Während Du diesen Artikel ließt überwachen im Hintergrund unbemerkt die NSA, der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz mit Programmen wie PRISM oder Xkeyscore deine Aktivitäten. Die ganze Sache läuft im Geheimen und im Verborgenen ab. Sie stellen für Dich, den unbescholtenen Bürger scheinbar keine direkte Bedrohung dar, aber sie schützen dich vor der Gefahr vor Terroranschlägen. Das ist ist doch ein guter Tausch. Eine Art nebenwirkungsfreie Pille gegen die alltägliche Bedrohung in der U-Bahn, dem Flugzeug oder im Büro durch einen Terroranschlag ums Leben zu kommen. Trotzdem folgten am vergangenen Wochenende zu Recht Tausende dem Aufruf des internationalen Aktionsbündnisses #StopWatchingUs und gingen zum Schutz ihrer Privatsphäre auf die Straße.
Mehrere Redner, wie der Kölner Professor für Journalismus und Politikwissenschaften Dr. Frank Überall oder das Mitglied des Landtags für die Piraten Partei Daniel Schwerd, brachten in Köln, wie in diesem Artikel, häufig Verstöße gegen die Grundrechte auf Privatsphäre, die informationelle Selbstbestimmung und die Unverletzlichkeit der Wohnung als Argumente vor.
Gut, kannst du dir jetzt denken, die können meine Kommunikation überwachen, aber da ich nichts zu verbergen habe, kann es mir ja auch egal sein. Was bewegt also diese Menschen gegen Überwachungsprogramme auf die Straße zu gehen?
Auf der Kundgebung gaben zwei Demonstranten an, dass sie das Unbehagen über die Überwachungsmaßnahmen dazu bewogen hat, an dieser Demonstration teilzunehmen. Insbesondere die Sorge, dass die Überwachung eben nicht nur zur Abwehr von Terrorakten, sondern auch für andere Zwecke missbraucht wird, war für einen der Demonstranten ein wichtiger Grund. Hierzu sagte dieser, der sich selbst als bislang apolitisch bezeichnet hat:
„Es geht Ihnen – so glaube ich – darum ihre Kontrolle und Macht zu erweitern. Ein wichtiger Punkt ist, auch im Vergleich zur konventionellen Kriegsführung, die geringeren Kosten der Kriegsführung durch IuK-Technologien.”
Beide gehen wie recht viele Menschen davon aus, dass Ihre Mails überwacht werden, sehen aber keine Relevanz ihrer Informationen für die Geheimdienste. Auch haben beide Einschnitte in ihrem alltäglichen Kommunikationsverhalten bemerkt. Während der eine nur die Überwachung im „Hinterkopf hat”, sich aber selbst „nicht überwacht fühlt”, sind die Einschnitte des etwas aktiveren Demonstranten wesentlich stärker.
„Ich fühle mich absolut durch die Überwachung in meinen Freiheiten eingeschränkt. Ich zum Beispiel habe Angst mich hier auf die Bühne zu stellen und meine politische Position zu vertreten. Denn politische Beteiligung kann einen ins Visier des Verfassungsschutzes bringen. Einer der Organisatoren der Demonstration wurde im Rahmen der Anmeldung der Demonstration vom Staatsschutz* angerufen.”
Insbesondere in diesem zuletzt angesprochenen Punkt, der Frucht vor der aktiven politischen Beteiligung, liegt eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie vor. Die in diesem Fall vorliegende Abschreckung von politischen Aktivitäten durch Überwachung – ob sie nun von den Behörden intendiert ist oder nicht – war nicht umsonst eine wichtige Strategie von Diktaturen wie der DDR oder Nazi-Deutschland.
Schwerwiegender ist noch der Fall einer jungen Frau, die ein Interview mit einem Reporter von 1Live verweigerte, weil sie Aufgrund der Überwachung überhaupt nicht im Netz aktiv sei. Ihre Abkehr von der Internetöffentlichkeit beiträchtigt nämlich nicht nur ihre politische Aktivität, sie kann sogar zu Verlusten von Lebensqualität führen. Inzwischen werden viele Freundschaften und soziale Kontakte durch soziale Netzwerke wie Facebook gepflegt. So liegt die durchschnittliche Anzahl von Freunden jedes Nutzers derzeit bei 342. Ein Verzicht auf diese Netzwerke kann einen teilweisen sozialen Ausschluss bedeuten und damit die Lebensqualität veringern. Die Sozialwissenschaft spricht in diesem Fall von „digital devide“. Aber insbesondere in Bezug auf die politische Beteiligung ist diese Abkehr von der Internetnutzung der jungen Frau recht problematisch.
Für die politischen Proteste des arabischen Frühlings hat der an der Universität Luxemburg lehrende Medien- und Kulturwissenschaftler Martin Doll vier Funktionen von sozialen Medien herausgearbeitet. Diese sind die Funktion der internen Organisation politischer Proteste, der öffentlichen Meinungsbildung, der Instanz von unabhängigen Information und der Information der Weltöffentlichkeit.
Die jungen Frau ist durch ihre Verweigerung der Internetnutzung auf Grund der staatlichen Überwachungstätigkeit, von diesen politischen Funktionen ausgeschlossen. Selbst dieser Einzellfall stellt bereits eine Bedrohung für die Demokratie dar. Florian Wächter, der Organisator der Demonstration und Betreiber des politischen Blogs demonstrare.de, betont die Bedeutung von sozialen Medien und Bloggern für den Erfolg der Demonstration am 27. Juli in Köln.
