfeste, oft auf Schiffen im Bordprogramm aufgetreten. Die Fähre von Travemünde nach Trelleborg war sehr beliebt, meist das Doppelwochenende – zweimal Hin und Zurück. Da musiziert man die ganze Nacht durch – drei, vier Sets. Und selbst in den Pausen bleibt man lieber oben, mitten im Remmidemmi der Bord-Disco, weil du als Musiker nur eine Innenkabine tief unten im Kahn zugeteilt bekommst, nur durch eine Pappwand getrennt von den Dieselmotoren. Geschlafen wurde da zwei Tage und Nächte eigentlich gar nicht.

1991 wurde „Dittsche“geboren – der arbeitslose Verlierertyp, der im Bademantel am Imbiss-Tresen steht und das Weltgeschehen kommentiert.

Dittsche entstand ein paar Jahre nach meiner Zeit bei der Deutschen Grammophon, wo ich zwischen 1979 und 1985 in mehreren Ressorts tätig war. Am Ende als Produktmanager – angefangen hatte ich aber im Keller des Importdienstes. Da habe ich erst Schallplatten verblistert und anschließend verpackt.

Verblistert?

Ja, dabei musste ich eine Maschine bedienen, ähnlich den Kofferdurchleuchtern am Flughafen. Man legt eine Schallplatte auf ein Fließband, spannt sie dabei in Folie von einer großen Rolle, betätigt mit dem Knie einen Buzzer, trennt die Folie automatisch ab und lässt die Schallplatte auf dem Fließband durch einen Schacht mit sehr heißer Luft gleiten. In Touristenhotels gibt es Toaströster-Fahrbänder, die ähnlich funktionieren. Hinten kommt dann die Schallplatte eingeschweißt wieder heraus. Wenn Sie am Tag etwa 1.000 LP verblistert haben, wissen Sie was Sie gemacht haben.

Monotoner Job.

Das war ja nur am Anfang so, später hatte ich mein eigenes Büro und konnte bis zum Ausstieg 1985 eine Menge Erfahrungen auf der Business-Seite der Musikbranche sammeln. Ich hatte aber auch nebenher immer eigene Songs geschrieben und bekam dann 1989 einen Plattenvertrag mit einem englischen Label unter dem Künstlernamen TIM. Leider war das Album ein Flop und der Plattendeal wurde aufgelöst. Da fing ich an, mit meinem kleinen Equipment Hörspiele aufzunehmen. Alberne Sachen, wie zum Beispiel: „Beim Zahnarzt“. Der sagt: „Machen Sie mal den Zement klar, Schwester Colgate.“ Und sie: „Ja, aber gerne.“ Patient: „Irgendwas stimmt nicht, das fühlt sich komisch an, Herr Doktor.“ Zahnarzt zum Patienten: „Ich habe Ihnen ja auch eine Eselsbrücke eingebaut.“ Und diese Kalauer-Hörspiele habe ich dann auf meinem Anrufbeantworter verbreitet statt der üblichen Ansage. Mit wöchentlichem, später täglichem Programmwechsel.

Dialoge ohne Bewandtnis.

Ja, vielleicht – aber das sprach sich herum, Leute gaben meine Nummer weiter und weiter. Manchmal kam ich nach Hause und hatte 30, 40 Blinklichter auf dem Anrufbeantworter. Heute würde man sagen: Der Mann hat fünf Millionen Klicks! Irgendwann war ich in Zugzwang, jeden Tag ein aufwendiges Hörspiel mit drei, vier Figuren, Geräuschen, Hintergrundmusik etc.pp. anzufertigen – und da fiel mir dann Dittsche ein. EINE Figur, EIN launiger Monolog. Das war schnell gemacht und oft wirklich sehr lustig. Und dann gab es die ersten Gehversuche auf einer Bühne mit dieser Figur, damals, 1991, in der Kantine des Deutschen Schauspielhauses. Da war die Frage: Was ziehe ich da an, wie ist wohl Dittsche gekleidet? Und der Zufall kam mir zu Hilfe. Ich holte in einer Halbzeitpause an einem italienischen Eiswagen unten auf unserer Straße zwei Tüten Eis für meinen WG-Kumpel Karsten und mich. Vor mir in der Reihe stand ein Mann im Bademantel. Als er dran war, meinte der Eisverkäufer: „Was moschten Sssie? Wir habben alle, Vaniglia, Fragole, Cioccolato …“ Und er antwortete: „Einmal Schtraziella bidde.“ Da dachte ich: So will ich sein!

Und so ist Dittsche entstanden?

Sagen wir mal, auf jeden Fall das Outfit. Karsten hatte damals noch den alten Bademantel seines Vaters im Schrank. Den habe ich mir dann für den ersten Dittsche-Bühnenauftritt ausgeliehen. Und den trägt Dittsche bis heute.

Ist außer dem Bademantel noch mehr Autobiografisches in die Figur eingeflossen?

Dittsche reflektiert sicher von allen meinen Figuren am meisten die Aufs und Abs, die bislang hinter mir liegen. Ich glaube, auch deshalb ist die Figur über so lange Jahre so beliebt. Da schimmert immer etwas Tragikomik und Melancholie durch, beides ist mir ja sehr zu eigen. Dittsche schaut immer von unten nach oben, nie umgekehrt, und sympathisiert mit allen, die vielleicht die falsche Ausfahrt genommen haben, große Pläne hatten, aber es einfach nicht hinbekommen. Die resignieren, scheitern oder immer wieder den gleichen Fehler machen. Ich hatte selber schwere Zeiten, ich kenne das alles.

Würden Sie alles ins Komische ziehen? Wo liegen die Grenzen?

Die Frage ist: Worüber macht man Witze und wo lässt man es? Ich würde in der Sendung niemals Themen anpacken, bei denen Menschen ernsthaft zu Schaden gekommen sind. Da kann und will ich nichts humorig beitragen, da muss man es einfach lassen. Als zum Beispiel vor ein paar Jahren die Germanwings-Maschine vom Co-Piloten gegen den Berg gelenkt wurde, habe ich den Sender angerufen und darum gebeten, mit der Sendung auszusetzen. Eine furchtbare Tragödie, die alles überschattet hat. Da will ich nicht lustig sein. Punkt.

Kann man im echten Leben noch Typen wie Dittsche begegnen? Oder sind alle weggentrifiziert?

Die gibt es, klar. Jedem ist doch schon so ein liebenswerter Schwadroneur begegnet. Ich habe das auf meiner Tournee nach der Show von Besuchern immer wieder gehört: „Ja, genau so einen kenne ich auch.“

Info

Das Interview fand im Rahmen des ersten Freitag Salons im Abaton Kino Hamburg statt. Am 13. Januar 2020 wird Luisa Neubauer im Freitag Salon im Abaton zu Gast sein

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

Philip Grassmann

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