„Resignation“ von Erich Kästner: Dieser frivole Sound stünde uns heute gut
Rezension Wo stand Erich Kästner politisch nach dem Krieg? Würde er heute wohl die Letzte Generation unterstützen? Der Band „Resignation ist kein Gesichtspunkt“ mit teils unveröffentlichten Reden und Feuilletons gibt Aufschluss
Erich Kästners Gedichte seien „Sachen für Großverdiener“, ätzte 1931 ein sehr berühmter Kritiker
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Nicht auszuschließen, dass die bundesrepublikanische Geschichte anders verlaufen wäre, hätte Erich Kästner 1961 auf ein Schreiben Ulrike Meinhofs persönlich reagiert. Diese hatte höflich bei Kästner angefragt, ob ihre Zeitung seine Ostermarschrede gegen die Atomrüstung abdrucken dürfe, „um ihrer selbst willen und um den Gedanken des Ostermarsches auch nachträglich und für die Zukunft weiterzutragen“. Einen Monat ließ sich Kästner Zeit, um ihr durch seine Sekretärin mitteilen zu lassen, dass er über den Text „anderweitig verfügt“ habe.
Ja, wer weiß, vielleicht hätte eine direkte Antwort zu einem Austausch zwischen dem selbst ernannten pazifistischen Schulmeister und der hochintel
hochintelligenten, gleichwohl recht humorlos schreibenden konkret-Redakteurin geführt. Vielleicht wäre es dem alten Kästner mit schulmeisterlichem Witz und dank seiner Erfahrungen mit dem Terror der Nazis gelungen, die Journalistin – als „Anti-Atomkraftterroristin“ würden sie heute bestimmt gewisse Politiker und Medien ungeachtet ihrer späteren RAF-Mitgliedschaft wohl titulieren – von ihrem Weg abzubringen, den sie zu diesem Zeitpunkt in seiner ganzen mörderischen Radikalität noch nicht beschritten hatte.Immerhin unterzeichnete Kästner wenig später einen Aufruf der Vereinigung „Kampf dem Atomtod“, der im Juliheft von konkret erschien. Jene Rede und andere Texte aus der Zeit vor und nach dem Krieg lassen sich nun in dem von Sven Hanuschek herausgegebenen Band Resignation ist kein Gesichtspunkt nachlesen; die nicht weitergeführte Korrespondenz zwischen Meinhof und Kästner wiederum in einer ebenfalls von ihm „handverlesenen“ Briefauswahl aus dem Jahr 2003.In jener Ostermarschrede in München zitiert Kästner viel aus einem Vorwort, das ein Physiker und Bruder eines späteren Bundespräsidenten verfasst hatte. Carl Friedrich von Weizsäckers Text wurde kurioserweise in der Welt vorabgedruckt, die bereits zu Springer gehörte und sich stetig von einem liberalen in ein rechtskonservatives Blatt wandelte. Allein ein Satz daraus könnte jedes hochgehaltene Pappschild der Letzten Generation schmücken: „Wir denken und handeln von Begriffen aus, die früheren Zuständen der Menschheit angemessen waren, den heutigen aber nicht.“Analyse war nicht Erich Kästners DingAber auch Kästner, er wiederum einer der populärsten literarischen Vertreter der verlorenen Generation, hatte natürlich selbst formulierte Appelle dabei wie etwa den durchaus originellen Denkauftrag „Resignation ist kein Gesichtspunkt!“.Erich Kästner, dieser Aufklärer voller Skepsis, dieser Pessimist voller Hoffnung, dieser Polemiker mit Weltschmerz und streitbare Moralist (mit diesen Attributen beschrieb ihn einmal der Literaturwissenschaftler Hanjo Kesting so trefflich), dieser Warner und Mahner also scheute sich allerdings – wie dieser Band belegt – vor einer tiefergehenden Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das war nie sein Ding.Stattdessen immer wieder gut gemeinte Appelle, oft verpackt als hübsche Aphorismen. Den Nazis galt er bekanntermaßen als „Asphaltliterat“, und Kästner ging nach dem Zweiten Krieg in der Tat sehr oft auf die Straße. Man kann sagen, er radikalisierte sich politisch. Er protestierte nicht nur vielfach gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, sondern nahm an studentischen Mahnwachen teil, schrieb 1963 einen Appell zum Gedenken an Hiroshima oder sprach als einziger Autor seiner Generation