„Die digitale Vernetzung ist ein sehr wichtiges Standbein für unsere Protestbewegung #StopWatchingUs. Ohne die Aufrufe in sozialen Medien und die Berichterstattung der Blogger, wären nicht so viele Menschen mobilisiert worden.“
In besonders extremen Fällen kann die digitale Überwachung sogar ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen. 2007 wurde der Berliner Soziologen Andrej Holm aufgrund der Verwendung der sozialwissenschaftlichen Fachbegriffe „Gentrifizierung” und „Prekarisierung” in seinen wissenschaftlichen Aufsätzen verhaftet. Ihren Ursprung nahm diese Verhaftung in einer digitalen Textanalyse durch das Bundeskriminalamt. Dieses suchte, mit Hilfe von Google und der Textanalysesoftware „Copy-Catcher“, im Internet nach Übereinstimmungen mit Begriffen, die von der „militanten gruppe“ in ihren Bekennerschreiben verwendet wurden. Gegen die Mitglieder der „militante gruppe“ wurde zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren wegen versuchter Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geführt. Andrej Holm wurde erst nach einem vier Jahre langen Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, an dem auch der Bundesgerichtshof beteiligt war, freigesprochen. Vor und während des Verfahrens waren er, seine Familie, Freunde und Bekannte von stattlicher Überwachung betroffen*.
Diese Beispiele zeigen, wie massiv staatliche Überwachung in demokratische und wissenschaftliche Prozesse bereits eingegriffen hat. Eine Ausweitung der technischen Möglichkeiten würde diese Tendenzen nur noch erhöhen. Aus diesen Gründen ist der Widerstand gegen den Überwachungsstaat notwendig. Der häufig propagierte Ausstieg aus den großen sozialen Netzwerken wie Facebook zu kleineren opensource Projekten wie Diaspora ist indes ebenso wenig eine Alternative, wie die Totalverweigerung der jungen Frau. Überlassen beide Handlungen doch die große digitale Öffentlichkeit den mächtigen Regierungen und Unternehmen und führen dazu, dass jedes, zunächst immer klein beginnendes politische Thema immer klein bleibt.
So wird der digitale Otto Normalverbrauchers, der die Wahlen entscheidet, nie erreicht. Ein vollständiger Wechsel zu ergänzenden Angeboten wie Diaspora ist deshalb auch nicht als radikaler Akt, sondern als Kapitulation vor den Mächtigen zu verstehen. Insbesondere wegen diesen Menschen, die sich wegen der Überwachung in digitalen Subkulturen oder in die Welt vor der Einführung des Internets zurückziehen, ist es wichtig das alle ethnischen Gruppen für die freie Kommunikation in den großen Foren der digitalen Öffentlichkeit zu demonstrieren. Die nächste bundesweite Gelegenheit bietet dafür der „International Day of Privacy” am 31.08.
Anmerkungen
* Der Artikel ist unter dem ursprünglich gedachten Titel mit zusätzlichen Fotos und Links über die Veranstaltung auf meinem Blog erschienen.
* Beim Staatsschutz handelt es sich um Abteilung des Bundeskriminalamtes, deren Aufgabe es ist, politisch motivierte Kriminalität zu bekämpfen.
* Der gesamte Prozess gegen die "militante gruppe" und Andrej Holm ist auf der Seite des Solidaritätsbündnisses sehr gut dokumentiert.
Kommentare 35
Ich habe heute eine Pressemitteilung gelesen, wie gering der Anteil der Menschen ist, die ihr Verhalten nach dem Bekanntwerden der technischen Totalüberwachung ändern will oder dies schon getan hat. Wenn man bedenkt, dass diese Art der Totaüberwachung geeignet ist die Grundpfeiler der Menschenrechte einzuebnen, ist das traurig.
In dem Artikel verweise ich auf eine Umfrage von Spiegel-Online. Demnach ist die Masse recht genau in der Mitte zwischen Änderungswilligen und Nicht-Änderungswilligen gespalten. Wie verständlich ich den Impuls auch empfinde, sehe ich in ihm dennoch einen Schritt in die falsche Richtung. Es kann nicht darum gehen, dass sich der Bürger vor staatlicher Kriminalität schützen muss. Vielmehr darf der Staat gewisse Grenzen einfach nicht überschreiten. Wo die liegen, wird aktuell auf der Straße und in den Medien verhandelt.
Also, ich erinnerte mich an meine Jugend und die Anti-Pörsching-Demus und so, und so habe ich mal bei Gastoren die live-chats und streams verfolgt, mich angemeldet und Solidaridat versichert.
Das bereue ich schon, denn wenn eine blinde Suchmaschine und deren Wortsalat von einem kleinen indoktrinirten Winzigkeitsangestellten BEURTEILT wird (ich kann bei der Vorstellung gar nicht so viel Fressen wie ich Kotzten muß), was nicht nur Nassii-Gesinnungsschnüffelei ist sondern (sieh Artikel) direktins Gefängnis führt.
So müssen wir entweder alle die Suchworte veröffentlicht und falsch geschrieben benutzten, oder mal alle zusammen alle omosechsuellen egerjudenantiotom orangierte gommosnisten diese Worte flaschmobmäß8g enutzen, Zeit und Ort sind wichtig und dann würde ns a aba völlig überfordert .
Wo wird sowas orangiert?
Siehste, hat geklappt, bin ich drinn.
Ich habe heute eine Pressemitteilung gelesen, wie gering der Anteil der Menschen ist, die ihr Verhalten nach dem Bekanntwerden der technischen Totalüberwachung ändern will oder dies schon getan hat.
Das dauert ein bisschen. Hat ja so ein bisschen von lieber Gewohnheit oder sogar von Sucht. Die Wenigsten hören von heute auf morgen mit dem Rauchen auf. Aber längerfristig wird es sich schon auswirken. Wenn vielleicht noch ein paar Fälle herauskommen, bei denen durch die Überwacherei schweren Schaden entstanden ist, wird's, glaub' ich, ruhig im Netz, zumindest was die Kommunikation anbetrifft.
