Der Wertfluencer

Kult Im Internet ist Jordan P. Peterson ein Star, dort führt er einen Kulturkampf gegen alles Progressive
Ausgabe 30/2021

Zuerst begegnet man Jordan P. Peterson wahrscheinlich im Internet. Er hat über eine Million Follower auf Twitter, 3,68 Millionen auf Youtube. Manche würden ihn einen Social-Media-Intellektuellen nennen, aber damit täte man ihm unrecht. Er hat nämlich auch drei Bücher geschrieben und moderiert einen Podcast.

Dort tritt er gelegentlich mit seiner Tochter Mikhaila auf, die er nach dem ehemaligen russischen Staatschef Gorbatschow benannt hat. Außerdem ist er Professor für Psychologie in Toronto und hat über einhundert wissenschaftliche Artikel publiziert.

In einem seiner Videos spricht er über das Individuum. Der Glaube daran verblasst, das sei die zeitgenössische Malaise, sagt er. Er sieht ein wenig abgekämpft aus auf seinem lederbezogenen Schreibtischstuhl. Er stockt immer wieder, setzt neu an, und dann passiert es. Die Tränen laufen. Schließlich erklärt er, dass nur Einzelpersonen leiden können, und sein Schmerz darüber ist echt, die Emotion ungefiltert. Der kurze Clip geht viral. Er erzählt von Sorgen um den Niedergang abendländischer Kultur und erzählt von den Sorgen eines Akademikers, der eine verantwortungsbewusste, harte Männlichkeit predigt. Die New York Times nennt ihn den Hüter des Patriarchats.

Peterson publizierte am Ende des vergangenen Jahrhunderts Maps of Meaning, der deutsche Untertitel lautet Warum wir denken, was wir denken: Wie unsere Überzeugungen und Mythen entstehen. Das Buch, das weltweit in 40 Sprachen übersetzt wurde, ist eine Art Bibel gegen die transzendentale Obdachlosigkeit. Darin erinnert es an den Anthropologen Joseph Campbell, der die Suche und Selbstfindung eines Helden als archetypische Erzählung ausmachte. Petersons neues Buch Jenseits der Ordnung. 12 weitere Regeln für das Leben, gleicht ebenfalls einem Heldenepos, besonders die autobiografischen Passagen.

Richtig prominent wurde Peterson 2016, als er sich gegen ein Gesetz aussprach, das in Kanada den Schutz aller Gender-Identitäten gewährleisten sollte. Peterson sah darin einen Eingriff in die freie Meinungsäußerung, mehr noch: Er erblickte am Horizont das Gespenst eines politisch korrekten Autoritarismus. Zwei Jahre später erschien 12 Rules of Life. Hier begegnet einem der Therapeut, der seinen Rat mit Anekdoten und Weisheiten, manche würden sagen: Binsenwahrheiten, flankiert. Seine Regeln richten sich nicht ausdrücklich an junge Männer, sie werden aber vor allem von ihnen rezipiert, und die Ratschläge befassen sich nicht damit, die Welt zu ändern, sondern damit, wie man seinen Platz darin findet.

Kein Raum für Männer

Im Nachfolger zum ersten Regelbuch, das kürzlich auf Deutsch erschienen ist, klingt er gelegentlich wie Marie Kondo, und ebenso wie die Aufräumratgeberin aus Japan rät er, klein anzufangen, den Alltag zu ordnen: „Das Leben ist eine einzige Wiederholung, und es lohnt sich, sich wiederholende Dinge richtig zu machen.“ Er erklärt, wie nur unter Druck Diamanten entstehen. Das sind gute Ratschläge. Sie geben Halt und Orientierung, und die Youtube-Kommentare zu seinen Beiträgen sind voll mit jungen Männern, deren Leben sich zum Guten gewendet hat.

