Lebensabschnittspartner sollt ihr werden

Regierung Die SPD kann ruhig mit Angela Merkel am Kabinettstisch Platz nehmen. Aber sie darf dort nicht vier Jahre lang sitzen bleiben
Ausgabe 49/2013

Im Fußball gibt es ein Sprichwort. „Ein Spiel dauert 90 Minuten. Und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ Es passt abgewandelt auch auf die Politik. „Eine Koalition dauert vier Jahre. Und am Ende gewinnt immer Angela Merkel.“ Diese bittere Erfahrung hat die SPD 2009 gemacht. Und die FDP 2013.

Es hat der SPD im ersten Kabinett Merkel auch nichts gebracht, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung die besseren Minister stellte. Franz Müntefering, Peer Steinbrück, Ulla Schmidt, Olaf Scholz oder Sigmar Gabriel – das waren ja keine Leichtgewichte. Die Partei stürzte trotzdem dramatisch ab. Es ist also nachvollziehbar, dass viele Sozialdemokraten eine Neuauflage von Schwarz-Rot äußerst kritisch sehen. Und damit ist noch gar nichts über die Inhalte des Koalitionsvertrags gesagt. Sind sie so wichtig, dass es sich lohnt, das Risiko einzugehen? Ist die Macht es wert, am Ende erneut vom Wähler abgemeiert zu werden? Darüber entscheiden in den nächsten Tagen 470.000 SPD-Mitglieder in einer Briefwahl.

Gabriel pokert hoch

Es ist durchaus offen, wie das Ergebnis aussehen wird. Auf den vielen Veranstaltungen, die Gabriel und die anderen Großkoalitionäre der SPD seit Ende des Verhandlungsmarathons in der vergangenen Woche bestritten haben, schlägt ihnen inzwischen zwar mehrheitlich Zustimmung entgegen. Und die meisten Medien, die anfangs an einen Erfolg der Mitgliederbefragung nicht glauben wollten, haben inzwischen ihre Meinung geändert. Doch ist die Aussagekraft der Veranstaltungen mit der Basis nur gering. Der größte Teil der Mitglieder nimmt daran höchstens im Rahmen der Tagesschau oder der Print- und Onlineberichterstattung teil. „Es wird keine Liebeshochzeit mit der CDU“, verspricht Gabriel. Und dass sich die Partei entscheiden müsse: „Wollen wir, dass wir uns alle miteinander wohlfühlen – oder dass wir etwas für die Leute erreichen, für die wir Politik machen?“

Eines zumindest hat Gabriel jetzt schon erreicht: Mit diesem Mitgliederentscheid verändert er die politische Kultur des Landes. Denn noch nie zuvor hat eine Partei ihre gesamte Basis bei einer solch wichtigen Entscheidung derart einbezogen. Und, bei Gefahr des eigenen Untergangs, festgelegt, sich an das Votum auch zu halten. Es ist gut möglich, dass die SPD am Ende nicht mit erhobenem Haupt in die Koalition mit der Union geht, sondern mit dem Kopf unter dem Arm in die Opposition. Denn wenn die Basis nicht mitzieht, könnten Gabriel und seine Führungsriege wohl kaum im Amt bleiben.

Es hagelt zwar von allen Seiten Kritik am Mitgliederentscheid; das ganze Land werde so zur Geisel der Sozialdemokraten; es sei verfassungsrechtlich problematisch, wenn eine kleine Minderheit im Lande über die Regierungsbildung entscheide; ganz Europa sei gelähmt, weil die SPD sich wieder nur mit sich selbst beschäftige. Doch das geht alles an der Sache vorbei. Die Demokratie ist nicht in Gefahr, im Gegenteil. Was wäre ein besseres Mittel gegen die grassierende Politikverdrossenheit, als die Mitglieder einer Partei in große Entscheidungen einzubeziehen? Es ist die souveräne Entscheidung der SPD, ob sie in eine Koalition geht – ob die Partei die Abkürzung über die Gremien nimmt oder den Weg über die Basis, bleibt ihr überlassen. Das Wahlergebnis wird so jedenfalls nicht infrage gestellt.

Acht Kapitel mit 185 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag, und es ist schon erstaunlich, mit welcher fast religiösen Inbrunst der Text in den vergangenen Tagen ausgelegt worden ist. Vielleicht aber auch typisch deutsch. Es handelt sich dabei mitnichten um einen Vertrag, bei dem gewissenhaft jedes Detail abgearbeitet werden muss. Es ist das Fundament, auf dem die Koalition aufbaut. Was daraus wird, ist eine andere Frage. Die Wirklichkeit lässt sich nicht vorhersehen. Auch bei gründlichster Planung nicht.

