Eine Depesche aus dem Infokrieg

Euromaidan Während die Ukraine noch um ihre eigene neue Identität ringt, tobt zwischen Ost und West ein Informationskrieg um die Vorherrschaft in der Ukraine

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Eine Depesche aus dem Infokrieg

Foto: YURY KIRNICHNY/AFP/Getty Images

„Die grundlegende Schlacht, die in Gesellschaften ausgefochten wird, ist die Schlacht um den Geist der Menschen.“ 2007 begann der Soziologe Manuel Castells seine Aufsatz über die Macht in der Netzwerkgesellschaft mit diesen Worten. Heute kann sich ihre Wahrheit kaum stärker zeigen als in der Berichterstattung über die Proteste in Kiew und die andauernde Krise in Ukraine.

Im deutschen Informationskrieg um die Ukraine werden überwiegend zwei Positionen vertreten. Auf der einen Seite ist dies die pro-europäische Position, die vorwiegend in den deutschen Mainstreammedien vertreten wird. Nach dieser waren die Proteste legitim, die Machtübernahme legal, die Ukrainer wollten sich der europäischen Union anschließen, der Einfluss von Faschisten auf die Proteste war sehr gering, die Besetzung der Krim durch Russland und das anschließende Referendum um den Anschluss der Ukraine an Russland war illegal und Vladimir Putin ist ein machthungriger Despot, der in seiner eigenen Welt lebt.

Auf der anderen Seite wird die pro-russische Position in einigen selbsternannten alternativen und linken Medien vertreten. Demnach wurden die Proteste von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten gesteuert, die Proteste und die anschließende Machtübernahme fand ausschließlich unter dem Kommando der Faschisten statt, welche auch die derzeitige Regierung dominieren, die Besetzung der Krim diente dem Schutz der dort lebenden russischen Bevölkerung, das Referendum war legal und Vladimir Putin setzt sich nur einer machthungrigen westlichen Allianz entgegen.

Zwischen diesen Positionen findet ein regelrechter Krieg statt. Da werden auf der einen Seite via Facebook alle deutschen Mainstreammedien als Nato-Propagandablätter bezeichnet und auf der anderen Seite Informationen aus diesen Quellen grundsätzlich und dies auch leider häufig zu recht nicht beachtet.

Das Problem sowohl an der pro-europäischen und der pro-russischen Position ist dabei, dass beide Positionen grundsätzlich falsch sind. In beiden wird auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung und im Moment besonders auf den Rücken der Bewohner der Krim das geopolitische Machtspiel des Westens und Russlands unreflektiert ausgetragen. Dabei findet die einzig wirklich angemessene linksintellektuelle Position, die man in diesem Machtpoker einnehmen kann, kaum Gehör. Die Position einer internationalen Solidarität mit den Bewohnern der Ukraine und der Krim.

Obwohl es schwierig ist den Willen dieser Menschen von heimischen Schreibtisch und mit Hilfe der Medien zu erfassen, existieren doch Mittel und Wege hierfür. Ein erster Ansatz sind die Berichte der Menschen wie Marina Weisband und Ilya Budraitskis die tatsächlich vor Ort waren. Statt den westlichen oder englischsprachigen russischen Medien können auch englischsprachige ukrainische Medien zu rate gezogen werden. Linksammlungen wie diese hier helfen dabei. Ein sehr arbeitsintensiver aber lohnender Weg ist die direkte Kommunikation mit Ukrainern z. B. via Twitter. Dies sind nur die niedrigsten Qualitätsstandards, denen sich sowohl die Mainstreammedien als auch die selbsternannten linken Medien unterwerfen sollten. Denn eines muss in dieser Situation klar sein. Auch wenn der angeblich objektiv ermittelte Wille der Bevölkerung etwas anders sagt, kann es in dieser Konsolidierungsphase der Revolution nicht im Interesse der ukrainischen oder der Bevölkerung der Krim liegen sich irgendeinem Machtblock anzuschließen. Denn für solche langfristigen und kaum umkehrbaren Entscheidungen müssen sich die Wirren der Revolution erst einmal gelegt haben.

In der Ruhe nach dem Sturm, wenn in Kiew unter Beobachtung der Vereinten Nationen reguläre Wahlen stattgefunden haben, kann über solchen Fragen nachgedacht werden. Jede Entscheidung in die eine oder die andere Richtung kann nicht im Interesse der Menschen dort sein. Denn sie können im Moment einfach noch nicht wissen, was ihr Interesse ist.

Philipp Adamik 2014

P. S.

Besten Dank für die anregende Diskussion hier in der der Community. Ich habe einige daraus mitgenommen und den Beitrag überarbeitet und hier auf meinem Blog veröffentlicht.

Castells, Manuel 2007: Communication, Power and Counter-Power in the Network Society. In: International Journal of Communication 1 (2007).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Adamik

Philipp Adamik war wissenschaftlicher Assistent am soziologischen Seminar der Universität Basel. Er ist Herausgeber des Blogs thedigitalisedworld.org.

Philipp Adamik

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