Steinmeiers Debakel

Kommentar Die SPD kann ohne die Linkspartei in absehbarer Zeit keine Wahlen mehr gewinnen. Doch dafür müssten beide Parteien erst einmal die Mauer des Schweigens abbauen

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So schlecht wie nach dieser Europawahl stand die SPD noch nie da. Zwar mussten die Sozialdemokraten bei der EU-Wahl vor fünf Jahren ebenfalls einen herben Rückschlag erleben. Sie schafften es mit einem fulminanten Bundestagswahlkampf dann fast doch noch, mit der Union gleichzuziehen. Aber damals hatte die Partei mit Bundeskanzler Gerhard Schröder 16 Monate Zeit für die Aufholjagd. Dem Kandidaten Frank-Walter Steinmeier bleiben nur 16 Wochen.

Seit 2005 standen sich die politischen Lager CDU/CSU und FDP auf der einen und SPD, Grüne und Linkspartei auf der anderen Seite fast gleichstark gegenüber. Das ist nun zum ersten Mal anders. Union und Liberale sind an den links-bürgerlichen Parteien vorüber gezogen. Das hat nicht nur mit der EU-Müdigkeit vieler Wähler zu tun. Die Ursache liegt vor allem in der Schwäche der SPD.

Für die Sozialdemokraten mag es eine bittere Erkenntnis sein, dass sie die eigene Klientel immer schlechter zu mobilisieren vermögen. Die Partei hat ein großes strategisches Problem: Ihr Wahlziel ist defensiv. SPD-Chef Franz Müntefering hat es am Tag nach der EU-Wahl ausgesprochen: „Unser Ziel bleibt, schwarz-gelb zu verhindern.“ Man kann es auch anders sagen: Die SPD hat keine andere Machtoption, als erneut der Junior-Partner in einer großen Koalition zu werden. Betrachtet man die vergangenen vier Regierungsjahre, dann ist die Aussicht auf eine Neuauflage dieses Bündnisses nur von geringer Attraktivität.

Nicht satisfaktionsfähig

Spätestens jetzt rächt sich, dass die SPD die Linkspartei nicht ernst genommen hat. Für viele führende Sozialdemokraten ist diese Partei nach wie vor schlicht nicht satisfaktionsfähig. Das war so, als es noch die PDS gab, das blieb so, als sich die Linkspartei gründete und das hat sich mit dem Einzug von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine in den Bundestag nicht geändert. Im Gegenteil: Die zaghaften Versuche des einstigen Parteivorsitzenden Kurt Beck, die SPD für Koalitionen mit der Linkspartei zumindest auf Landesebene zu öffnen, waren mit ein Grund für seinen schnellen Sturz.

Doch ob es nun der SPD-Führungsriege passt oder nicht: Ohne die Linkspartei wird es auf absehbare Zeit keine SPD-geführte Bundesregierung mehr geben. Dass die SPD-Linke nicht energischer versucht, die Mauer des Schweigens zuüberwinden, ist eine zusätzliche Enttäuschung.

Allerdings ist auch die Linkspartei Teil des Problems. Denn unter dem Vorsitzenden Oskar Lafontaine agiert sie, als ob es vor allem darum ginge, sich als Anti-SPD zu profilieren. Die Ursachen dafür mögen in der Vergangenheit einiger handelnder Personen liegen, doch die Zukunft kann man mit dieser Haltung nicht gestalten.

Dass die Linke immer noch nicht über ein Parteiprogramm verfügt, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Es mag anfangs ein kluger Schachzug gewesen sein, sich inhaltlich lediglich auf Eckpunkte zu verständigen. Der Zusammenschluss von PDS und WASG hatte oberste Priorität, niemand wollte die neue Partei damit belasten, inhaltliche Positionen zu klären. Alle fühlten sich irgendwie zuhause unter dem neuen Dach der Linkspartei. Doch jetzt bricht der Streit um den Kurs der Partei und der Unmut über den autoritären Führungsstil Lafontaines immer häufiger aus. Auch die Linkspartei ist längst noch nicht bereit für ein Bündnis mit der SPD.

Die Mauer des Schweigens zwischen beiden Parteien wird dazu führen, dass sowohl SPD als auch die Linke im angehenden Bundestagswahlkampf unter ihren eigentlichen Möglichkeiten bleiben werden. Denn Opposition ist, um den SPD-Parteichef zu zitieren, ebenso „Mist“ wie die Neuauflage einer großen Koalition.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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