So gesehen ist der Koalitionsvertrag nichts weiter als eine politische Absichtserklärung. Es stimmt ja, was die Kritiker immer wieder einwenden: Es fehlt ein übergeordnetes Ziel. Eine gemeinsame Erzählung, die das Bündnis zusammenhält, auch wenn es – was zweifellos der Fall sein wird – mal zu harten politischen Konflikten kommen wird. Das muss kein Nachteil sein. Denn dann kann sich jeder darauf konzentrieren, die politischen Etappenziele zu erreichen, die im Koalitionsvertrag niedergelegt worden sind. Und das sind für die SPD eine ganze Menge.

Die Einführung des Mindestlohns wird diese Republik verändern, aller Ausnahmen und Übergangsregelungen zum Trotz. Am Ende werden viele Menschen angemessenere Löhne erhalten. Die doppelte Staatsbürgerschaft gilt zwar nur für junge Migranten. Und doch ist es ein wichtiger Schritt, ebenso wie die abschlagfreie Rente mit 45 Versicherungsjahren, es gibt Einschränkungen bei der Leiharbeit, und das Geschäft mit den Mietwohnungen wird endlich reguliert (siehe Kasten unten). Diese Ziele sind es wert, als Partner in eine Regierung mit der Union einzutreten. Doch der Preis dafür ist hoch. Bezahlt hat die SPD dafür mit der Aufgabe ihres zentralen Wahlversprechens: eine wirklich sozial gerechte Gesellschaft zu schaffen. Zentraler Bestandteil dafür war eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden in diesem Land. Das war mit Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nicht zu machen. Es handelt sich dabei um keine Kleinigkeit. Die Sozialdemokraten haben seit dem Wahldebakel 2009 die soziale Gerechtigkeit wieder zu ihrem zentralen politischen Anliegen gemacht, nicht zuletzt auch in einem neuen Parteiprogramm. Es ist der inhaltliche Kern der Post-Schröder-SPD. Sie hat diesen Anspruch nun vorerst auf Eis gelegt. Das wird ihr auf Dauer nicht guttun.

Fliegender Wechsel

Wie dringlich dieses Thema ist, hat erst vergangene Woche erneut der Datenreport des Statistischen Bundesamtes gezeigt. Das Risiko, arm zu sein, ist demnach nicht nur für ältere Menschen gestiegen; auch jeder fünfte junge Erwachsene bis zu einem Alter von 24 Jahren gilt als armutsgefährdet. Und das in einem Land mit respektablen Wachstumsraten sowie einer rekordverdächtigen Zahl an Arbeitsplätzen.

Es spricht nichts dagegen, dass die Sozialdemokraten nun mit Merkel an einem Kabinettstisch Platz nehmen. Doch sollten sie dort nicht vier Jahre lang sitzen bleiben, sondern die Koalition nach der ersten Halbzeit wieder verlassen. Ein Anlass wird sich sicher finden lassen, Gründe gibt es schon jetzt genug.

Ob auch Gabriel in diese Richtung denkt, wird sich schon bald bei der Vergabe der Ministerposten zeigen, die derzeit noch als geheime Kommandosache behandelt wird. Als Regierungsmitglied und Vizekanzler wäre er in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Mehr Freiheiten, sich von der Großen Koalition abzusetzen, hätte er zweifellos als Fraktionsvorsitzender. Er könnte das Ende des Bündnisses selbst herbeiführen und sich im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums sogar zum Kanzler einer neuen rot-rot-grünen Regierung wählen lassen.

Dazu gehört allerdings mehr als nur eine SPD, die eine Koalition mit der CDU als ein Zweckbündnis auf Zeit versteht. Die Linkspartei muss klären, ob sie sich als Regierungs-, Bewegungs- oder Oppositionspartei versteht, ganz abgesehen von inhaltlichen Fragen, die so einem Bündnis derzeit noch entgegenstehen. Leute wie der Abgeordnete Stefan Liebich versuchen derzeit, diese Diskussion in Gang zu bringen. Aber ob sie geführt wird, hängt von anderen ab. Auch die Grünen sind nach dem Generationswechsel alles andere als sortiert. Zeit genug, um diese Dinge zu klären, wäre vorhanden. Vielleicht steht Angela Merkel dann irgendwann tatsächlich einmal als Verliererin da.

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