Hab' selbst schon mal was dazu geschrieben. Wen's interessiert:
https://www.freitag.de/autoren/balsamico/was-tun-frau-merkel
Nun zu der Frau, die aus Angst vor der Geheimdienstauspähung die Aussage verweigerte. In Frankreich, wo ich wohne, haben Menschen massive Angstzustände: „Es könnte schlecht für meinen Job sein, oder um einen zu kriegen, an ein Bürgerbegehren oder an eine Demo teilzunehmen“. Das war vor Snowden. Nach ihm, kommt die Angst vor der Staatsmacht. Keine 5.000 haben in Frankreich für Snowdensasylantrag unterzeichnet, wohingegen 160.000 es in Deutschland gemacht haben. Weiterhin gab es im Land der Menschenrechte keine Demos außer einer symbolischen ende Juni. Da sind die Demonstrationen in Deutschland ergiebiger, auch wenn man besser machen könnte. Obwohl sich mancher Gymnasiast über die andauernde Naziaufbearbeitung seit dem ersten Schuljahr beschwert, kann man sehen, dass das demokratische Bewusstsein in Deutschland für eine signifikanten Minderheit vorhanden ist. In Frankreich werden nicht konsequent die Sauereien der Vergangenheit bewältigt. Sarkozy hatte sogar die Kolonisierung Afrikas aufpoliert.
Wie kann man es aber anstellen, dass 100.000de auf die Straße gehen? Somit könnte Markel, Hollande & Co endlich für ihren Posten bangen. Zuerst muss man klar stellen, dass Internet nur ein Mittel ist, um die gesellschaftlichen Verhältnisse umzukrempeln. Wenn wir weiterhin „Masseneremiten“ (Nach Günter Anders) zu lange vor der Glotze sitzen, und zu wenig den öffentlichen Raum besetzen, dann passiert nichts politisches.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Mohamed Bouazizi durch seine seine Tätigkeit als Gemüsehändler mittels seiner Aufopferung den tunesischen Autokraten Ben Ali vom Sockel gestoßen hat. Bei uns braucht man nicht unbedingt sich mit Benzin verkohlen zu lassen. Es gibt andere angepasstere Mittel. In unseren Städten sind der Marktplatz oder die Fußgängerzonen der ideal Ort, um etwas sinnvolles zu verkaufen oder regelmäßig das Bewusstsein der Mitmenschen auszubilden. Es reicht nicht aus sich nur mit seinen Freunden oder Parteigänger auf den Netzwerken auszutauschen. Wie der brasilianische Pädagoge Paolo Freire uns es gelehrt hat, kommt die Erneuerung vom Rand der Gesellschaft durch Bewusstseinsbildung. Dazu gehört auch, als Intellektueller, den geeigneten Wortschatz auszuwählen, um von Otto Normalbürger verstanden zu werden. Ich bin selber kleiner Gemüsebauer und benütze hauptsächlich mein Stand dazu, um mit allen über soziale, politische, philosophische, usw. Themen zu sprechen. Dabei verteile ich Prospekte. Das Verkaufen ist nur Vorwand...
Somit zerbröckelt die Angst vor dem Staat, vor dem Kapitalismus, die ja einander brauchen, um uns kleinzukriegen. 100.000de müssen wir auf der Straße sein!
The-Babyshambler hat diesen Demonstartionsbericht des politischen Blogs Alex11 veröffentlicht. Der Bericht dokumentiert die Demonstration wesentlich besser aus der Perspektive der Redner und der Organisatoren. Deswegen ergänzen sich beide Berichte meiner Ansicht nach sehr gut.
Besten Dank für den Kommentar, der die Situation aus der französischen Perspektive darstellt.
Nur der Staat sind auch Sie, Herr Adamik. Wieso muss man auf die Straße gehen, wenn man seine in der Verfassung verbrieften Grundrechte unangetastet bewahren möchte?
Die technische Totalüberwachung ist eine Aushebelung zentraler Teile der Verfassung und eine Aktion dagegen gehört nicht auf die Straße, sondern vor das Verfassungsgericht. Nichts gegen Straßenprotest, aber hier geht es um den Erhalt der Rechtsordnung.
Der Hoffnung kann man sich nur anschließen.
Kennen Sie noch die Aufregung um die Reaktorkatastrophe in Russland? Viele Menschen waren damals panisch und kauften Unmengen Konserven aus Neuseeland, um zu überleben. Nach wenigen Wochen war fast alles so wie vorher, die Maßeinheit für Strahlung wurde neu definiert, der Strahlungswert klang nun gering, obwohl er 3 Stellen nach links gerückt war, und die Welt machte da weiter, wo sie aufgehört hatte. Die Masse, und davon leben die amerikanischen Internetunternehmen, wird da weitermachen, wo sie unterbrochen wurde. Zu negativ? Nein, realistisch.
Es gibt verschiedene Weisen den öffentlichen Raum zu besetzen. Die klassische revolutionäre Weise, besteht darin zu demonstrieren. Die ist aber nur in akuten Situationen nötig. Solange es noch möglich ist, sollte man mit gewaltfreien Methoden kämpften. Sogar Lenin dachte, dass eine Révolution in England gewalfrei durchgeführt werden könnte (1918, Über „Linke“ Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit, Kap.V). Aber diese Agitation kann nur erflogreich werden, wenn das Bewusstsein voher aufgebaut wurde.
Man muss die Stadt, und auch das Land, als Forum nach griechischem Vorbild sehen, wo Ideen ausgetauscht werden. Auch wenn es beim geselligen Picknicken geht, bei der Arbeit auf dem Felde, usw. sollten auch soziale, politische, philosophische Problemstellungen angegangen werden.
Denn der juristische Scnickschnak in Karlruhe, hat nur soviel Wert wie und wieviel Bürger für den Rechtsstaat kämpfen. Die Richter lesen das Gesetz oftmals wie draussen das soziale "Wetter" aussieht. Bei Windflaute werden sie bieder urteilen, wenn aber Sturm angesagt wird, werden auch sie von der Situation Bewusst und werden vermultich die Freiheit begünstigen. Gesetz ist nur ein Stückpapier, dass nach einem veränderbaren Gesellschaftsvertrag ausgelegt wird. Von dem Volk geht alle Macht aus...
