Am Ende ist sich Karl-Theodor zu Guttenberg treu geblieben: „Ich war immer bereit zu kämpfen. Aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“ Nicht einmal 24 Stunden zuvor, nach der CSU-Präsidiumssitzung in München, hatte Guttenberg dagegen erklärt: „Meine Arbeitskraft, was die Bundeswehr anbelangt, ist vollends gegeben. Ich habe dieses Amt auszufüllen, und ich fülle das mit Freuden auch entsprechend aus.“ Es war die vorerst letzte Wende dieses wendigen Politikers, der die Vorwürfe gegen seine Doktorarbeit erst als abstrus abtat, dann den Titel zurückgab; der den Bombeneinsatz am Kunduz-Fluss erst für angemessen hielt und wenig später das Gegenteil verkündete; der als Wirtschaftsminister mit Rücktritt drohte, weil er gegen Staatshilfen für Opel war und achselzuckend im Amt blieb, als sie dann beschlossen waren.
Fast auf den Tag genau zwei Wochen dauerte die Plagiats-Affäre bis zur Rücktrittserklärung des einstigen Politstars im Berliner Bendler-Block. Nur zwei Wochen muss man sagen. Denn gemessen an den Maßstäben der Polit-Skandale, die in den vergangenen Jahrzehnten die Republik erschütterten, ist das ein kurzer Zeitraum. Nein, diese Affäre war anders als die anderen davor. Zwar haben Medien, Oppositionspolitiker und die Guttenberg-Freunde in der Union ihre zugewiesenen Rollen brav gespielt. Doch auf der Bühne der Politik wurden sie von einem neuen Akteur an die Wand gedrückt. Und den unterschätzte selbst der medienversierte CSU-Mann.
Getriebener des Internets
Dass er am Ende nun doch gehen musste, nachdem es vergangene Woche noch so ausgesehen hatte, als ob der Verteidigungsminister an der Plagiatsfront gesiegt hätte, ist nicht in erster Line dem Druck von Medien und Opposition geschuldet. Es ist vielmehr ein Sieg der empörten Netzbürger über die eingespielten Muster und Mechanismen des politischen Affären-Managements, die da lauten: abstreiten, abwiegeln, aussitzen. Zum ersten Mal ist auch in Deutschland das Internet zu einem scharfen Schwert der Aufklärung geworden. Geführt wurde es aber nicht von Journalisten, sondern von Hunderten Nutzer der Online-Plattform „Guttenplag“. In Windeseile wurden immer neue Plagiate in Guttenbergs Doktorabeit ausgemacht. Die Schwarmintelligenz der Netzbürger arbeitete schneller als jede Redaktion.
Was zunächst nur aussah wie eine unangenehme Entdeckung des Bremer Staatsrechtlers Andreas Fischer-Lescano, entpuppte sich schon nach wenigen Tagen als ein systematisch angelegtes Groß-Plagiat. Die Geschwindigkeit, mit der Guttenberg zu immer neuen Eingeständnissen gezwungen wurde, hat dazu geführt, dass seine Äußerungen immer absurder klangen. Denn es ist ein Unterschied in der öffentlichen Wirkung, ob zwischen dem Abstreiten der Plagiatsvorwürfe und der zähneknirschenden Rückgabe des Doktortitels einige Tage liegen – oder einige Wochen. Guttenberg war ein Getriebener des Internets. Bis zuletzt haben das weder er noch seine Kanzlerin verstanden. Auch die Bild-Zeitung konnte ihrem Haus-Minister da nicht mehr helfen. Das Boulevard-Blatt mag mächtig sein. Aber es ist nicht mächtig genug, einen Politiker im Amt zu halten, der mit seinen Ausflüchten und halbgaren Eingeständnissen das Land so offensichtlich zum Narren halten wollte.
Mit der Plagiats-Affäre beginnt eine neue Zeitrechnung für die politische Kultur in diesem Land. Denn es hat sich gezeigt, dass sich eine Gegenöffentlichkeit schnell, kompetent und wirkungsvoll organisieren kann. Der Guttenberg-Skandal bedeutet hierzulande die Etablierung der Netzkultur in der investigativen Recherche. Die Aufklärung von Politskandalen wird künftig anders verlaufen als bisher.
Noch aus einem anderen Grund ist die Guttenberg-Affäre ein Wendepunkt. Denn selten zuvor hat sich das gesamte akademische Establishment so einmütig gegen die Politik gestellt. Üblicherweise sind Akademiker Ratgeber und Mahner, die gerne zu innenpolitischen Themen gehört werden. Nicht mehr, nicht weniger. In diesem Fall wurden sie jedoch zum Auslöser und Katalysator einer Debatte, die Guttenberg und Merkel mit der Rückgabe des Doktortitels und einigen Demutsbekundungen eigentlich schon für beendet hielten. Dass sie den „Aufstand der Akademiker“ auf die leichte Schulter genommen hat, war wohl die krasseste Fehleinschätzung, die Angela Merkel in dieser Causa unterlaufen ist. Besonders fatal wirkte sich aus, dass die Kanzlerin bereit war, die akademische Reputation des Landes kurzfristigen parteipolitischen und wahlstrategischen Interessen unterzuordnen. Das wird man ihr in den bürgerlichen Milieus, die doch eigentlich der CDU nahestehen, nicht so schnell vergessen.
Die Ahnungslose zögerte
Angela Merkel geht nun angeschlagen in das Superwahljahr 2011. Dass sie so bedingungslos zu Guttenberg gestanden hat, mag man mit der Popularität des Verteidigungsminister erklären sowie mit dem Umstand, dass Merkel nicht schon wieder einen profilierten Politiker verlieren wollte – so wie zuvor Roland Koch, Günther Oettinger oder Christian Wulff. Sie hat den gesunden Menschenverstand ebenso ausgeblendet wie ihren politischen Instinkt. Anders ist nicht zu erklären, warum sie hartnäckig übersah, dass Guttenberg eben nicht nur Fehler gemacht, sondern große Teile seiner Arbeit abgeschrieben hatte. Die vorsichtige Kanzlerin ist so zum Opfer ihrer eigenen Zurückhaltung geworden. Dass sie noch einen Tag vor Guttenbergs Rücktritt offenbar ahnungslos dem Minister ausdrücklich den Rücken stärkte, zeigt nur, wie wenig Merkel ihr Kabinett im Griff hat.
Von der Kanzlerin heißt es, sie betreibe Politik gerne wie eine wissenschaftliche Versuchsanordnung und achte dabei streng auf Ursache und Wirkung. Davon ist derzeit nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Durch die Verpuffung des Phänomens Guttenberg droht in der Koalition eine unberechenbare Kettenreaktion. Kurz vor drei wichtigen Landtagswahlen ist Merkel gezwungen, ihr Kabinett umzubilden. Das gesamte, fein austarierte Machtgefüge muss neu justiert werden. Dass nun ausgerechnet Thomas de Maizière Guttenbergs Nachfolger geworden ist, zeigt nur, wie gering der Spielraum für sie geworden ist. Die Rechnung für ihr miserables Krisenmanagement wird Merkel am 27. März in Baden-Württemberg präsentiert bekommen. Verliert die CDU dort, ist Merkel die Getriebene.
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