Nicht Fisch, nicht Fleisch

Kommentar Eigentlich sollte die Wahl in Niedersachsen Klarheit schaffen für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf. Das Gegenteil ist der Fall

Nein, klare Verhältnisse hat diese Wahl in Niedersachsen nicht geschaffen. Nicht für das Land. Und auch nicht für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf. Schwarz-Gelb und Rot-Grün stehen sich gleichstark gegenüber, den ganzen Abend ging es hin und her. Am Ende lag Rot-Grün mit einer hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme vorne. (Letzte Hochrechnung ARD, 22.47 Uhr: CDU: 36,0, SPD 32,6 Grüne 13,7 FDP 9,9 Linkspartei 3,2 Piraten 2,1) Das bedeutet: Es wird an der Leine einen Regierungswechsel, aber keine stabilen Verhältnisse geben.

Zumindest eines ist aber sicher: Steinbrück und die SPD sind nun auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Nach diesem Wahlabend erst recht. Einen Grund für Steinbrück, die Sache doch noch hinzuschmeißen, hat das Ergebnis nicht geliefert. Es ist, wie man in Niedersachsen sagt, nicht Fisch, nicht Fleisch. Die SPD hat zwar dazu gewonnen. Einerseits. Aber andererseits war es längst nicht so viel, wie ihr noch vor einigen Monaten in den Umfragen vorausgesagt wurde. Steinbrück hat der Sache nicht geholfen, das ist sicher. Aber er hat es auch nicht vermasselt, schließlich hat es für Rot-Grün doch noch knapp gereicht. Ein Schub für Steinbrück ist der rot-grüne Wahlerfolg deshalb noch lange nicht. Er wurde nicht mit, sondern trotz Steinbrück erreicht. Fazit: Der Kandidat darf bleiben, der Kandidat hat seine Schuldigkeit noch nicht getan.

Die CDU, immerhin, kann sich über ein bisschen Erkenntniszuwachs freuen: Ministerpräsident David McAllister hat gezeigt, dass eine Leihstimmenkampagne zur politischen Wiederbelebung eines komatösen Koalitionspartner durchaus funktionieren kann. Anstatt aus dem Parlament zu fliegen hat die FDP so überdurchschnittlich gut abgeschnitten, dass der Machterhalt an der Leine plötzlich in greifbare Nähe rückte. Den Preis dafür muss allerdings ausschließlich die CDU bezahlen: der übergroße Teil des CDU-Stimmrückgangs um mehr als sechs Prozent ist wohl darauf zurückzuführen. Am Ende reichte es dann allerdings doch nicht, McAllister hatte sich verzockt. Die CDU-Strategen in der Berliner Parteizentrale dürfen sich bestätigt fühlen: Leihstimmen auf Bundesebene? Igitt.

Auch der Dauer-Machtkampf in der Bundes-FDP ist durch den Wahlerfolg in Niedersachsen nicht entschieden. Immerhin, die Liberalen können ihrem Parteivorsitzenden Philipp Rösler nun nicht mehr den Stuhl vor die Tür stellen. Der Nachwuchs-Chef kann statt dessen nun selbst entscheiden, ob er es sich noch einmal zumuten will, erneut für das Amt zu kandidieren. Helfen wird das alles den Liberalen nicht. Zwar stimmt es, dass die FDP unter Röslers Vorsitz drei Wahlen recht überzeugend gewinnen konnten. Richtig ist aber auch, dass Rösler damit nicht viel zu tun hatte. Den Liberalen auf Bundesebene vermag er nach diesem Wahlabend genauso sehr Profil geben wie in den Monaten davor – nämlich gar nicht.

Dass die Grünen in Niedersachsen ein historisches, weil erstmals zweistelliges Ergebnis erzielten, ging wegen der Zitterpartie um die Regierungsmehrheit fast unter. Es zeigt sich aber immer wieder, dass diese Partei unter ihrer grünen Haut erstaunlich heterogen ist. In Baden-Württemberg hat sie einen bürgerlichen Kern, in Niedersachsen sind die Grünen dagegen so links wie kaum ein anderer Landesverband – und beide haben damit herausragende Wahlergebnisse erzielt. Er wird spannend sein zu beobachten, ob diese Bandbreite die Partei im Bundestagswahlkampf überdehnt.

Die Linkspartei schließlich ist in Niedersachsen eingebrochen und zieht nicht mehr in den Landtag ein. Es scheint, dass das Projekt Westausdehnung sich dem Ende zuneigt. Noch ist die Chance für die Linke, dauerhaft in den westdeutschen Parlamenten Fuß zu fassen, nicht gänzlich verspielt. Aber auf die politische Landschaft wird die Schwäche der Linken im Westen große Auswirkungen haben: Ohne eine solide politische Basis auch im Westen wird es mittelfristig auch keine rot-rot-grüne Machtperspektive auf Bundesebene geben.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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