Lenin hatte, wie Sie richtig zitiert haben, recht, wenn er sagt, dass zuerst das Bewusstsein aufgebaut werden muss. Laut und mit Gewalt geht das nicht. Nur kann ich bei der Mehrheit der von der technischen Totalüberwachung betroffenen Menschen noch kein Bewusstein erkennen. Man darf hier nicht den Fehler machen, die Aktiven im Netz mit der Meinung der Masse gleichzusetzen.
Zum Bundesverfassungsgericht, obwohl es für mich als Ausländer nicht zuständig ist, habe ich eine andere Meinung, denn als Bürger müssen Sie die Möglichkeit haben, die informelle Selbstbestimmung auszuüben, was nicht möglich ist, da alle technischen Kanäle einer Totalüberwachung unterliegen. Egal, welche Gesinnung die Richter in den roten Roben haben, daran kommen sie nicht vorbei.
Wenn heute nicht, dann morgen!
Ich gebe ihnen recht, dass es heute schwer erscheint das Bewusstsein der Menschen zu stärken. Aber was glauben sie auf welchem Niveau des Bewusstseins die Inder Anfang des XX. Jht waren und dennoch hat es Gandhi mit einer Anzahl Intellektueller den gewaltfreien Kampf gegen die Briten erfolgreich zu gewinnen. Weiterhin haben einige Süd amerikanische Bewegungen, dank Bewusstseinsbildung und Befreiungstheologie ein ähnliches Ziel erreicht. Wer sind denn die Staaten, die Snowden Asyl gewähren?
Die Intellektuellen in der westlichen Gesellschaft machen es sich zu bequem. Sie versuchen kaum Basisarbeit zu leisten. Aus diesem Grund scheint die Situation (unrettbar) verworren, nicht weil der Staat allmächtig wäre. Lesen sie Etienne de la Boëtie "Abhandlung über selbserlegte Knechschaft" 1548. Die Knechtschaft besteht solange man angst hat. Sie übertreiben die Macht der Totalüberwachung. Sonst würden wir nicht so locker darüber hier sprechen und würden schon im Knast sitzen und eventuell dort philosophieren.
Den Intellektuellen hier (im Gegensatz zu denen in Süd Amerika vor 60 Jahren) fehlt Volksnähe. Das sind unsere modernen Pharisäer, die uns gerne vormalen, wie es abstrakt theoretisch vorgehen sollte. Der einzige demokratische Weg die Gesellschaftsverhältnisse umzukrempeln besteht darin mit der Basis zu leben. Ich bin Bauer geworden, nicht nur wegen meiner Naturverbundenheit, sondern weil ich lieber mit den einfachen Leuten arbeite, spass habe und natürlich auch politische Alternativen ausdenken und durchsetzen möchte. Das heisst die Theorie mit der Praxis zu konfrontieren, um einen politischen glaubwürdigen Weg für die Meisten zu finden. Es ist langwierig aber man erzielt von Zeit zu Zeit einen nennenswerten mehr oder weniger lokalen Erfolg.
Sehr geehrter J. Taylor,
vorab, ich freue mich Ihre Meinung und würde mich freuen, wenn sie den juristischen Kampf unterstützen würden (siehe unten). Aber in einigen Punkten unterscheiden wir uns dennoch fundamental.
Ihre Einschätzung, dass ich auch der Staat bin, beruht auf einer Vorstellung, die Jean Bodin im 16. Jahrundert entwickelt hat. Diese wurde zwar im weiteren histrischen Verlauf weiterentwickelt, beruht aber weiterhin auf der "Verbindung zwischen den Bergiff der Nation und dem Begriff des Volkes" (Hardt, Negri 2000, Empire; S. 115).
Das Grundgesetz ist in diesem Punkt breits etwas fortgeschrittener, in dem es den Staat eher als ein Produkt des Volkes anzusehen ist "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Artikel 20 GG). Die höchst problematische und durchaus immer noch rassistische Konstruktion des Volkes will ich an dieser Stelle allerdings nicht diskutieren. Vielmehr möchte ich auf das revolutionäre Subjekt, des Demonstranten auf der Straße eingehen.
Michale Hardt und Antonio Negri konstruieren in Ihren Werken, insbesondere in "Multitude:Krieg und Demokratie im Empire" (2004) als Gegenposition ein Revolutionäres Subjekt, dass außerhalb der staatlichen Ordnung existiert. Dieses Subjekt nennen sie die Multitude.
Die Multitude existiert dabei gleichzeitig in zwei Seins-, bzw. temporalen Zuständen:
1) Die ontologische/ewige Multitude als das aktuelle revolutionäre Subjekt, welches sich im hier und jetzt der Autorität und dem Kommando verweigert.
2) Die utopische/zukünftige Multitude, die sich aufgrund eines zukünftigen politischen Projekts als globales revolutionäres Subjekts formiert (vgl. Hardt und Negri 2004 : Multitude S. 248).
Auch wenn ich Michael Hardts und Antonio Negris empirische Einschätzung von einer immer stärker werdenden utopischen Mulitude nicht teile (vgl.: Adamik 2013: Rezeptionsanalytische Kritik zu Demokratie Teil II) . Möchte ich die Vorstellung dieses revolutionären Subjektes nicht aufgeben, dass sich nur auf der Straße und nicht in den Gerichtssälen konstituieren kann. Denn der Weg in den Gerichtssaal bedeutet gleichzeitig die Anerkennung der politischen Macht.
Unabhängig von der Existenz/Vorstellung eines revolutionären Subjekts außerhalb des Staates, sehe ich und in diesem Punkt bin ich ausnahmsweise mal bei Niklas Luhmann, die (Welt-)Gesellschaft als das umfassende Sozialsystem an, dem die anderen Sozialsysteme (Politik, Recht, Wirtschaft) untergeordnet sind (Luhmann 1975: Soziologische Aufklärung Bd. 2, S.11).
Aus diesen Gründen bin ich durchaus Gesellschaft, aber nicht der Staat.
Sehe ich den Widerstand auf den Straßen wichtiger an, als den Kampf in den Gerichtssälen.