auf der Münchner Demo „Gegen den Krieg in Vietnam“: „Der gesunde Menschenverstand ist nicht der Hanswurst der Politik. Die Humanität ist nicht der dumme August der Geschichte“, heißt es darin. Es klingt altbacken, hat wenig mit der coolen Nonchalance der frühen Schriften zu tun.Spannend ist, sich in diesem Band noch einmal zu vergewissern, wo Kästner politisch stand. Seine Haltung vor 1933 wurde von Walter Benjamin scharf verurteilt. In dem Essay Linke Melancholie (1931) kritisierte Benjamin die Gedichte als positionslosen politischen Radikalismus, der schließlich in Fatalismus münde. Sie seien „Sachen für Großverdiener“. Revolutionäre Reflexe setze dieser Lyriker in Gegenstände der Zerstreuung und des Amüsements um.Innere Emigration in NazideutschlandNun ja, möchte man da entgegnen: Genau dieser unwiderstehliche, unverschwurbelte und frivole Kästner-Sound, der viele seiner frühen Gedichte so zeitlos macht, würde dem politischen Diskurs unserer Tage – von einem hochaggressiven und humorlosen Ton auf beiden Seiten geprägt – wiederum eigentlich ganz gut stehen.Kästners Wirken ist in den letzten Jahrzehnten in populärwissenschaftlichen Biografien bestens dokumentiert: Wir lernen ihn als fleißigen und begnadeten Feuilletonisten in der Weimarer Zeit kennen, wir wissen, wo der Fabian-Vater war, als seine Bücher am 10. Mai 1933 am Berliner Bebelplatz in Flammen aufgingen. Wir wissen um sein künstlerisches Erloschensein im Dritten Reich (mit Ausnahme der federleichten, entpolitisierten Romane oder dem Münchhausen-Ufa-Drehbuch).Ein wenig ungelöst steht aber noch immer die Frage im Raum, warum er sich in Nazideutschland in die „innere Emigration“ begeben hat. Es war wohl doch vor allem die Sorge um seine abgöttisch geliebte Mutter in Dresden und weniger das nie wirklich in Angriff genommene Projekt, den ultimativen Roman über das Dritte Reich zu schreiben, dessen Chronist er ja war. Auch berichten seine Biografien detailliert über seine Arbeit fürs Kabarett nach 1945, die Herausgeberschaft der Jugendzeitschrift Pinguin, über seine Kinderbücher (allen voran das Meisterwerk Als ich ein kleiner Junge war) und über die relativ kurze, aber produktive Zeit als Redakteur und Feuilletonchef bei der auflagenstarken und intellektuell bedeutenden Neuen Zeitung.Erich Kästner resignierteFür sie berichtete er – allerdings in nur einem Artikel – auf seine ganz spezielle, persönliche Art von den Nürnberger Prozessen; auch dies wurde jüngst in Uwe Neumahrs tollem Buch über den internationalen Presserummel seinerzeit in Nürnberg, Das Schloss der Schriftsteller, noch einmal in Erinnerung gerufen.Aber irgendwann ab 1968 wird es um den Büchner-Preisträger von 1957 und den ehemaligen Präsidenten des PEN-Zentrums (1951 – 1962) bis zu seinem Tod 1974 sehr still, und die letzten Kapitel in den Biografien werden immer knapper. „Jetzt sitz ich, mit etwas Whisky ausgerüstet, am Fenster, genieße Wiese und Garten (Rosen!) und wundere mich“, schreibt der nicht nur lungen-, sondern auch alkoholkranke Kästner 1970 in einem Brief. Da war sein Emil bereits 41 Jahre alt. Meinhof liebte die Verfilmungen der Kästner-Bücher, schreibt ihre Tochter Bettina Röhl. „Emil und die Detektive stellte das Leben dar, wie meine Mutter sich auch unser Leben vorstellte, tolle Kinderbanden bilden, die den Bösewicht mit Geschicklichkeit und Schläue schließlich zu Fall bringen.“Kästner gelang es in seinem politischen Leben hingegen kaum, die Bösewichter der Vergangenheit, die auf einmal wieder überall nach 1945 Schlüsselpositionen innehatten, mit seinen Appellen zu Fall zu bringen oder gar die USA am Krieg zu hindern. Und entgegen seiner Behauptung war die Resignation stets ein Gesichtspunkt. Er hat dafür diesen traurig-schönen Aphorismus: „Man kann mit seiner Überzeugung nur diejenigen beeinflussen, die bereits der gleichen Überzeugung sind.“Placeholder infobox-1