Aber da ist noch ein zweiter Peterson. Dessen implizite Annahme ist, es gebe eine vorherrschende Ideologie, die Männern keinen Raum lasse. Sie müssen härter werden, damit die Welt nicht regiert wird von Narzissten, Weicheiern und Intellektuellen. Die beschreibt Peterson als „postmoderne Kulturmarxisten“. Man könnte den zweiten Peterson einen öffentlichen Intellektuellen nennen, der Essayist Pankaj Mishra hingegen sieht in ihm einen Türöffner für rechtes Denken. Petersons Erfolg, schreibt er, sei Symptom einer tiefen Krise der liberalen Demokratien.

Aber Peterson hat eine andere Krise im Sinn. Er sorgt sich um das Verschwinden von Religion, Nation, den Werten des Westens, verschweigt freilich, dass das ziemlich neue und wandelbare Konstruktionen sind. Die Wahrheiten, die Peterson sucht, sind an den Universitäten lange aus der Mode gekommen, alles ist fluider geworden, nicht nur Geschlechteridentitäten. Umso wichtiger sind ihm die alten Mythen, denn dort sind sie konserviert, die Archetypen, die der Freud-Schüler C.G. Jung einst in Träumen und Religionen fand. Man muss nur seinen Instinkten folgen, raunt Peterson. Wer an die soziale Konstruktion unserer Wahrnehmung glaubt, ist für Peterson ein linker Ideologe. Sein Ausweg führt direkt zu unveränderlichen Ordnungen, und so aktualisiert er Ideen von Disziplin und Hierarchie für eine neue Generation – vielleicht ergibt sich gerade hier eine versteckte, verführerische Berührung von Ratgeberliteratur und rechter Ideologie.

Dann gibt es noch einen dritten Peterson, den kühlen Rationalisten. Der wird ins Fernsehen eingeladen, wo er mit Geduld versucht, die Existenz eines Gender Pay Gap zu widerlegen. Wer sich um die Umwelt und Gerechtigkeit sorge, teile die Welt in Gut und Böse ein und suche die Schuld an der Misere bei anderen. Ob man konservativ oder progressiv ist, sei bloß eine Frage des Temperaments: So verbannt Peterson Politik gleich in die Sphäre des Persönlichen. Sicher weiß der Psychologe aber, dass das Verdrängte durch die Hintertür zurückkehrt. Bewaffnet mit Statistiken und gefühlten Wahrheiten zieht er in den Kulturkampf gegen die Progressiven. Um seine Thesen zu unterfüttern, sucht sich der dritte Peterson Rat bei der Evolutionsbiologie. Berühmt ist sein Gleichnis vom Konfliktverhalten der Hummer. Denn nach Kämpfen hat der überlegene Hummer einen erhöhten Serotoninspiegel. Streit macht die Männchen glücklich und Hierarchien sind in der Natur angelegt, schreibt er – als hätten Krustentiere irgendetwas mit unserer Gesellschaft zu tun. Der Mythen-Peterson passt nicht zum Fakten-Peterson, aber die Synthese findet ohnehin im Internet statt. Clips von seinen Auftritten werden zu Videos mit Titeln wie „Jordan Peterson Destroys Feminism“ zusammengeschnitten.

Das letzte Kapitel von Petersons Heldenepos spielt während der Pandemie. Nach einer langen Buchtour litt er an Burn-out, nahm zu viele Beruhigungsmittel. Im Januar 2020 wachte er in einer Moskauer Entzugsklinik aus dem künstlichen Koma auf. Wiedergeboren und heimgekehrt schrieb er im Lockdown sein neues Buch zu Ende, und auch diese Krise verwebt der Psychologe gekonnt mit der erfolgreichen Marke Peterson.

Info

Beyond Order. Jenseits der Ordnung. 12 weitere Regeln für das Leben Jordan B. Peterson Astrid Gravert, Antoinette Gittinger, Hans Freundl, Norbert Juraschitz (Übers.), FinanzBuch Verlag 2021, 400 S., 23 €

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