Unterstütze ich aber auch den Kampf in diesen, wie er in der Presseerklärung von StopWatchingUS angekündigt wird. "Zeitgleich werden juristische Klagen gegen all jene Menschen vorbereitet, die für die Fortführung der Überwachungsprogramme verantwortlich sind."
Eigentlich haben Sie mir ja bereits die ganz Argumentatiosarbeit (s. o.) abgenommen. Besten Dank.
Und ich danke ihnen auch für die Hardt/Negri und Luhmann Referenzen. Als Bauer hat man da weniger Zeit und Möglichkeiten in den U-Bibliotheken zu schmökern.
Ich schreibe dennoch ein Buch über die Grundlagen unserer Gesellschaft und insbesondere, wie der Zwiespalt entstanden ist ; warum Praxis und Theorie so auseranderklaffen. Weiterhin habe ich kleine Konferenzen über verschiedene Themen gegeben. Wenn sie das interessiert, schicke ich ihnen gerne ein paar ins Deutsche übersetzte Dateien.
Gern geschehen. Ist ein sehr spannendes Thema, das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis, wobei - zum Teil sehe ich eine erschreckende Konvergenz zwischen Theorie und Praxis, insbesondere wenn es um neoliberale Theorien sprich Ideologien geht.
Auf Ihre Materialien werfe ich gerne mal einen Blick. Senden sie mir doch einfach unter der Mail-Adresse zu, die sie auf meinem Blog unter Kontakt finden (kleines Menü oben rechts).
Sie haben recht im Punkto " erschreckende Konvergenz zwischen Theorie und Praxis, insbesondere wenn es um neoliberale Theorien sprich Ideologien geht".
Ich meine natürlich die Diskrepanz zwischen die Menschenrechte, die ja von der französischen Revolution in Kraft gesetzt wurden, und dem liberalen System. Bei uns steht ja Ein Plakat vor jeder Schule "Liberté, Egalité, Fraternité und meistens ist der Spruch oberhalb der Torgiebel der Rathäuser eingemeisselt. Ich halte mich immer an den Werten, die unsere Gesellschaft gegründet hat. Es ist immer spannend zu entdecken, wie diese Werte verdreht wurden und wie darüber unsere Tabus gewachsen sind. Diese aufzudecken macht spass! Man muss ja nicht immer tierisch ernst bleiben aber dennoch konsequent handeln.
Ich unterstütze bereits Initiativen, die sich massiv gegen den Rechtsbruch auf juristischen Wegen wehren werden. Aktiv darf ich das nicht, weil ich ja nur Gast in diesem Land bin.
Nun, wie bekannt ist, ist mein Heimatland als Vollstrecker der amerikanischen Sucht nach Informationen von einer freien Nation zum Täter geworden. Dort gibt es viel zu tun, weil die Überwachung nach momentanen Kenntnisstand "nur Ausländer" (sorry, aber das ist einfach so) betrifft, was in der Konsequenz dafür sorgt, dass das Bewusstsein ein anderes ist als in Deutschland. Auch sind uns zwei Dikaturen und ein Staat erspart geblieben, der so etwas wie eine Meldepflicht oder einen Personalausweis kennt. Dies wird gerade durch die beabsichtigten Netzsperren aufgeweicht.
Ihre Einlassung zur Frage, wer Staat ist, sehe ich aus meiner angelsächsischen Sicht vermutlich anders, weil bei uns ein Staat niemals etwas war, dem man sich unterordnete - ganz im Gegenteil. Eine Haltung "hier der Bürger - dort der Staat" entsteht wohl nur, wenn man einen Staat als Obrigkeit anerkennt oder lernt ihn so zu sehen. Diese Sichtweise ist mir fremd.
Vielleicht dauert es einfach noch etwas, kann sein.
Die Menschen müssen erst lernen, dass sie durch den Gebrauch von alltäglichen Worten wie <Social Media>, <recovery>, <flu>, <aid>, <grid> bereits in das Suchraster der NSA fällt (alles Key Words & Search Terms). Setzen Sie einfach die deutschen Begriffe dafür ein, dann wissen Sie, dass eine Mail oder eine Nachricht über Facebook, die davon handelt, dass man eine Erkältung hat und die Heizung vom Bett aus einstellt, bereits dazu führt, dass man auf dem Schreibtsich eines Analysten der NSA landet.
Bauer sein finde ich gut. Sie bearbeiten sozusagen einen regionalen Wirtschaftskreislauf, das ist die Zukunft.
Lieber Herr Taylor,
"Ihre Einlassung zur Frage, wer Staat ist, sehe ich aus meiner angelsächsischen Sicht vermutlich anders, weil bei uns ein Staat niemals etwas war, dem man sich unterordnete - ganz im Gegenteil." - Das stimmt aber nur cum granum salis. Denn die Erfindung des Leviathans (des starken und gewalttätigen Nachtwächters) und der Glaube an das Recht, gar die Pflicht, sich zu nehmen, wovon man glaubt es gehöre keinem oder es werde von anderen nicht adäquat genutzt, stammt aus der angelsächsischen Welt. Für den Leviathan zeichnete Hobbes verantwortlich und für das Recht des Stärkeren, Thomas Morus. Zugegeben das waren keine US-Amerikaner.
Diese Haltung führte in den Vereinigten Staaten des 19.Jh. zum Dollarimperialismus, zur Ausrottung der Indianernationen durch den Prozess der Eroberung selbst, zur Monroe Doktrin und zu den Rough Riders, auch ohne Pferde.
Heute ist doch der Kampf gegben den Staat, gegen Big Politics in Washington eine der Haupttriebfedern des konservativen und stadtfernen Amerikas und derjenigen Kapitalisten, die die Einmischung des Staates als Geschäftsschädigung und Machtschwund begreifen. - Das wird zur nächsten Präsidentenwahl virulent werden.
Interessant ist, wie defensiv und praktisch ohne Gehör die Communitarians bleiben.
