Im Schlafwagen ins Abseits

SPD Der SPD fehlt im Wahlkampf der Mut für den Kampf um die Macht im Land. Stattdessen begnügt sich die ehemalige Volkspartei mit der Rolle des CDU-Juniorpartners

Es sind noch vier Wochen bis zur Bundestagswahl, und die SPD, die seit Beginn des Jahres eine bittere Niederlage nach der anderen einstecken musste, hat eine Trendwende ausgemacht. Das Ergebnis der Wahlen vom vergangenen Wochenende lautet aus SPD-Sicht: In zwei Ländern spielt die Partei eine wichtige Rolle bei der Regierungsbildung. Eine schwarz-gelbe Koalition wurde verhindert. Die SPD hat sogar gute Chancen, im Saarland den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten abzulösen. Das sei doch ein schöner Erfolg. Meint man bei der SPD. Und freut sich darauf, dass es bis zum Wahltag am 27. September nun endlich bergauf gehen wird.

Doch die Sozialdemokraten täuschen sich. Denn den Erfolg, an dem sich die entmutigte Partei bis zum Wahltag berauschen soll, hat die SPD nicht aus eigener Kraft erreicht. Die CDU-Mehrheit wurde Dank der Zuwächse von Linkspartei und Grünen gebrochen. Den wirklichen Zustand der SPD könnten die Genossen am Wahlergebnis ablesen. In Sachsen ist die SPD nur unwesentlich stärker als die FDP. In Thüringen liegt sie noch unter dem bescheidenen Bundestrend. Im Saarland hat die Partei sechs Prozentpunkte verloren und wurde fast von Oskar Lafontaine überholt. Schleierhaft, wie man das als Erfolg verkaufen will. In Wahrheit ist es für den SPD-Chef Müntefering ein Fiasko.

Dennoch eröffnen sich hier für die Sozialdemokratie Chancen, die Müntefering nur nicht wahrnehmen will. Denn im Saarland und in Thüringen hat sich wiederholt, was sich bereits in Hessen abzeichnete, dort aber dilettantisch verzockt wurde: Es gibt für die SPD eine Machtoption jenseits der großen Koalition – Rot-Rot-Grün. Man muss nur den Mut haben, sie anzustreben. Bisher hat der Partei und den alten Männern an ihrer Spitze dieser Mut gefehlt. Aber jetzt sind Bündnisse mit der Linkspartei zumindest auf Landesebene unausweichlich geworden. Im Saarland ist eines wahrscheinlich, in Thüringen immerhin möglich. In Brandenburg, wo am 27. September ebenfalls gewählt wird, ist eines denkbar. In den Ländern bewegt sich etwas.

Parteichef Franz Müntefering und sein Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier leisten sich den Luxus, diese Option auf Bundesebene zu ignorieren. Mit der Linkspartei wollen sie nichts zu tun haben. Dabei koaliert die SPD derzeit mit der CSU, die der Linken in ihrer Europakritik in nichts nachsteht. Einen Rückzug aus Afghanistan befürworten nicht nur Lafontaine und Gysi, sondern die große Mehrheit der Bevölkerung. Und in der Sozialpolitik sind die Unterschiede zu den Genossen prinzipiell geringer als zur Union.

Der Preis, den die Bundes-SPD für diese starre Haltung bezahlt, ist hoch. Sie gibt damit bis auf weiteres den Anspruch auf, die linke Gestaltungsmehrheit, die es im Lande eigentlich gibt, unter ihrer Führung zu bündeln und zu nutzen. Sie begnügt sich ohne Not mit der Rolle als Juniorpartner der Union. Oder mit dem Gang in die Opposition. Beides ist auf Dauer Mist.

Erstaunlich ist die geradezu engstirnige Beharrlichkeit, mit der die SPD sich dieser Erkenntnis verweigert. Denn es ist ja bereits 15 Jahre her, dass die SPD-Spitze zum ersten Mal ein rot-rotes Bündnis akzeptieren musste. Damals schmiedete Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. Dieses „Magdeburger Modell“ passte dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping überhaupt nicht in den Kram, der CDU dafür umso mehr. Sie schlug heftig mit roten Socken um sich. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Niemand holt sie mehr aus der politischen Mottenkiste, selbst die angeschlagene CDU widersteht dieser Versuchung. Wovor also fürchtet sich die SPD?

Anstatt das Verhältnis zur roten Konkurrenz zu klären, wird jeder prominente SPD-Politiker, der für eine Öffnung zur Linkspartei eintritt oder gar mit ihr regiert, als politischer Leichtfuß (Klaus Wowereit) oder als täppischer Provinzler (Kurt Beck) hingestellt. Beck hatte zumindest den Versuch gemacht, die SPD auf Landesebene nach links zu öffnen. Für ihn war es der Anfang vom Ende. Die Berufspragmatiker Steinmeier und Müntefering stürzten den Vorsitzenden alsbald, setzten sich an die Spitze der Partei und katapultierten die SPD damit strategisch zurück an den Anfang des Jahrzehnts.

Da steht sie nun und kann nicht anders, als erneut um die Rolle eines Juniorpartners der Union zu kämpfen. Nichts anderes bedeutet der Satz, es gelte Schwarz-Gelb zu verhindern. Die SPD bröckelt an allen Ecken, aber die Führungsriege macht unbekümmert weiter, so als sei nichts. Müntefering und Steinmeier schaukeln im Schlafwagen gemächlich ins politische Abseits. Aufwachen wird bis zum 27. September wohl keiner der beiden.

Den Bundes-Grünen erspart die Schlafmützigkeit der SPD eine andere, ebenso notwendige Debatte. Schwarz-Gelb und Rot-Rot werden sich künftig immer öfter gegenüberstehen, in den Ländern, aber auch im Bund. Die Grünen werden die einstige FDP-Rolle als Zünglein an der Waage übernehmen. Im Saarland müssen sie in den nächsten Wochen die Frage beantworten, mit wem sie lieber koalieren wollen. Im Bund wird sich diese Frage wohl erst in vier Jahren stellen.

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