Irre Tage von Athen

Finanzkrise Die vergangene Woche war für die Griechen vor allem eines: ein Schnellkurs in Politikverdrossenheit. Den Parteien sind die Maßstäbe abhanden gekommen

Ist Griechenland noch zu retten? Die Antwort lautet auch nach einer Woche der Volten, kopflosen Reaktionen und parteipolitischen Taktierereien: wahrscheinlich ja. Der Preis, der dafür fällig wird, ist allerdings astronomisch hoch. Und dieses Mal waren es nicht die Finanzmärkte, die ihn hochgetrieben haben. Es war die griechische Politik. Den Bürgern dieses krisengeschüttelten Landes bleibt eigentlich nur übrig, angesichts der Lage zu verzweifeln. Sie haben das Vertrauen in ihre Volksvertreter verloren. Die vergangenen sieben Tage waren für viele Griechen ein Schnellkurs in Politikverdrossenheit.
Erst wurde den Griechen versprochen, sie könnten selbst zwischen den drakonischen Sparauflagen der EU und einer kompletten Staatspleite entscheiden. Dann war doch nicht mehr Volkes Wille gefragt, sondern das Gegenteil: Eine überparteiliche Regierung von Experten sollte über die Geschicke des Landes entscheiden. Premierminister Georgios Papandreou, der sich eigentlich schon damit abgefunden hatte, aus dem Amt zu scheiden, gewann am Freitagabend überraschend doch die Vertrauensabstimmung. Die überparteiliche Notstandsregierung war plötzlich vom Tisch. Papandreou pokert nun erneut um seine Macht, so als sei nichts gewesen. Die Opposition dagegen, eben noch zur Notstandsregierung bereit, bleibt nun ihrer Fundamentalopposition treu.
Das alles zeigt, wie weit sich die griechische politische Klasse von ihrem Volk entfernt hat. Das Land steht am Abgrund, aber anstatt sich zusammenzuraufen, spielen die Parteien weiter ihr üblich Pokerspiel um die Macht. So ist die Politik ist unter dem Druck der Finanzkrise unberechenbar geworden. Griechenlands Politik hat so sprunghaft gehandelt, wie man es sonst nur von den Akteuren eines entfesselten Finanzmarktes kennt. Das alles zeigt: Den Parteien in Griechenland sind die Maßstäbe abhanden gekommen.
Nicht nur die Bürger dieses krisengeschüttelten Landes werden noch lange an diese Woche zurückdenken. Auch für die EU sind diese irren Tage von Athen ein Lehrstück. Ein Lehrstück für das, was passieren kann, wenn ein Land finanziell am Abgrund steht und der Politik fast kein Spielraum für souveräne Entscheidungen übrig geblieben ist. Italien, so zeichnet sich bereits ab, wird die nächste Bühne sein. Dann allerdings in einem viel größeren Theater.


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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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