Die Menschen- und Bürgerrechte, sowie das Prinzip der Internationalität (UN) haben in den letzten 15-20 Jahren, gerade in den formalen Demokratien, erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen. Da reden wir noch gar nicht von den Sozialrechten, die einst erkämpft wurden, um Überstunden, nicht tarifierte Löhne, fehlende Sozialversicherungen, Stand-by der Arbeitnehmer zu jeder Zeit, Wochenendarbeit und Arbeit ohne Schutz am Arbeitsplatz unmöglich zu machen, so wie das Prinzip "hire and fire" aufzugeben.
Mittlerweile sichert nur ein möglichst hohes Einkommen, egal wie es erzielt wurde, noch ausreichend ab. Das ist nicht die Idee der Freiheit (F.-G.-B.), nach dem kontinentalen Erfindermodell, nach dem revolutionären Modell der Commune. Es ist das glatte Gegenteil!
Beste Grüße
Christoph Leusch
Hallo!
Besonders wenn sie Engländer sind, haben sie ein Recht und sogar eine Pflicht auf politische Arbeit in der europäischen Union. Für Lokalwahlen können sie sich sogar aufstellen lassen und als Stadtrat gewählt werden.
Dieses Recht hat einer meiner italienischen Freunde für unsere Gemeindewahl in Anspruch genommen. Sie sind also in Deutschland einen Teil der Gemeinschaft.
Die Haltung "hier der Bürger - dort der Staat" entsteht nicht unbedingt aus der Perspektive, den Staat als Obrigkeit anzuerkennen. Ich betrachte den Staat viel mehr als ein Organisation, deren Aufgabe es ist, Leistungen für den Bürger bereit zu stellen und Probleme zu lösen. Verweigert er seine Leistung, ist es an der Zeit über eine neue Orgaisationsform nachzudenken. Schießlich ist der Nationalstaat - so wie wir ihn kennen - ein Produkt der Moderne und damit eine recht neue Idee, die u. a. in Großbritanien ihren Ursprung genommen hat. Columbus verweist in diesem Punkt ja zu Recht auf Thomas Hobbs Leviatan.
Ihre Darstellung der Situation in Großbritanien finde ich übrigens sehr erhellend. Besten Dank hierfür.
Den Interviewleitfaden und die (anonymisierten) Antworten der Demonstranten habe ich hier veröffentlicht.
In der Theorie, da sind wir uns vermutlich einig, sollte sich ein Staatsgebilde als Dienstleister des Bürgers sehen. Es wäre schön, wenn das so wäre.
Wenn wir zwei in ein x-beliebiges Bezirksamt der Stadt Berlin gehen würden und die dort tätigen Beamten und Angestellten mit dieser korrekten Idee konfrontieren, werden die wohl die Feuerwehr holen, die uns zwei in eine Zwangsjacke stecken dürfte. Das Problem in Deutschland ist ja nicht der gute Wille, das Bewusstsein oder die Einsicht, sondern ein verkrusteter Mittelbau in den Behörden, die alle Ansätze einer Bürgergesellschaft an ihren Stempelkissen auflaufen läßt.
Sehr geehrter Herr Leusch,
ich hätte bei der Bezeichnung "Angelsachsen" eine Einschränkung für die Bewohner der westlichen Kolonien einfügen sollen. Sorry dafür.
Seit dem 19. Jahrhundert hat sich, auch wenn dies oft durch die Berichterstattung über die Windsors untergeht, selbst in UK etwas geändert, und das, obwohl wir so sehr an Traditionen festhalten. Im Prinzip hat zum Durchbruch geführt, dass uns die unselige Dame namens Thatcher veraltete, aber eben auch sinnvolle staatliche und gesellschaftliche Pfeilen unter dem Hinter kalt weggehauen hat. Es entstanden mitten in einem Staat diverse Regionen, in denen keine staatlichen Leistungen mehr abgerufen werden konnten. Was anfangs als Katastrophe gesehen wurde, entwickelte sich zum Geschenk, weil nun die Bürgergesellschaft vor Ort die Infrastruktur und die Leistungen erbringt. Der Staat ist da wirklich nur noch Zulieferer und stellt bei Entscheidungen die Minderheit. Das funktioniert so gut, dass wir seit Mitte der 80er Jahre die Behörden vor uns hertreiben und die ihre Existenz allein mit finanziellen Zuwendungen erhalten. Das führte im Ergebnis zu einem völlig neuen Verhältnis zwischen Bürger und Staat, gesünder und nachhaltiger (aus meiner Sicht).
J.Taylor
Da ich nur zeitweise und maximal für wenige Wochen in Deutschland bin, kann ich keine Aufgaben annehmen, die eine ständige Präsenz voraussetzen. Ich kann finanzielle Unterstützung leisten, ich kann aus meinem Netzwerk diverse Menschen mit Know-how heranziehen, ich kann mich zumindest dann, wenn ich präsent bin, nützlich machen,....... und genau das tue ich.
Sehr geehrter Herr Taylor,
Ihrer Interpretation, dass ich den Staat als Dienstleister des Bürgers sehe, kann ich mich nicht anschließen. Allerdings muss ich zugeben, dass meine Äußerung „ich betrachte den Staat viel mehr als ein Organisation, deren Aufgabe es ist, Leistungen für den Bürger bereit zu stellen und Probleme zu lösen. Verweigert er seine Leistung, ist es an der Zeit über eine neue Organisationsform nachzudenken“ durchaus auch im Ihren Sinne interpretiert werden kann. Während meine Formulierung sich aber noch in die Abstraktion der soziologischen Theorie zurückziehen kann, steht ihre Rede vom Dienstleister Staat bereits in der Mitten einer sozialpolitischen Debatte.
Für sozialpolitisch problematisch halte ich insbesondere die unterschiedlichen Durchsetzungschance der Interessen der Bürger gegenüber den Staat. Während es den Milieus der Mittel- und Oberschicht relativ leicht fällt ihre Interessen gegenüber den Staat zu artikulieren, sieht dies in den Milieus der Unterschicht ungleich schwieriger aus. Der Staat versucht zwar auch diese Milieus zu berücksichtigen (Arbeitslosengeld II, soziale Einrichtungen, etc.), aber dies geschieht eher aus einer Perspektive Armutsverwaltung, die die Interessen der Armen zu wenig berücksichtigt.
Im Alltag bedeutet dies, dass der Staat, besser die Behörden auch gegen mein Interesse handeln dürfen, wenn es im Interesse des Allgemeinwohls liegt. Um weitere Missverständnissen entgegen zu wirken, möchte ich deswegen meine Äußerung um den Passus Gesellschaft ergänzen: "Ich betrachte den Staat viel mehr als ein Organisation, deren Aufgabe es ist, Leistungen für den Bürger und die Gesellschaft bereit zu stellen und Probleme zu lösen. Verweigert er seine Leistung, ist es an der Zeit über eine neue Organisationsform nachzudenken.“
Sozialpolitisch erinnert dieses Konzept wahrscheinlich ein wenig an Anthony Giddens Konzept des dritten Weges, welcher eine Synthese aus neoliberalen Marktradikalismus und demokratischen Sozialismus darstellt.
Zum Abschluss möchte ich Sie noch direkt auf Angebot ansprechen: "Ich kann finanzielle Unterstützung leisten, ich kann aus meinem Netzwerk diverse Menschen mit Know-how heranziehen, ich kann mich zumindest dann, wenn ich präsent bin, nützlich machen,....... und genau das tue ich."
Da ich meine journalistische Tätigkeit neben meiner Promotion bislang unentgeltlich ausführe, würde ich mich über ihre finanzielle Unterstützung freuen. Dies können sie, entweder über den Flattr-button machen, oder via Amazon Kindle durch den Kauf meines Essays "Das literarische Wissen".
Mit besten Dank für die anregende Diskussion,
Philipp Adamik
Aufgrund der Diskussion mit J.Taylor und um eine Verwechslung meiner Äußerung mit Neoliberaler Ideologie zu vermeiden, möchte ich meine in Äußerung bezüglich der staatlichen Aufgaben erweiteren
"Ich betrachte den Staat viel mehr als ein Organisation, deren Aufgabe es ist, Leistungen für den Bürger und die Gesellschaft bereit zu stellen und Probleme zu lösen. Verweigert er seine Leistung, ist es an der Zeit über eine neue Organisationsform nachzudenken.“
Da ich aus ethischen Gründen grundsätzlich keine Geldgeschäfte im Internet tätige, eine Maßnahme, die sich seit Mr Snowden als weitsichtig herausgestellt hat, werde ich versuchen, Ihre Schriften über den klassischen Buchhandel zu beziehen. Sollte das nicht möglich sein, werde ich einen anderen Weg finden. Amazon finde ich einfach zum KOTZEN.
Wir unterscheiden uns auch in der Betrachtung der "Unterschicht". Diese braucht aus meiner Sicht keine Almosen wie Hartz 4, sondern Bildung und Chancen. Es ist nicht einmal 30 Jahre her, da verdiente ein Lagerarbeiter so viel, dass er sich ein kleines Haus leisten konnte. Auch einfache Tätigkeiten boten mit Fließ und harter Arbeit die Chance des gesellschaftlichen Aufstieges. Das gibt es heute nicht mehr, heute wird die "Unterschicht" mit Hungerlöhnen und prekären Beschäftigungen von einem menschenwürdigen Leben ferngehalten. Das Problem lösen keine Sozialprogramme, die den Status meist nur halten, sondern BILDUNG - BILDUNG - BILDUNG und ein Gehaltsgefüge, in dem ein sozialer Aufstieg möglich ist.
Besten Dank für Ihre Antwort. Leider ist mein Aufsatz bislang nur als Amazon Kindle Download erhältlich, einen anderen Weg als ihn über Amazon zu beziehen kenne ich leider nicht.
Bei Ihrer Betarchtung der Unterschicht übersehen Sie, dass Bildung nicht nur das Geld für Lehrmittel (Bücher, Lehrer...) benötigt, sondern auch ein gewisses Maß an finanzieller Unabhägigkeit und Sicherheit, dass es den Hartz IV-Empfängern auch ermöglicht Bildungschancen wahrzunehmen. Dass die von Ihnen geschilderten prekären Beschäfftigungsverhältnisse sehe ich ebenfalls als großes Problem an. Allerdings sehe ich keinen Widerspruch zwischen Ihrer Strategie und der meinigen. Eine sinnvolle Lösung muss die sozialen Sicherungssysteme, die zur Herstellung der Bildungs- und Beschäffigungsfähigkeit notwendig sind ebenso im Blick haben, wie die faire Chancenverteilung auf dem Arbeitsmarkt und gerechte Löhne.
Wir liegen nicht weit auseinander. Was ich betonen wollte, ist, dass ein soziales Sicherungssystem nicht dazu dienen darf, eine gesellschaftliche Schicht "ruhig zu stellen". Es reicht eben nicht allein aus, ein Überleben zu sichern oder eine Grundsicherung herzustellen.
Gerade der Teil der Gesellschaft, der Bildung wirklich nötig hätte, wird mit Almosen in eine Nische gedrückt und verblödet vor den Sendungen der Privatsender. Die "lower class" soll ja keine Endstufe der sozialen Entwicklung werden.
Aus harten Erfahrung in UK weiß ich aus eigenem Leid, dass die "lower class" allein mit mehr Geld nicht zu bewegen ist. Es muss Chancen geben, die, und das ist die harte Aufgabe, in realistischer Entfernung zu ereichen sein müssen. Ein Alimentierungssystem, egal in welcher Höhe die Zahlungen erfolgen, wird nicht dazu führen, dass die Betroffenen "sich aus eigenem Antrieb heraus bewegen". Diese Menschen brauchen einen Coach, also das, was sich sonst verwöhnte Anwaltsgattinnen zulegen.
Ich stimme Ihnen zu. Wir liegen wirklich nicht so besoders weit auseinander. Allerdings habe ich ein wenig besseres Bild von den Selbstmotivationsfähigkeiten der "lower class". Auch wenn tatsächlich eine abghängte und unmotivierte Unterschicht existiert, glaube ich nicht, dass diese in der Mehrheit ist. Aber in einer Arbeitsmarktsituation, und dort kommt Ihr Konzept wieder zum tragen, in der mehrheitlich Jobs auf einem Lohnniveau existieren, welches auf der einen Seite keine selbstdändige Lebensführung zulässt und auf der anderen Seite ein Leben im Luxus zulässt, sind die Chancen eben nicht in "realistischer Entfernung" positioniert.
P. S. In Bezug auf die Verwendung des Begriffs "lower class".
Die britische BBC hat vor einigen Monaten ein neues Sozialstrukturmodell für Großbritanien vorgestellt. http://www.bbc.co.uk/labuk/articles/class/
hier ist ein berblick über die Ergebnisse zu finden:
http://www.bbc.co.uk/science/0/21970879
Gut, kannst du dir jetzt denken, die können meine Kommunikation überwachen, aber da ich nichts zu verbergen habe, kann es mir ja auch egal sein. Was bewegt also diese Menschen gegen Überwachungsprogramme auf die Straße zu gehen?
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 02.03.2010 explizit festgestellt:
Zitat:
Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html
Zitatende
Wenn das so ist, und zwar ohne Wenn und Aber so ist, dann muss definiert und gesetzlich bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen die Freiheitswahrnehmung der Bürger erfasst und registriert werden darf. Diese Voraussetzungen sind bisher nur vage umrissen. Vereinfacht könnte man sagen, dass der zwar stillschweigende aber verfassungsrechtlich abgesicherte Vertrag des Bürgers mit dem Staat u.a. zum Inhalt hat: Solange du, Bürger, nicht in einer gegen das Gesetz verstoßenden Weise auffällst, wirst du nicht beobachtet. So war es bisher. Nach dem nunmehr erfolgten Paradigmenwechsel lautet die Maxime aber: Du, Bürger, wirst immer beobachtet, denn du könntest ja auffällig werden. Und für den Fall, dass du auffällig wirst, wollen wir nicht lange prüfen, was mit dir los ist, sondern wollen in unseren vorrätig gespeicherten Datenarsenalen gucken, wes Geistes Kind du bist, damit wir dich sofort und ohne lange zu fackeln aus dem Verkehr ziehen können. MaW: Vorher wurde ich beobachtet, wenn ich einen Verdacht erregt hatte, jetzt werde ich immer beobachtet. Das ist eine massive Einschränkung der Freiheitswahrnehmung der Bürger. Denn es ist, wie es die Schriftstellerin Juli Zeh in einem beachtenswerten Interview auf den Punkt brachte: Ein observieter Mensch ist nicht frei!"
http://www.donaukurier.de/nachrichten/digital/datenschutz/Frau-wochennl302013-Juli-Zeh-im-Interview-Ein-observierter-Mensch-ist-nicht-frei;art251975,2793492
Dies, weil er sein Verhalten an die Überwachung anpasst, der er ständig gewärtig sein muss, egal ob sein gegenwärtiges Verhalten anstößig ist oder nicht. Der Bürger wird zu einer ständigen Bewertung seines Verhaltens gezwungen, danach, ob es (noch) im grünen Bereich ist oder nicht und er mit Konsequenzen rechnen muss, welche freilich diffus sind. Der für das Strafrecht verfassungsrechtlich definierte Satz: nullum crimen sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz, Art. 103 Abs. 2 GG) gilt für deine Netzaktivitäten nicht mehr. Du musst bei dem, was du im Netz tust, mit Konsequenzen rechnen ohne zu wissen mit welchen. Aber woher soll man wissen, welche Netzaktivitäten noch im grünen Bereich liegen? Das hängt doch ganz von den jeweiligen Anschauungen ab. Was heute noch von einer Regierung toleriert wird, kann morgen in einem anderen Licht gesehen werden, möglicherweise mit dem vielleicht schwer zu widerlegenden Vorwand, man habe es schon immer so gesehen nur nicht geahndet. Wir haben doch erlebt, dass nach dem 11.09.2001 plötzlich alles anders war als vorher. Konnte ich mich vor dem 11.09.2001 im Netz unbehelligt über alles Mögliche verbreiten, wurde es nach dem 11.09.2001 von den Sicherheitsbehörden daraufhin abgeklopft, ob es einen Hinweis auf terroristische Aktivitäten enhalte, ohne dass ich wusste, welche Kriterien dabei zugrunde gelegt wurden. Diese Kriterien wurden und werden nicht von einem Gesetzgeber überschaubar und berechenbar definiert, so dass man sich danach richten kann, sondern es wird von den Geheimdiensten im Verborgenen nach diffusen Kriterien bestimmt, was geht und was nicht. Ich kann, weil ich nichts ahnend eine Seite mit mir zuvor unbekannt gewesenen terroristischen Inhalten aufgerufen und sogleich wieder geschlossen habe, in den Verdacht terroristischer Aktivitäten geraten, nur weil sich die Anschauungen dazu unter dem Eindruck des Ereignisses vom 11.09.2001 geändert haben.
Das alles kann so nicht gehen. Wenn unter der Bedrohung des Terrorismus, die ich nicht kleinrede, alles beobachtet werden kann, was im Netz geschieht, muss für alle verbindlich und klar definiert werden, welche Internetaktivitäten im Falle des Falles gegen mich verwendet werden können. Man braucht also einen Kodex, in dem abgelesen werden kann wie im Strafgesetzbuch, was im Netz erlaubt ist und was nicht. Dieser Kodex muss im Wege des demokratischen Diskurses verbindlich ausgehandelt und beschlossen werden. Die heimliche Lauscherei mit unkalkulierbaren Risiken für die Internetnutzer ist ein Instrument des Überwachungsstaates und muss schleunigst aufhören.